Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Michael Hesse

Die Eucharistie als Opfer der Kirche - Michael Hesse


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ist letztlich die Aberkennung des Opfercharakters des Kreuzesgeschehens.196 Dies lässt sich auch nicht durch seinen Denkansatz zur himmlischen Weiterwirkung des Opfers Christi kompensieren. Der Ansatzpunkt ist, dass durch die göttliche Vollendung in Auferstehung und Himmelfahrt Christus als ewige Opfergabe weiterlebt. Auf Grund biblischer Zeugnisse wird ein Zustand des Leibes Christi angenommen, der durch himmlische Glorifizierung die Opfergabe jetzt in Gottes Gegenwart stellt. Das einmal vollzogene Opfer hat nun ewigen Bestand im Himmel. Die Auferstehung ist gleichsam die göttliche Akzeptierung des Opfers Christi als dessen Erfüllung und Vollendung, und so geht der menschliche Leib Christi in die Unsterblichkeit Gottes ein.197

      „Dadurch ist auch die Verbindung gegeben, die dieses himmlische Opfer zu einem nicht nur symbolischen, sondern wahren Opfer macht, in dem sich eine vollkommene Entsprechung von signum und res findet: Christus ist Priester und Opfergabe zugleich; im äußeren Zeichen, das auf die Opfergesinnung (devotio) verweist, bringt er nichts von sich Verschiedenes dar. So kann de La Taille mit Guitmund von Aversa in Bezug auf die Kirche als Leib Christi und die Eucharistie als ihren sakramentalen Vollzug folgern: Idem igitur Christus sui ipsius est est sacrum signum, id est sacramentum.198

      Die Konsequenz dieser Konzeption bedeutet, dass die Messe getrennt von der mystischen Darbringung des im Himmel vollendeten Opfers kein Opfer ist. Christus selbst ist der Altar in Ewigkeit, auf dem sein und der Menschen Opfer stattfindet und den Bestand sowie die Realität des Opfers der Kirche garantiert. Er übernimmt die Mittlerrolle für die Zuwendung des einzigen und einen Opfers in der Messfeier. Der Heilige Geist ist dabei das Konstitutivelement der wechselseitigen Verbindung von Eucharistie und Kirche, denn durch die Eucharistie werden die Menschen zu Vollgliedern des Leibes Christi und Christus wendet der kirchlichen Opfergemeinschaft die Wirkung seines eigenen Opfers zu.199

       4. Würdigung und die offene Frage nach dem Messopfer

      Bei allen vorgestellten Messopfertheorien finden wir Punkte, die dem Anspruch des Konzils von Trient nicht genügen. Eine weitere Theorie, die Konsekrationstheorie, zu Beginn des 20 Jh. auf Destruktionstheorie und Oblationstheorie aufbauend, weist ähnliche Problematiken auf. Einer ihrer Vertreten ist J. Kamp († 1940). Er verbindet die Momente Darbringung der Opfergabe mit ihrer Veränderung durch die kultische Handlung. Genauerhin liegt das Problem in der Mehrzahl von angenommenen Opferakten, denn die Weihe der Opfergaben Brot und Wein bei der Wandlung und die erst danach erfolgende Darbringung durch den Priester fallen in mehrere Opferakte auseinander. Also auch bei dieser Theorie erfolgt eine Aufhebung der Beziehung von Messopfer und Kreuzesopfer.200

      Wir müssen in der abschließenden Rückschau auf das theologische Bemühen der nachtridentinischen Zeit festhalten, dass keine Messopfertheorie es vermag, den Opfercharakter abschließend und umfassend darzulegen. Alle Ausprägungen suchen zwar nach dem eigentlichen Opferakt und den Opferelementen in der Messfeier, doch weder ein materieller noch ein spiritueller Opferansatz bringt die Lösung. Das eigentliche Problem der Messopfertheorien ist das allen gemeinsam zu Grunde liegende naturhafte Opferverständnis. Teilweise bringt eine unglückliche Wortwahl in den Theorien Probleme, auch Probleme mit der zu berücksichtigen Konzilslehre Trients. Wir müssen also feststellen, dass die Frage nach dem Opfer der Kirche durch die Theorien, die bis ins 20. Jh. hinein entstehen, nach wie vor offen bleibt.

      Mit den Worten von Leo Scheffczyk lässt sich feststellen:

      „Die Vielzahl der einander widersprechenden und sich gegenseitig aufhebenden nachtridentinischen Theorien ist ein indirekter Beweis dafür, dass eine Wesensbestimmung des Messopfers weder mittels eines naturalistischen noch eines spiritualisierten Opferbegriffes zu erreichen war.“201

      Wenn wir nochmals beispielsweise auf den Thesenansatz Billots zurückschauen, dann müssen wir sagen, dass biblische und patristische Grundgedanken gar nicht berücksichtigt werden. Die theologiegeschichtliche und die dogmengeschichtliche Entwicklung lehnt Billot ab. Trotz all dieser problematischen Herangehensweisen und den damit verbundenen Schwierigkeiten, die in den Konzeptionen von Billot und De La Taille anzumerken sind, haben beide zugleich einen Beitrag zur Überwindung von herrschenden Theorien beigetragen, weil sie die Messe wieder ausdrücklich als „Bild“, als sakramentales Zeichen der einzigen Kreuzesopferwirklichkeit darstellen. Zugleich überwinden sie die Unvollkommenheiten der Bild- oder Zeichenauffassungen, wie sie etwa bei Vasquez stark hervortreten, durch die Erkenntnis der Wirklichkeit des in diesem „Zeichen“ sich offenbarenden Aktes Christi.202

