Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Michael Hesse

Die Eucharistie als Opfer der Kirche - Michael Hesse


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Damit stellt sich jetzt die Frage, welche Konsequenzen das Wesen der Kirche für das Handeln der Ekklesia hat bzw. wie sich das Wesen der Kirche konkret äußert. Dabei ist zugleich zu fragen, kann die Ekklesia eigenständig aktiv handeln, oder handelt sie passiv mit Christus, ihrem Haupt und Bräutigam. Diese Frage ist für unser Thema von großer Bedeutung, weil wir ja letztlich nach der Eucharistie als Opfer der Kirche fragen.

      Bisher haben wir in der Ekklesiologie Casels nach den Bildern der Einheit mit Christus gefragt und fanden „Leib“, „Braut“ und „Jungfrau-Mutter“ als wirklichkeitserfüllte, christologische Kirchenbilder. Die Einheit der Kirche mit Christus zeigt sich laut Casel zugleich in konkreten Lebensäußerungen und nennt die ganze Liturgie und insbesondere die Sakramente an dieser Stelle. Als wir uns die Grundzüge des Theologieentwurfes Casels deutlich machten, sahen wir, dass das eine Mysterium Christi bei Casel nicht ohne das Kultmysterium denkbar ist. Wir wollen uns darum nun abschließend in diesen Paragraphen der Ekklesiologie dem Kultmysterium bei Casel eingehender zuwenden und danach im nächsten Paragraphen konkret die Eucharistie in der Fragestellung der Vergegenwärtigung des Lebensopfers Christi im Kultmysterium der Ekklesia bearbeiten. Daraus wird sich ergeben, ob und in welcher Weise überhaupt von einem Opfer der Kirche die Rede sein kann.

       6. Das Kultmysterium der Ekklesia

      Grundlegendes zur Ekklesiologie Casels haben wir uns bereits im 1. Paragraphen vor Augen geführt. Bei Casel wird die Heilsvermittlung grundsätzlich ganzheitlich und personal verstanden und daher ist die Gnade ganz konkret verstanden. Die Einheit von Gläubigen und Christus ist als „Mitsterben und Mitleben“ der Gläubigen mit Christus angesehen. Dieses „mit“ Christus bildet die sakramentale Grundgestalt.454 Taufe und Eucharistie sind für Casel, gerade durch die Normativität der Väterzeit, der eigentliche Ausgangspunkt für das „mit Christus“. Als sacramenta maiora sind sie Fixpunkt für die christozentrische Ausrichtung auf die Passion Christi, in der ihr Entstehen liegt. Die übrigen Sakramente, mit Ausnahme der Firmung, sind somit schwieriger von Casel in eine so eng konzipierte Sakramententheologie einzufügen. Priesterweihe, Ehe, Buße und Krankensalbung versteht er darum eher vom Sein und Handeln der Kirche her als zentrale Verwirklichungsweisen des Kircheseins und zugleich als Manifestation der Lebensgemeinschaft mit dem Haupt Christus. Casels Anliegen ist es, eine losgelöste und individuelle Gnadenvermittlung abzuwehren und vielmehr eine tätige Mitwirkung der Kirche im Sakrament aufzeigen. Das Sakrament erhält von Casel die Bedeutung einer Ausdruckshandlung der inneren Beziehung von Christus und Kirche: Sakramente sind von Christus bereitstellt, damit die Kirche Christi Liebe nun in unüberbietbarem Symbol ausdrücken kann.455

      Dieses Konzept sieht im Kultmysterium nicht allein die Gnadenwirkung, also allein den Effekt aus dem Heilshandeln Christi, sondern das Erlösungswerk selbst wird als solches gegenwärtig gesetzt. Es wendet sich also gegen jedwede Effektustheorie. Auch wenn Casel eine ablehnende Haltung gegenüber der Scholastik einnimmt, beruft er sich doch öfter auf das scholastische Grundprinzip „Gratia supponit et perficit naturam“, meist in Bezug auf die heidnischen Mysterienkulte und ihr Verhältnis zu den christlichen Sakramenten. Um seine Argumentation zu festigen, greift er auf Thomas von Aquin zurück. Doch lässt sich zeigen, dass Thomas letztlich nicht für die These Casels Pate stehen kann, sondern nur als Zeuge der Tradition benannt werden kann. Als Theologe sieht Thomas von Aquin dann doch schon die schlichte Gegenwart der Gnade mit dem rein symbolischen Gedächtnis des Heilswerkes. Casel will aber im Kultmysterium die geschichtliche Heilstat als „pneumatisches Geschehen“ gegenwärtig sehen, d.h. die Heilstat, in der seinsmäßigen Wandlung vom Leiden zur Herrlichkeit hindurch, wird nicht neu von Karfreitag bis Ostern vollzogen, sondern wird unter einem kultischen Symbol gegenwärtig. Casel geht es bewusst nicht um die Gegenwärtigwerdung nur der Gnadenwirkung des österlichen Erlösungsgeschehens.456 Für Casel steht immer die Vergegenwärtigung des ganzen Christusmysteriums im Vordergrund aller Ekklesiologie. Warum legt er aber diesen besonderen Wert auf die kultische Vergegenwärtigung des Christusmysteriums?

