Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Michael Hesse

Die Eucharistie als Opfer der Kirche - Michael Hesse


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liturgische Handeln der Kirche, zu verzeichnen ist? Diese Thematik steht vielleicht nicht so sehr im Fokus der aktuellen Theologie, auch wenn ein Interesse am biblischen Opferverständnis gerade zu Beginn des 21. Jahrhunderts auszumachen ist. Mitunter dreht sich die Diskussion darum, ob das Kreuzesgeschehen heute noch mit dem Opferbegriff in Verbindung gebracht werden kann und darf.4 Die vorliegende Arbeit will sich der Frage widmen, ob die Sichtweise eines christlichen „Opfers“, insbesondere eines „Opfers der Kirche“ obsolet geworden ist, oder ob die Frage nach einer derartigen Dimension für und von Kirche nicht zu beleuchten und zu klären ist, statt diese Thematik totzuschweigen. Was ist überhaupt das Opfer der Kirche in bzw. bei der Eucharistiefeier? Wer kann darauf heute sofort eine Antwort geben? Betrifft diese Frage die Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden oder hat sie zugleich eine persönliche Dimension für den einzelnen Gläubigen?

      In den Jahrzehnten nach dem II. Vatikanischen Konzil, ist ein Wandel im Eucharistieverständnis zu verzeichnen. Lehrt seinerzeit das II. Vatikanum in der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ (SC 2): „In der Liturgie, besonders im Heiligen Opfer der Eucharistie, ‚vollzieht sich’ ‚das Werk der Erlösung’“5, setzt nach dem Konzil eine Veränderung ein. Vielfach wird der Begriff „Opfer“ als unzeitgemäß angesehen. Diesen Wandel bringt man gerne mit der äußerlichen Veränderung von der Altarwand zum Abendmahltisch, vom Opferaltar zum Mahltisch in Verbindung, also der Zelebrationsrichtung.6 Ist das wirklich so? Hat die Veränderung des liturgischen Ortes zu einer theologischen Veränderung geführt oder hat vielmehr eine theologische Veränderung zu einem liturgischen Umdenken geführt? Sind die theologischen Veränderungen Anzeige für eine Bewegung, die die endgültige Abschaffung von opferterminologischen Anklängen in der Liturgie vorantreibt? Ein semantischer Wandel bei der Benennung der Feierform hat sich ohnehin eingestellt, der im Allgemeinen nicht so sehr wahrgenommen wird. Man spricht heute von Eucharistie und Wortgottesdienst.7 Die traditionelle Redeweise vom „Messopfer“, die Jahrhunderte lang selbstverständlich war, geht verloren. Warum ist der Gebrauch des Begriffs „Messopfer“ verschwunden oder allenfalls noch in Sterbebildchen verwendet, wo er antiquiert wirkt oder unverstanden bleibt: Gedenket beim Hl. Messopfer unseres lieben Verstorbenen?

      Die Eucharistiefeier scheint heute mehr vom Mahlcharakter, denn vom Opfercharakter geprägt zu sein, was mitunter zu Kritik führt.8 Um das Spannungsverhältnis von Opfer und Mahl zu beseitigen, tendieren Lösungsversuche gern dazu, sich nach der einen oder anderen Seite aufzulösen: Mahl oder Opfer, statt Mahl und Opfer. Die Befürworter der Mahldimension wollen auf den Opfercharakter verzichten, die Befürworter der Opferdimension ihrerseits auf den Mahlcharakter.9 Wird durch einen einseitigen Lösungsansatz nicht die ekklesiologische Dimension verkürzt? Papst Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ den Verlust des Opfercharakters thematisiert:

      „Ohne Zweifel war die Liturgiereform des Konzils von großem Gewinn für eine bewusstere, tätigere und fruchtbarere Teilnahme der Gläubigen am heiligen Opfer des Altares … In dem einen oder anderen Bereich der Kirche kommen Missbräuche hinzu, die zur Schmälerung des Glaubens und der katholischen Lehre über dieses wunderbare Sakrament beitragen. Bisweilen wird ein stark verkürzendes Verständnis des eucharistischen Mysteriums sichtbar. Es wird seines Opfercharakters beraubt und in einer Weise vollzogen, als ob es den Sinn und den Wert einer brüderlichen Mahlgemeinschaft nicht übersteigen würde.“10

      Die Theologie ist demnach aufgerufen, den Opfercharakter der Eucharistie für die Gegenwart in den Fokus zu stellen. Sie hat die Aufgabe, das Opfer der Eucharistie zu erklären und zu begründen und so für unsere Zeit verständlich auszusagen. Dabei muss sie den zweifachen Opfercharakter der Eucharistie unterscheiden und darlegen. Darauf wollen wir im nächsten Abschnitt eingehen.

       2. Die zweifache Frage zur Thematik des Messopfers

      Die Eucharistie ist zum einen das Gedächtnis des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Auf die theologische Grundlegung dieser Aussage, die im Laufe der Theologiegeschichte Kritik und Fragen heraufbeschworen hat, nicht zuletzt auch in ökumenischer Hinsicht, werden wir jetzt im Prolog genauer eingehen.