      Damit können wir den Sachstand am Beginn des 20. Jh. kennzeichnen, dass das Messopfer zunächst die Repraesentatio des einmaligen Kreuzesopfers Christi ist. Die Frage nach dem Opfer der Kirche in der Eucharistie ist hingegen nicht geklärt. Opfer der Kirche kann es nicht sein, das einmalige Opfer Christi erneut dem Vater darzubringen. Es kann auch nicht darum gehen, nach einem materialen Opferakt durch die Kirche in der Eucharistie, in der Messfeier zu suchen. Darin haben schon die Messopfertheorien durchweg versagt. Daneben wird durch die Anstrengungen der Messopfertheorien eine mögliche Perspektive angestoßen, die es zu durchdenken gilt. Der Opferbegriff muss mit einem sakramentalen Verstehenshorizont in Verbindung gebracht, und der Versuch unternommen werden, mit einer personalen Opferdimension Christi zu beginnen.

      Neben diesen theoretisch-theologischen Überlegungen zeigt sich auf praktisch-theologischer Ebene, nämlich in der Liturgiebewegung zu Beginn des 20. Jh., eine wichtige Aufbruchsstimmung. Zunächst können wir daran erinnern, dass das Konzil von Trient die Hebung der Kommunionfrequenz als Zukunftsperspektive anstrebte. Doch die Schaufrömmigkeit blieb vorerst der Normalfall. Der Jansenismus mit seinem Gottes- und Menschenbild wirkten sich ebenfalls für einen häufigeren Kommunionempfang negativ aus. Erst unter dem Pontifikat Papst Pius X. (1903-1914) und der erstarkenden liturgischen Bewegung zu Beginn des 20. Jh. zeichnet sich der Wandel ab.203 Zuvor hatte Papst Leo XIII. (1878-1903) mit einer eucharistischen Enzyklika eine neue Wegweisung zumindest angerissen. In seiner Enzyklika „Mirae caritatis“ vom 28. Mai 1902 betont der Papst, dass es immer der Wunsch der Kirche gewesen sei, dass die anwesenden Gläubigen bei einem Messopfer auch zum Tisch des Herrn gehen.204 So entwickelt sich die zukunftweisende Sichtweise, dass der Empfang der Kommunion zur Messfeier untrennbar hinzugehört. Das Wesen der Eucharistie als Opferspeise und zugleich Zeichen der Gemeinschaft der Opfernden tritt neu ins Bewusstsein der Theologen.205 Die liturgische Bewegung dieser Zeit fördert auf ihre Weise den Kommunionempfang und das Nachdenken über die Opferthematik. Es entwickelt sich eine neue Denkrichtung in der Theologie: Die Mysterientheologie. Diese neue Mysterientheologie hat den Anspruch das theologisch zu begründen, was durch päpstliches Dekret bzw. Aufforderung den katholischen Christen zu Beginn des 20. Jh. aufgetragen war.206

      Bei und mit der Mysterientheologie sind wir damit bei ihrem herausragenden Vertreter angelangt: Odo Casel. Seine Konzeption ist der Gegenstand des folgenden Kapitels I. der vorliegenden Arbeit auf der Suche nach dem Opfer der Kirche in der Eucharistie.

      Unser historischer Durchgang durch die Theologiegeschichte zeigt, dass es von Beginn der christlichen Theologie an eine Zusammenschau von Eucharistie und Opferthematik gibt. Die Aktualität der Opferthematik erlebt dabei Höhen und Tiefen in der Aufmerksamkeit der Theologen im Fortgang der Geschichte. Vielfach wird sie zwar mitgedacht, jedoch nicht durchdacht. Im Zeitalter der Reformation ist eine Reflexion unumgänglich geworden. Letztlich schafft es aber auch das Konzil von Trient nicht, die Frage nach dem Opfer der Kirche in der Eucharistie zu klären. Allein die Repräsentation und Vergegenwärtigung des Opfers Christi in der Feier der Eucharistie wird geklärt und später durch den ökumenischen Dialog der Neuzeit die Kontroverse darüber entschärft. Doch die eigentliche Frage, wie nämlich von einem Opfer der Kirche in der Eucharistie gesprochen werden kann und darf, ohne dem allgenügsamen Opfer Christi eine Einschränkung zuzufügen, bleibt bestehen. Welche Art Opfer liegt in der Eucharistie vor und wie ist dieses Opfer mit der Repräsentanz des Opfers Christi in ein und derselben Eucharistiefeier verknüpft? Dieser Fragestellung wollen wir nun mit Hilfe von drei Theologen des 20 Jahrhunderts nachgehen. Beginnen wollen wir mit Odo Casel, den wir schon als Vertreter der Mysterientheologie benannt haben.


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