Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Michael Hesse
repraesentatio sacrificii veri et sanctae immolationis factae in ara crucis’ sei.“63
Für Albertus ist die Messe repraesentatio und memoriale bzw. commemoratio passionis Christi, aber in Bezug auf den Opfercharakter ist die Messe immolatio vera bzw. commemoratio passionis in modo sacrificii et modo immolationis. Der Oblationsakt, zugleich repraesentatio des Kreuzesopfers, wird von Albertus in die Doppelkonsekration hinein verlagert. Thomas von Aquin geht später den gleichen Weg.64
Der Priester ist nach Albertus Magnus der efficiens ministrans, dessen Funktion er mit „operari in ministerio ad actum sacramentalem“ (IV sent., d.13, c. 29 ad 2 und ad 7) benennt. So wird eine Einheit der Bereitung des Sakraments, also der Realpräsenz, mit dem Opfercharakter der Messe sakramental geschlossen. Zugleich verbindet sich das Messopfer mit dem Kreuzesopfer innerlich zusammen, da, kraft der Gegenwart des Christus passus und der repraesentatio passionis, die Messe aus sich heraus die ganze Wirkung des Kreuzesopfers vermittelt.65 Die Bestimmung bei Albertus (IV sent. D 13 a 23), dass das Messopfer auch als „Opfer der Kirche“ in irgendeiner Weise oblatio ist, wirkt sich später zur Zeit der Reformation, mit der ethisch ansetzenden Missdeutung der paulinisch-augustinischen Christusmystik, auf die Sichtweise der Reformatoren aus.66
1.2 Die Sicht von Thomas von Aquin
In der Zeit der Hochscholastik werden mehr und mehr allegorische Kommentare zur Messliturgie und Untersuchungen über die Transsubstantiation herausgegeben. Die Frage des Opfercharakters der Messe bleibt weiterhin nur sehr eingeschränkt beleuchtet. Mit drei Hinweisen in seiner Summa Theologica deutet Thomas von Aquin († 1274) den Opfercharakter an.67 Dort heißt es, dass die Messe commemoratio und repraesentatio des Kreuzesopfers Jesu Christi ist.68 An anderer Stelle ergänzt er, dass sie auch participatio fructus dominicae passionis ist.69 Woraus abgeleitet werden kann, dass die Messe selbst als sacrificium bzw. immolatio Christi verstanden werden kann. Thomas versteht die commemoratio und repraesentatio ganz im augustinischen Sinne, nämlich als Vergegenwärtigung, hervorgerufen durch Bild und Gleichnis (figura et signis). Der Vollzug des Abendmahlgeschehens garantiert die commemoratio. Die Wirkweise des Sakramentes (ex opere operato) gewährleistet wiederum die participatio fructus.70 Thomas verbindet ebenfalls die Darstellung des Sakraments der Eucharistie in seiner Symbolfülle eng mit dem Hinweis auf deren Opfercharakter. So können wir mit Burkhard Neunheuser zu Thomas resümieren:
„Die Eucharistie ist Opfer als Sakrament des Leibes und Blutes Christi; der Vollzug des Sakraments, d.h. die Wandlung, die Hinstellung der Doppelgestalt von Leib und Blut Christi, ist gleichzeitig das Opfer, gefeiert vom konsekrierenden Priester, der hier als Werkzeug des geschichtlich am Kreuze sich opfernden Herrn das eine Christusopfer gegenwärtig setzt. Die sakramentale, sinnbildlich repräsentierende Handlung der Eucharistiefeier vermittelt in Kraft der (Zeit und Raum überbrückenden) virtus Divina das eine Opfer Christi auch unserer Zeit.“71
1.3 Standpunkt und Ausblick
Mit Thomas von Aquin ist der Höhepunkt der scholastischen Betrachtungsweise der Eucharistie erreicht. Zwar finden sich bei ihm die Tendenzen einer weiteren „Verdinglichung“ in der Verstehensweise der Eucharistie, doch ist sein Beitrag zukunftsweisend, da traditionelle Elemente erhalten bleiben und gefestigt werden. Der Lehrentscheid für die Armenier auf dem Konzil von Florenz (1438-1445) greift auf Thomas von Aquin zurück, wenn das Konzil die Eucharistielehre in den Begriffen der mittelalterlichen Scholastik entfaltet. Erstmals findet sich hier die Formel, dass der Priester „in der Person Christi“ handelt72:
„Die Form dieses Sakramentes sind die Worte des Erlösers, mit denen er dieses Sakrament vollzog; der Priester vollzieht dieses Sakrament nämlich, indem er in der Person Christi spricht.“73
So können wir festhalten, dass Albertus Magnus und Thomas von Aquin eine Effectus-Gegenwart des Kreuzesopfers im Messopfer vertreten. Gleichzeitig tritt das Paradoxon zu Tage, dass die Schultheologie der Spätscholastik den Opfercharakter der Messe vernachlässigt, während der Opfercharakter in sogenannten Messerklärungen mehr und mehr an Bedeutung gewinnt.74 Darum widmen wir uns jetzt diesen mittelalterlichen Messerklärungen.