       6.1 Kultmysterium als Ausdruck der Einheit von Gott – Mensch

      „Die Einheit von Gott und Mensch im Christusmysterium wird durch die Einheit von Christus und der Kirche im Kultmysterium gegenwärtig und zugänglich. Die anthropologischen Voraussetzungen, die Casel in den antik-heidnischen Mysterien und deren Symboldenken fand, sind ebenso wie historisch-kritische Überlegungen einzubeziehen. Sie ersetzen die philosophischen Grundlagen christlicher Theologie nicht, sondern fordern sie heraus. Die langen religionshistorischen und philologischen Auseinandersetzungen Casels mit den Gegnern einer Vorbildhaftigkeit der antiken Mysterien für das christliche Verständnis belegen den Mangel einer adäquaten philosophischen Grundlegung. Die knappe Formulierung Thomas’ von Aquin: gratia supponit et perficit naturam, lässt offen, was in diesem Zusammenhang Natur des Menschen bedeutet.“457

      Casels Sicht der menschlichen Natur ist harmartiologisch bestimmt. Eine positive Würdigung der menschlichen Natur oder die Vorstellung, dass diese durch die Gnade entfaltet werden könnte, sucht man in diesem theologischen Konzept vergeblich. Es findet sich eher die Gleichsetzung von Natur und Sünde. Das Kreuz bildet die Gegenposition zur gottfernen Natur. Die Natur erscheint als die Kluft zwischen Gott und Mensch. Dabei zeigt sich eine bedenkliche Tendenz. Schilson zeigt auf, dass es zu einer so großen Vergöttlichung des Menschen durch das Gnadengeschehen kommt, dass die Gefahr besteht, dass das Geschöpfsein des Menschen verloren geht und die Individualität eingebüßt wird. Der „natürliche Mensch“ verliert sich zugunsten seiner Bestimmung als „zweiter Christus“. Der Mensch soll in dieser Konzeption der Gnade seinem eigenen Ich sterben, um zum Mysterium, zum Symbol der Einheit von Gott und Mensch im Gottmenschen Christus zu werden. Schilson bemerkt, dass hier eine überzogene Theozentrik vorliegt.458 Nun schließt sich für uns die Frage an, wie in der Caselschen Denkform Gnade und Freiheit des Menschen grundsätzlich zueinander stehen. Die Freiheit meint bei Casel zwar die wahre Größe des Menschen, dennoch hat Gottes Gnade bei ihm absoluten Vorrang.459

       6.2 Gnade und Freiheit

      Casels Freiheitsbegriff zielt auf die Gottesebenbildlichkeit, die den Menschen befähigt, sich ohne Begrenzung und Enge zu betätigen, allerdings in Bindung an Gott.460 Der Begriff „Freiheit“ ist nicht in neuzeitlicher Verstehensweise gebraucht. Es geht nicht um schöpferische Selbstentfaltung oder – verwirklichung. Wenn Casel von Freiheit spricht, meint er die höchstmögliche Verwirklichung von Freiheit, wo der Mensch sich selbst mit der Urheilskraft Gottes identifiziert und seine Identität findet, um so Heil zu erlangen. D.h., dass Freiheit das Einfügen des Menschen in das sakramentale Symbol meint, das wiederum die Totalidentifikation mit Christus repräsentiert. Die Mysterien sollen eine Umwandlung des Lebens bewirken, ein Leben mit Christus und in Christus. Dabei besteht die Gefahr, so sagt wiederum Schilson, die Alleinwirksamkeit Gottes im Heilshandeln und im ganzen Leben des Menschen absolut zu setzen. Doch die Situation entschärft sich dadurch, dass es einige Stellen in den Schriften Casels gibt, die um eine Ausgewogenheit von Gnade und Freiheit des Menschen bemüht sind. Es bleibt also die deutliche Hervorhebung der menschlichen Handlung. Die Gnade hat Priorität, soll die Freiheit aber nicht antasten, sondern als Geschenk Gottes, das Mitleben mit Christus wecken.461

      Casel fühlt sich dabei vom NT getragen. Die dortige Agape-Mystik, die Gott als Ursache der Agape betrachtet, die der Mensch nur empfangend erreichen und sich dazu nur antwortend verhalten kann, fasziniert ihn.462 Seine Definition dieses christozentrischen Identifikationsprozesses ist ohne ein sakramentales Gedächtnis mit realsymbolischer Kraft jedoch nicht vorstellbar. Der Mensch soll zu einem Bild Christi gestaltet werden, eben im Vollzug der Sakramente. Nur eine Nachfolgebestimmung wäre nicht weitreichend genug. Casel ist dies zu äußerlich und vorösterlich. Hier setzt sein Begriff der Mysteriennachfolge an.463

       6.3 Mysteriennachfolge im Kultmysterium der Ekklesia

      Mit


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