Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Michael Hesse
das er in die Ausbildung seines transzendentaltheologischen Denkens einfließen lässt. Mit Rahner binden wir zugleich einen Peritus des II.Vatikanums in unser Thema ein.
Wenn irgendein Theologe des 20. Jahrhunderts so etwas wie eine Einfaltung aller großen Antworten auf unsere Themafrage bietet, dann Hans Urs von Balthasar. Deshalb beherrscht er das dritte Kapitel dieser Untersuchung. Er verbindet in seinem Denken verschiedene geisteswissenschaftliche Aspekte, denn er „schöpft wie kein Zweiter aus den Schätzen der Religions-, Theologie-, Philosophie-, Literatur-, Musik-, und Kunstgeschichte.“12
In den drei genannten Kapiteln werden wir jeweils zunächst einen Überblick über die geistige Biografie und die ausgewählte Literatur bieten. Für unser Thema befragen wir in erster Linie die Primärtexte von Casel, Rahner und von Balthasar. Die herangezogene Sekundärliteratur dient dazu, Aspekte im jeweiligen Denken der drei Theologen für unsere Fragestellung fruchtbar werden zu lassen, die nicht eigens im engen Rahmen unserer Untersuchung ausgearbeitet werden können. So werden dennoch bestimmte Denkschritte der Theologieentwürfe deutlich, und die Aussagen und Erkenntnisse zu unserem Thema in den Gesamtkontext der drei Theologieentwürfe integriert.
Wir werden im Fortgang der Untersuchung immer vom christologischen Ansatz der befragten Autoren ausgehen und also fragen, ob und in welcher Weise im Kreuzesgeschehen eine opfertheologische Konnotation gesehen wird. Erst dann folgt der Blick auf den ekklesiologischen Entwurf, in dem Casel, Rahner und von Balthasar je auf ihre Weise die Frage beantworten, wie sie der Kirche bzw. den Kirchengliedern ein opfertheologisches Mittun zuweisen. In einem dritten und letzten Schritt erfolgt die Charakterisierung und Profilierung des jeweiligen Beitrags zu Erklärung der Eucharistie als Opfer der Kirche.
Nachdem wir die Antworten der drei großen Theologen des 20. Jahrhunderts untersucht und dargestellt haben, folgt zum Schluss der Blick auf die Konvergenz der Entwürfe, um so zu einem abschießenden Resümee ansetzen zu können, wie die Eucharistie als Opfer der Kirche heute verstanden werden kann.
Um im Heute eine Antwort auf die Frage nach dem Opfer der Kirche in der Eucharistie zu geben, ist es notwendig, die drei Ansätze von Casel, Rahner und von Balthasar in die Theologiegeschichte einzubetten. Denn erst in der Freilegung einer Kontinuität durch die Jahrhunderte hindurch lässt sich der rote Faden entdecken, an den jeder neue Ansatz oder Entwurf anknüpfen muss. Nur im genauen Wissen um die Argumente der Tradition kann sich das ökumenische Gespräch mit der protestantischen Gegenposition vor oberflächlicher Irenik oder voreilig formulierten Konsenspapieren schützen.
§2 Die Entwicklung des Opfergedankens von der Patristik bis zum Mittelalter
Wir können hier nicht eine umfassende Untersuchung der theologischen Entwicklung zum Opferverständnis leisten und stellen darum allein entscheidende Wendepunkte der Denkweise zu unserem Thema heraus.
1. Das Opferverständnis der Kirchenväter
Ein Konsens über das Verständnis von „Opfer“ ist in der frühen Väterzeit der Kirche nicht vorhanden, wozu uneinheitliche Opferaussagen im Neuen Testament beitragen. Im 2. und 3. Jahrhundert nach Christus wird unbedenklich alttestamentliche neben der aus dem religiösen Umfeld übernommenen Opferterminologie verwendet, so dass das altkirchliche Schrifttum die griechischen Begriffe θυσία, προσϕορά und δω˜ρον sowie die lateinischen Begriffe sacrificium, hostia und oblatio kennt. Diese werden dabei in zweifacher Weise verwendet, zum einen dienen sie, weil sie vertraute Termini des alttestamentlichen Tempelkults sind, als Rückverweis auf die biblische Tradition, zum anderen aber sind diese Termini hilfreich zur Behandlung der heidnischen Opferpraktiken. Ebenfalls gebraucht die Patristik die genannten Opfertermini zugleich für ihre Selbstdarstellung.13
Die frühe Kirche interpretiert den Tod Jesu als (Sühne-)Opfer und fußt damit auf den, durch gemeindliche Praxis beeinflussten, neutestamentlichen Einsetzungsberichten des Abendmahls Jesu. Dieses Herrenmahl versteht man vom Anamnesebefehl her als Gedächtnisfeier des Opfertodes Jesu. Diese Beziehung des Opferbegriffs zum Eucharistieverständnis beinhaltet die Frage, welche Konsequenzen aus der unbedenklichen Verwendung der bisherigen Opfertermini für das Eucharistieverständnis entstanden? Daher müssen wir zunächst einen genaueren Blick auf die einflussreichen griechischen Termini werfen.
