Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Michael Hesse
nämlich Christus, zugegen sind, wie das zweite Kapitel des Dekretes festschreibt:
„Und weil in diesem göttlichen Opfer, das in der Messe vollzogen wird, jener selbe Christus enthalten ist und unblutig geopfert wird, der auf dem Altar des Kreuzes ein für allemal sich selbst blutig opferte … Denn die Opfergabe ist ein und dieselbe; derselbe, der sich selbst damals am Kreuz opferte, opfert jetzt durch den Dienst der Priester; allein die Weise des Opferns ist verschieden [sola offenrendi ratione diversa].“145
Das Trienter Konzil entfaltet und unterstreicht zwei Aspekte der katholischen Lehre, die man für besonders gefährdet ansieht: Die wirkliche Gegenwart Christi im Sakrament der Eucharistie und den Opfercharakter der Messe. Doch die innere Einheit dieser verschiedenen Aspekte der einen Eucharistie und die Begründung der Kommunion allein unter der Brotgestalt, konnte das Konzil nicht angemessen leisten, da man in drei verschiedenen Sitzungen mit großem zeitlichen Abstand (13. Sitzung im Jahr 1551; 21. und 22. Sitzung im Jahr 1562) die Fragen einzeln behandelte.146 Festzuhalten ist, dass am Ende der Konsens steht,
„dass die Messe zurecht ein Opfer genannt wird, sie dabei jedoch kein selbständiges Opfer neben dem Kreuz ist, da sie aufs engste mit dem Kreuzesopfer verbunden ist, ja als Auswirkung und Anwendung desselben zu denken ist.“147
Zusammengefasst heißt dies, dass die Eucharistiefeier nichts anderes als das Kreuzesopfer selbst ist, in dem Christus das eigentliche Subjekt ist und sein priesterliches Heilswirken sakramental vergegenwärtigt in der Weise der repraesentatio, der commemoratio und der applicatio. Daher ist die Messe als ein wahres und eigentliches Opfer anzusehen.148 Nur von einer commemoratio, also von bloßer Erinnerung zu sprechen, ist für die Konzilsväter allein keine Begründung für den Opfercharakter der Messe. Man braucht eine „von der Natur des Menschen geforderte“149 „Sichtbarkeit“ des von Christus der Kirche hinterlassenen Opfers. Damit bricht sich die Gefahr Bahn, einen naturhaften Opferbegriff auf die Messfeier anzuwenden. Einer Gefahr, der die nachfolgend entstandenen Messopfertheorien erliegen. Zugleich versperrt ein solches Verständnis den Weg zum positiven Aufgreifen des biblischen Gedankens des Lob- und Dankopfers, den ja Luther eingeschlagen hatte. Nun bleibt uns noch der Blick auf den gewählten Weg der Verteidigung des reformatorisch abgelehnten Verständnisses der Messe als Sühneopfer.150
„Wenn das Konzil von Trient die Eucharistie auch als Bitt- und Sühneopfer bezeichnet, so ist nicht ein menschlicher Zusatz zum Sühneopfer Christi gemeint. Da die Eucharistie als sakramentale Vergegenwärtigung alle Aspekte des Kreuzesopfers vergegenwärtigt, gibt Christus in der Eucharistie den Glaubenden die Gnade der Versöhnung. So können sie als Glieder des Leibes Christi und des Neuen Bundesvolkes die Versöhnungsgabe empfangen und in einem Leben der Nachfolge Christi und der Gleichgestaltung mit seinem Leiden und seiner Auferstehung in sich ausprägen (Phil 3, 20 u. ö.).“151
In Bezug auf dieses Konzil und seinen liturgischen Beitrag können wir uns an dieser Stelle die liturgiegeschichtliche Würdigung durch H. Meyer zu Eigen machen:
„Das Konzil brachte also keine Reform der Meßfeier und des Missale zustande, aber es hat die lehrmäßigen Grundlagen und praktischen Leitlinien dafür festgelegt – allerdings in einer deutlich durch die theologie- und geistesgeschichtliche sowie durch die kirchenpolitische Situation geprägten Form.“152
Die Hebung der Kommunionfrequenz ist ein Anliegen des Konzils, jedoch ohne größeren Erfolg. Die Schaufrömmigkeit bei der Messe behält in der Folgezeit den Vorrang. Erst Pius X. († 1914) erreicht später durch seine Kommuniondekrete eine Verbesserung, in Verbindung mit der aufkommenden liturgischen Bewegung.153
Die theologische Aufarbeitung des Opfercharakters der Messfeier reicht das Konzil von Trient an die folgenden Theologengenerationen weiter. Die Reihenfolge der Konzilsdekrete wirkte dabei ebenfalls auf die Aufarbeitung ein. Mitunter leidet die Art und Weise der Aufarbeitung an gegenreformatorischen Engführungen. Die wirklich befriedigende Antwort für das Verhältnis zwischen Kreuzesopfer und Messopfer kann vorerst nicht gefunden werden. Wenn das Konzil die Aufgabe der Reflexion über die Einheit von Kreuzes- und Messopfer weitergibt, dann mit der Verpflichtung, die Lehre der Messe als einem wirklichen Sühneopfer („Sacrificium istud vere propitiatorium esse“ DH 1743f) nicht aufzugeben.154
