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Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Michael Hesse
damit zu einer fruchtbareren Neurezeption zu führen.229 Zuletzt hat sich Evgeny Pilipenko in einem Kapitel seines Buches „Person im Sakrament“ mit Casels Gedanken befasst.230
Als grundlegendes Standardwerk ist weiterhin die Untersuchung von Arno Schilson als grundlegende und kritische Überblicksdarstellung zu Casels theologischem Denken anzusehen. Seine Habilitationsschrift von 1982: Theologie als Sakramententheologie. Die Mysterientheologie Odo Casels231 zeigt dessen Anliegen in Bezug auf ein erneuerndes bzw. erneuertes Sakramentenverständnis. Zugleich beleuchtet Schilson die kritischen Punkte in der Konzeption des Benediktiners. Eine letzte wichtige Publikation ist die des Niederländers Jakob Plooij aus dem Jahre 1964 mit dem Titel „Die Mysterienlehre Odo Casels“232. Diese Arbeit eröffnet den Weg für die Rezeption der Mysterientheologie im ökumenischen Gespräch der Konfessionen.
Eine darstellende Untersuchung zum Verständnis der Eucharistie als Opfer der Kirche bei Casel ist jedoch in den genannten Publikationen nicht zu finden, auch Schilson vertieft diese Fragestellung nicht, sie wird meist nur nebensächlich gestreift. Für die Darlegung der Grundzüge der Theologie Casels und deren zeitgeschichtliche Einordnung wird auf die gerade genannte Sekundärliteratur zurückgegriffen. Eine selbständige Herleitung aller Dimensionen allein aus Texten Casels, die zwar genauso herangezogen werden, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eigens geschehen.
Versuchen wir zunächst kurz und holzschnittartig den Blick auf die Grundgedanken und die zeitgeschichtliche Einordnung der Mysterientheologie Casels zu lenken, um anschließend zur eigentlichen Fragestellung zu wechseln, wie Casel die Eucharistie als Opfer der Kirche versteht.
Da wir im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht eigens das weite Feld der Theologie von Odo Casel be- und erarbeiten können, greifen wir im Folgenden dieses Paragraphen in erster Linie auf die genannte Sekundärliteratur zurück und referieren auf deren Grundlage das grundlegende Denken und die theologische Verwurzelung Casels.
4. Die theologische Verortung von Odo Casel
Arno Schilson gelangt in seiner Habilitationsschrift zur Einsicht, dass Casels Theologie gänzlich zeitgebunden ist, d.h., dass Casel auf der Suche nach Antworten auf spezifische Fragen und Geisteshaltungen seiner Zeit ist. Die Mysterientheologie wird als eine der „Not der Zeit“ verpflichtete theologische Neuorientierung verstanden. Der Positivismus und Historismus des 19. Jahrhunderts zeigt seine Auswirkungen. Der Individualismus als vorherrschende Haltung, sowie Technik und Naturwissenschaft als Orientierungspunkte, prägen die Jahre bis zur Jahrhundertwende 1900. Die Theologie dieser Zeit ist in den wesentlichen Zügen der Neuscholastik verpflichtet und die rationale und systematische Durchdringung des Glaubensgutes steht im Mittelpunkt der Theologie. In dieser Phase sieht Casel jedoch die Rückkehr zu einem neuen symbolischen Denken, das Rationalismus und Materialismus überwinden soll und eine Wende einleitet, die schließlich nach 1918 ihren Gipfel in der Renaissance der Mystik und der Tendenz zu mystischreligiösen Grundhaltungen erreicht.233 In dieser Zeit, in der Casel seine ersten Schriften in „Ekklesia orans“ veröffentlicht, sieht Schilson drei Sehnsüchte, die die Menschen bewegen. Die Sehnsucht nach Objektivem, d.h. die Hingabe des Subjekts an das Bestimmtwerden, die Sehnsucht nach Gemeinschaft, d.h. die bewusst vollzogene Abwendung von subjektivindividualistischer Vereinsamung und die Sehnsucht nach Transzendenz, d.h. die Abkehr von Positivismus, Materialismus und Naturalismus. Alle drei Sehnsüchte haben ihren Niederschlag im Versuch der Phänomenologie, der deutschen Jugendbewegung und in erneuerter Mystik gefunden. Zugleich existiert eine Korrespondenz zwischen Geistes- und Liturgiegeschichte. D.h., die liturgische Bewegung hat sowohl eine kirchliche wie auch kulturelle Verortung. So bemüht sich Casel, Schilsons unterstreicht dies, alle Aspekte der Kulturkrise und Zeitenwende in seinen Ansatz zu integrieren, ohne einen Identitätsverlust für das Christentum zu riskieren.234
4.1 Die Wurzeln der Theologie Casels