      Für unsere vorliegende Arbeit ist hingegen eine zweite Fragestellung die entscheidendere, die ohne die vorgenannte Aussage jedoch nicht beantwortet werden kann. Die bis heute drängende Frage ist, wie von einem „Opfer der Kirche“ in der Eucharistie gesprochen werden darf und kann, und worin dieses Opfer besteht? Was macht den Opfercharakter der Eucharistiefeier als Opfer der Kirche aus? Was ist in der Eucharistie der eigene Opferakt der Kirche? Kann es überhaupt ein Opfer der Kirche geben, wenn Jesus Christus ein für alle Mal am Kreuz dem Vater geopfert und alle anderen Opfer erfüllt hat (vgl. Hebr 7,27; 9,12)? Ist das Opfer der Kirche in der Eucharistie dann ein Mitopfer mit Jesus Christus, in dem es zu einer Doppelung der Darbringenden kommt? Ist die Kirche Subjekt oder Objekt des Opfers, d.h. ist sie aktiv oder passiv beteiligt? Opfert sie selbst etwas, und wenn ja, was? Oder lässt sie sich nur passiv von Christus ihren Ort in seinem Opfer zuweisen? In welchem Verhältnis steht die Kirche zu Christus in aktiver oder passiver Weise in dieser Opferhandlung? In allen diesen Fragen liegt ein nicht zu unterschätzender Gesichtspunkt auch für den ökumenischen Dialog.

      Die zweifache Frage zum Opfercharakter der Eucharistie darf nicht voneinander abgekoppelt werden. Wenn der theologische Diskurs, wie wir im geschichtlichen Durchgang sehen werden, weitestgehend das Verhältnis von einmaliger Erlösungstat Christi in Tod und Auferstehung und deren Repräsentation in der Feier der Eucharistie zu erläutern hat, so rufen wir uns dies im historischen Durchgang in Erinnerung, um schließlich unsere aktuelle und heute drängende Frage zu bearbeiten, wie es um das Verhältnis von Identität und Differenz des einen und einzigen Opfers Christi und einem Opfer der Kirche in der Eucharistie bestellt ist.11 Es soll in der vorliegenden Arbeit darum gehen, ob es ein wirkliches Opfer der Kirche gibt, ohne dabei Gefahr zu laufen, die Tat Jesu Christi als unvollkommen erscheinen zu lassen und die Einmaligkeit und den Vorrang seines Handels in Frage zu stellen.

       3. Der Gang der Untersuchung

      Um den Gang der folgenden Untersuchung kurz zu skizzieren, einige Anmerkungen zur Logik des Aufbaus: Zunächst soll ein Überblick über den historischen und theologischen Stellenwert des kirchlich-christlichen Opfergedankens und dessen Entwicklung vermittelt werden. In dieser Arbeit soll nicht noch einmal referiert werden, was schon hinreichend geschehen ist: die Aufarbeitung der biblischen Opfertermini und deren spezifisches Verständnis. In dieser Arbeit geht es um die Beantwortung der Frage, wie die Kirche seit den nachapostolischen Zeiten mit dem Thema „Opfer“ im jeweiligen theologiegeschichtlichen Verstehenshorizont umgegangen ist. Wir beginnen mit einem Überblick über Interpretationen des Zusammenhangs von „Opfer“ und „Messfeier“ im Verlauf der Kirchengeschichte, um so zu ermitteln, ab wann und in welcher Weise von einem „Opfer der Kirche“ gesprochen wird. Dieser geschichtliche Überblick wird sich auch über die einschneidende Epoche der Reformation und das Konzil von Trient erstrecken. Im Nachgang des Konzils entstanden verschiedene Messopfertheorien, die für unsere Fragestellung insofern von Bedeutung sind, als sie von der Absicht getragen waren, die zweifache Frage nach der Eucharistie als Opfer der Kirche grundlegend zu beantworten.

      Von hier aus stellen wir einen Bezug her zum 20. Jahrhundert, das mit dem Benediktiner Odo Casel eine neue Antwort auf unsere Themafrage entwickelt. Aus diesem Grund liegt es nahe, das erste Kapitel diesem Vertreter der sogenannten Mysterientheologie zu widmen. Mit Odo Casel lassen wir eine der tragenden Persönlichkeiten der liturgischen Bewegung zu Wort kommen. Er beginnt seinen Denkweg, indem er von der konkreten Liturgieentfaltung ausgeht, auf die Vätertheologie zurückgreift und dann eine eigene These entwickelt. Casels Vorliebe für die Patristik ist gepaart mit einer streckenweise übertriebenen Zurückhaltung gegenüber neueren theologischen Entwicklungen der Theologiegeschichte.

      Während Casel von den Vätern her denkt, entwickelt Karl Rahner seine Antwort auf die Frage, inwiefern die Eucharistiefeier auch Opfer der Kirche ist, in positiver und zugleich kritischer Auseinandersetzung mit der Scholastik. Er, einer der prominentesten


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