Deutlich hat das Konzil verkündet, dass die Messe ein wahres Opfer ist, dessen Opfercharakter sich nicht einfach mit dem Mahl als solchem ohne weiteres deckt, sondern eine eigene Wirklichkeit darstellt, die der Einmaligkeit des Erlösungsopfers Christi am Kreuz nicht widerspricht. Kreuz- und Messopfer sind in gewisser Hinsicht also ein Opfer. Das Konzil hat vermieden mehr zu sagen, so dass man eine gewisse Unsicherheit wahrnimmt, wenn es um die theologische Ausdeutung der Konzilslehre geht. Die situationsbedingte, auch zeitliche, rein äußerliche Trennung der Themenbehandlung Realpräsenz, Kommunion und Opfer führt natürlich in der Folgezeit zu einer Abhebung von Opfer und Sakrament. Die Isolierung des Opferbegriffes darf nicht mehr dem Konzil angelastet werden, das in seiner legitimen Beschränkung der Definition auf die wesentlichen Grundlinien des Opfercharakters die klassische katholische Glaubenslehre darlegt. Vielmehr spielen die Katechismen zur Konzilsausdeutung der nachfolgenden Zeit eine entscheidendere Rolle. Bis heute ist dieses Ringen um das Verständnis des Opfercharakters nicht beendet.155 Gerade der schillernde Opferbegriff des Tridentinums fördert die Schwierigkeiten. Das Ineinander von Praxis, Ritus und Theologie lassen keine einheitliche Sprechweise vom Opfer zu. Die neutestamentliche Rede vom Selbstopfer Jesu Christi, der Opferbegriff der personalen Selbsthingabe, erscheint zwangsläufig mit alttestamentlichen Tier- und Speiseopfern vermischt. Die Begriffe offerre – offerens und obtulit finden sich in den Konzilstexten. Ins Deutsche übertragen, werden sie mit darbringen wiedergegeben. Das bedeutet:
„Die Vermischung der rituellen mit der dogmatischen Sprechweise oder gar die Identifizierung eines allgemein kultischen Opferbegriffs mit der neutestamentlichen Rede vom Opfer Jesu Christi und der Christen führt in neue Schwierigkeiten.“156
Im weiteren Verlauf der Theologiegeschichte entstehen sogenannte „Messopfertheorien“. Sie zeugen davon, dass Trient eben keine Definition vom Wesen des Messopfers gibt. Durch die fehlende Unterscheidung der liturgischen von der dogmatischen Sprechweise, d.h. die Identifikation des liturgischen offerre mit dem biblischen offerre der Selbsthingabe, sucht man den Akt der Darbringung an Gott in der Dimension des Zeichens, im liturgischen Geschehen selbst. Im Ergebnis entstehen Messopfertheorien, die in vorchristliche Opfervorstellungen zurückfallen.157 Eine kurze Skizzierung dieser Theorien schließt sich hier nach einem Vorausblick an.
3.Ausblick
Die unterschiedliche Verstehensweise bezüglich des Opfercharakters in den Konfessionen158, die nach Reformation und Trienter Konzil über Jahrhunderte hinweg die gegenseitige Verurteilung bedeutet, ist heute zu einem differenzierteren Dialog gewendet. Luthers kategorisches Nein zum Opfercharakter der Messe ist heute nicht mehr Richtschnur im ökumenischen Dialog. Viele Gesprächsansätze zwischen den Konfessionen lassen die Hoffnung aufkeimen, dieses schwierige Thema im ökumenischen Dialog tiefer zu ergründen. Es ging bei unserer Darstellung bisher ja um die historische Einordung und Denkstruktur in den Jahrhunderten vor und nach der Reformation und die Antwort des Konzils von Trient. In der Reformation präzisiert sich die Kritik an der Messopferlehre dahingehend, dass man um die Einzigartigkeit und Vollgenügsamkeit des Kreuzesopfers Jesu Christi bangt, weil es keiner multiplizierenden Wiederholung noch hinzufügenden Ergänzung bedarf. Doch gerade dieses Bekenntnis zur Einzigkeit und Vollgenügsamkeit des Versöhnungsgeschehens in Jesus Christus unterstreicht das Trienter Konzil eindeutig, insofern das Messopfer als Vergegenwärtigung (repraesentatio) des einmaligen Selbstopfers Jesu Christi am Kreuz bestimmt wird. Evangelische und römisch-katholische Seite stimmen somit darin überein, dass das Kreuzesopfer Jesu Christi nicht fortgesetzt, noch wiederholt oder ersetzt oder ergänzt werden kann.159 Der ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen erklärt deswegen 1986:
„Es hat sich als möglich erwiesen, die gläubige Überzeugung von der Einzigkeit