Wie bereits gesagt, hat Odo Casel Bedeutung für die liturgische Bewegung. Die Benediktinerabteien sind intensiv in die liturgische Erneuerung zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingebunden. Besonders Maria Laach entwickelt sich zu einem innerdeutschen Zentrum der liturgischen Bewegung. Der Laacher Abt Ildefons Herwegen, ebenfalls ein Förderer der Bewegung, betraut Casel mit verschiedenen Aufgaben im Sinne der neuen Bewegung. Sogar Romano Guardini erhält von Laach her Anstöße für seine Arbeit und eröffnet mit seinen Beitrag die Laacher Schriftreihe „Ekklesia orans“. A. Schilson untersucht, inwieweit Casel in seinem Denkansatz von der Denkweise Herwegens abhängig ist, mit dem Ergebnis, dass durchaus Differenzen in peripheren thematischen Fragen vorliegen, jedoch die große Übereinstimmung im gemeinsamen theologischen Ziel liegt, zu einer patristisch fundierten Christozentrik und Ekklesiozentrik zurückzukehren, die eine sakramentalobjektiv verstandene Christusmystik einschließt.235 Herwegen entwickelt seinen eigenen Mysteriengedanken aus den biblischen Schriften, wobei er besonders Paulus und Johannes236 in den Blick nimmt. Er richtet sein Augenmerk auf Texte, die vom erhöhten und verklärten Christus, der in der Kirche fortwirkt, sprechen. Er wendet sich dementsprechend bewusst gegen die Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts. Dabei ist die Vorgehensweise des Laacher Abtes Herwegen, nicht auf wissenschaftliches Herleiten, sondern auf theologische Intuition ausgerichtet. Damit will er der Mysterientheologie eine Zeitbezogenheit geben und dem Anspruch von Aktualität genügen. Somit besitzt eine solche Mysterientheologie dem wissenschaftstheoretischen Status nach keineswegs den Charakter einer bis ins Detail erarbeiteten philosophischen oder theologischen Theorie. Inhalt einer so betriebenen Theologie fragt bei den biblischen Schriften nicht nach ihrer liturgischen Relevanz für bestimmte Vollzüge. Der Kern dieser Mysterien-theologie, und das wird bei Herwegen deutlich, weist auf den Urgrund, d.h. das fortwirkende Handeln Christi.237 Der Ort dieses Fortwirkens Christi ist in der Konzeption Herwegens die Liturgie. Da ereignet sich Christusbegegnung, die zu einer Gleichgestaltung des Christen mit Christus wächst, bis hin zur Ebenbildlichkeit als christianus alter Christus. Gerade dieser Ansatz zum Liturgieverständnis fasziniert schließlich Odo Casel. Schilson unterstreicht, dass Casel dabei nicht als „ausführendes Organ“ seines Abtes gesehen werden kann. Vielmehr ist von wechselseitigen Einflüssen und Hilfestellungen zur Erkenntnis des Mysteriums auszugehen. Da beide eine Vorliebe für die Patristik zeigen, ist es nicht verwunderlich, dass beide ihre Sakramentenbetrachtung auf die sacramenta maiora, also Taufe, Firmung und Eucharistie beschränken.238
Schilson referiert das Anliegen Herwegens detailliert und ordnet es in den zeitgeschichtliche Rahmen ein. Diese Einschätzung können wir hier nur knapp darlegen. Herwegen sucht Antworten auf die Fragen seiner Zeit. Dabei gewinnen Vergleiche von Antike und Germanentum in ihrer jeweiligen Idealtypisierung an Bedeutung. Zugleich erhält die Liturgie Totalitätscharakter, wobei das Wort „omnia instaurare in Christo“ von Papst Pius X. eine nicht unbeträchtliche Rolle spielt. Es ist deutlich, dass der Liturgie das Prädikat verliehen wird, die Lösung des Ausgleichs zwischen Individuum und Gemeinschaft und damit zwischen Subjektivem und Objektivem zu erbringen. Herwegen setzt mit diesem Liturgieverständnis einen Kontrapunkt zum Individualismus. Er bietet so für die Kontroverse von Subjektivem und Objektivem in seiner Zeit die Perspektive einer theozentrischen Neuausrichtung des Menschen an, d.h. das Göttliche ist der neue Mittelpunkt, der Gemeinschaft unter den Menschen schenkt. Die liturgische Erneuerung, im Sinne einer Neuausrichtung auf das einende Göttliche, wird als Antwort auf die Suche nach dem Objektiven gegeben: Die Kirche erfüllt den Anspruch der vollkommensten Gemeinschaft, da in ihr Teilnahme am vollkommensten Objekt, dem göttlichen Leben, möglich ist. Dieser Denkansatz Herwegens impliziert eine Rückbesinnung auf antikes und griechisches Denken. Altkirchliche Liturgie wird von ihm als objektives Denken verstanden, dass sich mit Beginn des Mittelalters zu einer formlosen, individualistischen und subjektivistischen Sichtweise veränderte. Diese Analyse ermittelt tiefe Unterschiede zwischen Antike und Germanentum im Bereich Gott, Mensch und Welt. Das unterschiedliche Seins-Verständnis spielt die entscheidende Rolle. Im Germanentum vermisst Herwegen das Objektive in Liturgie und Frömmigkeitsformen. Die kirchliche Gemeinschaft, als mystischer Leib Christi, besitzt nur moralische Qualität, Gemeinschaft ist vom Einzelwillen abhängig. Dagegen setzt Herwegen auf ein ausgewogenes