2.Die populären Meßerklärungen des Mittelalters
Die von der Kirche in den Jahren 1059 und 1079 Berengar von Tours vorgelegten Glaubenszeugnisse (DH 690/ DH 700) verdeutlichen eine objektivierende-statische, auf die somatische Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi ausgerichtete Denkweise. Diese objektiv-statische Sicht wird schließlich durch die Transsubstantiationslehre überwunden, dennoch bleibt die Transsubstantiationslehre auf die somatische Realpräsenz festgelegt. Das bedeutet, dass die an das vergegenwärtigende Gedenken gebundene aktualpräsentische Dimension der Messe verloren war und auch verloren blieb. Diese Lücke will die Messallegorie des Mittelalters versuchen zu schließen.75
Seit dem frühen Mittelalter werden diese Messerklärungen, besonders nördlich der Alpen, sehr populär. Das Bedürfnis, in der Muttersprache die Messe zu erklären – selbst für den Klerus – brachte einen Typus nichtliturgischer Schriften hervor, der bis in die neuere Zeit hinein die Messfrömmigkeit, die Theologie und den Ritus beeinflusst hat, d.h., dass das ganze Mittelalter durch eben diese allegorische Auslegungsmethode bestimmt wird. Dabei werden mit der sogenannten rememorativen Allegorese die einzelnen Teile des Messritus mit dem Gang der alt- und neutestamentlichen Begebenheiten, besonders mit dem Leiden, dem Tod und der Verherrlichung Jesu parallelisiert. Daneben gibt es die typologische, moralische und eschatologische Allegorese.76
„Zu aller Zeit war die Wahrheit vom Kreuzesopfer, das Christus ‚ein für allemal’ als voll genügendes Opfer des Neuen Bundes darbrachte (vgl. Hebr 9-10), die Basis der katholischen Messopferlehre. Doch hatte sich die spät-scholastische und zeitgenössische Theologie [der vorreformatorischen Zeit] wenig oder nur in mangelhafter Weise mit diesem Lehrpunkt befasst.“77
Man konzentrierte sich auf die Fragen nach dem Warum, dem Wie und dem Wann der Gegenwart des Leibes und Blutes Christi. Einher mit dieser Linie theologischer Fragen rückt die Messe immer mehr als Opfer der Kirche, deren Repräsentant der Priester ist, in das Bewusstsein.78 Wenn auch der Opfercharakter der Messe nur sehr geringfügig reflektiert wird, so nimmt er doch gerade in den Meßerklärungen für das Volk derartige Popularität an, dass dem Protest der Reformatoren geradewegs der Weg geebnet wird, worauf wir noch zu sprechen kommen werden.79 Zunächst halten wir fest:
„Es war der zum (real)symbolischen Denken unfähige Nominalismus, der im Spätmittelalter die Einheit zwischen Kreuzes- und Messopfer völlig aufgelöst hat. Man fragte nach dem ‚Wert’ der Messe für Lebende und Verstorbene, nach den … ‚Messfrüchten’ und konnte sich ein reales Messopfer nur als wirkliche Darbringung eines neuen Opfers vorstellen. Die Messe wurde nicht mehr als das real gegenwärtige eine und einzige Opfer Christi gesehen, sondern als Werk des menschlichen und darum auch sündigen Priesters, der als solcher kein Opfer darbringen kann, das unbegrenzten Wert hätte.“80
Der Nominalismus hat kein Verständnis für das Symbol, das an der Wirklichkeit partizipiert. Wort und Begriff sind insofern nur Gedankengebilde und haben nicht den Charakter von natürlichen Zeichen. Das Sakramentenverständnis musste so zwangsläufig an der Oberfläche stagnieren, und das Sakrament wurde nicht als etwas begriffen, das bezeichnet, was es bewirkt. Die Beziehung von Begriff und Sache ist aufgegeben und die Trennung von Sakrament, als Zeichen, und der Gnadenvermittlung ist vollzogen.81 Die Theologie dieser Zeit findet keinen Zugang zur Ganzheit der Eucharistie. Periphere Fragestellungen und Akzentuierungen bewirken ein Übriges. Dennoch muss zugleich gesagt werden, dass die damalige kirchliche Frömmigkeit irgendwie dennoch um die Messe als die Darstellung des Kreuzesopfers kreist.82 Die Messerklärung des Gabriel Biel († 1495) und der Artikel Missa im theologischen Lexikon Altenstaigs, Vocabularis