1.1 Die ersten christlichen Opferbegriffe
1.1.1 θυσία ~ sacificium
Clemens von Rom († um 97) schreibt in seinem Brief an die Korinther (1Clem 52,1-2), dass Gott von Niemandem etwas brauche, außer den Glauben zu bekennen. Dies folgert er aus Psalmtexten, die von einem geistigen Opfer sprechen. Damit gibt er dem Begriff θυσία eine eindeutige Definition: Die geistigen Handlungen des Menschen sind Opfer vor Gott.14 Der Ausdruck θυσία erhält dann später in der Septuaginta eine kultische Zuweisung, wobei sich vier verschiedene Bedeutungsebenen unterscheiden lassen. Am häufigsten sind damit die alttestamentlichen Opfer gemeint, die in Beziehung zum Christusereignis gesetzt werden und zugleich davon relativiert und überboten werden. Zunächst ist es die Passion Christi, die als Opfer bezeichnet und herausgestellt wird (Mt 9,13; 12,7; Mk 12,33; Apg 7,41-42; 1 Kor 10,18; Hebr 5,1; 8,3; 9,9; 10,1.5.8.11; 11,4). Eine weitere Bedeutung des Begriffs θυσία ist die Übertragung auf den christlichen Gottesdienst, der den Teilnehmern Wohlergehen zuspricht. Hierfür werden andere Textstellen (Röm 12,1; 1 Petr 2,5; Phil 2,17; 4,18; Hebr 13,16) als Beleg angeführt, die jedoch keinen Bezug zur Eucharistie erkennen lassen.15 Die letztgenannte Belegstelle (Hebr.13, 16) aus dem Hebräerbrief steht dennoch in engem Zusammenhang mit der erwähnten Stelle aus dem 1. Clemensbrief.16 Festhalten können wir, dass die Dokumente der ersten beiden christlichen Jahrhunderte den Begriff θυσία verwenden, wenn es um die alttestamentliche Rückbindung eines neutestamentlichen Geschehens geht. In dieser Zeit ist es wichtig, die Passion Christi auf alttestamentliche Begebenheiten zu beziehen. So wird die Erlösung durch Jesus Christus im Gewand opferthematischer Begriffe beschrieben. Beispiele hierfür sind wiederum der 1. Clemensbrief, sodann Schriften Justin des Märtyrers und von Irenäus von Lyon. Erst die Didache weitet die Begriffsbedeutung von θυσία auf die Eucharistie aus. Dabei stellt die schriftliche Fixierung in der Didache wohl das Ende eines Prozesses dar, der nun die Selbstverständlichkeit der Eucharistie als θυσία (Opfer) festigt und zur Tradition macht.17 Dass nämlich die Didache die Verschriftlichung einer Entwicklung darstellt, zeigt sich in der Fortentwicklung bei Justin der Märtyrer und Irenäus von Lyon, die die alttestamentliche Stelle Mal 1, 10ff, zitiert in der Didache (14,3), interpretieren.18
Das Brotbrechen und Gott Danksagen sind gemäß Didache das Opfer der neutestamentlichen Gemeinde vor Gott. Die Eindeutigkeit des Bezuges des Opfers ausschließlich auf die eucharistischen Gaben lässt sich jedoch nicht herauslesen.19
1.1.2 πϱοσϕοϱά ~ oblatio
Terminologisch ist προσϕορά seltener vertreten als θυσία. Mit diesem Nomen wird innerhalb des NT mit Vorliebe auf die alttestamentlichen Opferarten zurückgegriffen, um diese entweder zu würdigen oder zu entmachten, weil sie durch Christi Opfertod unwirksam geworden sind. Im Epheser- und Hebräerbrief (Eph 5,2; Hebr 10,10) wird die Passion Jesu als die neutestamentliche προσϕορά dargestellt. Dabei steht sie Seite an Seite mit der θυσία. Die Hingabe Jesu in den Tod ist die würdige Opfergabe an Gott. Der Begriff προσϕορά tritt jedoch im NT nicht im Zusammenhang mit der Eucharistie auf.20
In der Zeit der Apologeten fragt man nach dem Wert der Opfer in beiden Testamenten. Dabei steht unerschütterlich fest, dass Passion und Tod Jesu Christi, die mehrmals mit προσϕορά beschrieben werden, die Erfüllung der alttestamentlichen Opfertypen darstellen. Zudem wird nun der Märtyrertod mit diesem Terminus belegt. Im Verlauf des ersten Jahrhunderts wird dann die Eucharistie in den näheren Umkreis