Die Eucharistie als Opfer der Kirche. Michael Hesse
er die Mutter Jesu an. An ihrem Leben ist der Akt der Kirche für ihn ablesbar und aus diesem Grund gebührt ihr, der Mutter Jesu, die Stellung als Vorbild aller virgines Christi.433 Neben der Mutter Jesu, werden im Altertum auch die Heiligen in einem tiefen Sinn als Glieder der Ekklesia und somit Glieder Christi verstanden. Daher sieht Casel die Heiligenverehrung in erster Linie als Christusverehrung. Die Heiligen zeichnen jeweils einen Typus der Ekklesia. Das Verschwinden dieses alten Verständnisses führt später zur Individualisierung der Heiligenverehrung, besonders der Marienverehrung. So vermisst Casel Vieles, das verloren ging bzw. überlagert wurde, was jedoch vom Ursprung her von der ganzen Ekklesia ausgesagt wurde.434 Beispielsweise ist es bei Casel ein wichtiger Punkt, dass das Psalmwort „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“ (Ps 2,7) auf die Ekklesia und gleichfalls auf die christliche Einzelseele, die anima ekklesiastica, Anwendung findet. Im Mysterium der Taufe wird die Gnade der Kindschaft Gottes wieder hergestellt. Nun ist der Christ in seinem Leben dazu aufgerufen, in den Mysterien der Kirche dem vollkommenen Menschenbild immer mehr gerechter zu werden, um schließlich durch den Menschensohn zum vollen Menschen, d.h. wie Gott ihn im ewigen Schöpferwillen gewollt hat, zu werden.435 Die Mysterien der Kirche werden wir später behandeln. Wenn Casel nun die Heiligen und allen voran die Mutter Maria als vorbildliche Topoi der einen Ekklesia neu verständlich machen will, müssen wir uns im Hinblick auf etwaige Auswirkungen auf die Frage nach dem Opfer der Kirche, zunächst hier mit dem Bild der Mutter Kirche eingehender befassen.
5.1 Die Mutter Jesu als Typus der Ekklesia
Maria, die Mutter Christi hat in Casels Schriften und Vorträgen einen hohen Stellenwert. Immer wieder ist ihr Leben Gegenstand seiner Überlegungen. Er hebt hervor, dass Gott sie als neue Eva geschaffen und der Sehnsucht der Menschen nach Gott in ihr Ausdruck verliehen habe. Sie ist Sitz der Gnade, wie Casel das „Ave Maria“ kommentiert, und als Jungfrau ganz für das Heilige und Göttliche da. Gottes Huld und das Blut des Sohnes bewahren sie vor aller Befleckung. Gleichfalls ist Maria die Braut Gottes, die voll Liebe ist und daher rein. Maria steht am Anfang der neuen Menschheit, die in ihrer Person wieder Gottes Braut geworden ist. Sie ist den Weg zu Gott zurückgegangen, statt sich wie das Volk Gottes, von ihm zu entfernen. Durch die bräutliche Hingabe an Gott ist Maria zur Trägerin des Pneumas geworden und Gott kann so aus ihr Fleisch annehmen, was sie zur Mutter Gottes macht. Damit ist Maria über die irdische Mutterschaft herausgehoben, denn sie empfängt nicht aus dem Willen des Fleisches, sondern aus dem Willen Gottes. Die Jungfrau wird durch das Pneuma zur Mutter. Daher steht es für Casel außer Frage, dass Maria die beiden Ehrentitel Jungfrau im Pneuma und Mutter im Pneuma gebühren. Maria ist zur Erfüllung des Kreaturseins gelangt, das darin besteht, Gott anzugehören und ihn in sich wieder zu gebären. Marias Herrlichkeit kommt also nicht aus ihr selbst, sondern ganz von ihrem Sohn her. Sie wächst an und mit Jesus, und ebenso leidet sie an und mit ihm. Gerade im Leiden wird deutlich, dass er nicht ihr allein gehört, sondern dem himmlischen Vater. Der Weg des Sohnes endet am Kreuz, unter dem auch Maria steht, und im Innersten vom Schwert des Leids durchstoßen wird. Zeitgleich wird sie hier in vollem Sinn Mutter im Pneuma. Das Stehen Marias unter dem Kreuz Jesu ist für Casel ihre Opferhandlung. Sie opfert den Sohn ganz dem Vater auf. Sie bleibt jedoch nicht unter dem Kreuz zurück, sondern schaut den Auferstandenen und empfängt zusammen mit den Aposteln das heilige Pneuma. So wird sie gänzlich zum Vorbild der Ekklesia.436 Ist Maria nun aber ein bloßes Vorbild der Ekklesia, oder doch vielmehr ihr Urbild? Wenn Casel von einer Opferhandlung Mariens spricht, was für unsere thematische Fragestellung aufhorchen lässt, dann ist Marias Funktion für die Ekklesia wohl auf einer anderen Ebene zu suchen. Schauen wir darum weiter genauer in Casels marianische Studien hinein.
5.2 Maria - Urbild der Ekklesia
Wir stellen also bei Casel fest, dass er Maria ganz als den Typus, das Symbol der heiligen Jungfrau-Mutter Kirche, ansieht.437 Er nennt Maria auch die personifizierte menschliche Sehnsucht nach Gott, da sie die Gesegnete unter den Frauen genannt wird. Sie ist das „Gefäß“ der göttlichen, gnadengeschenkten Weisheit, denn eine weise und reine Jungfrau ist allein für das Göttliche offen. Dies drückt ihre Betitelung „ohne Flecken“ aus. Maria ist im Vollsinn Jungfrau-Braut. Jedoch geht Casel noch einen Schritt weiter, wenn er sagt, dass in Maria die ganze Menschheit Braut Gottes geworden und so vollkommen zu Gott zurückgeholt ist. Die Geburt Jesu aus ihr, der Jungfrau, macht Gott wieder eins mit den Menschen. Da Maria sich in bräutlicher, unbedingter Hingabe Gott zur Verfügung stellt, wahrt sie das heilige Pneuma. Die heilige Jungfrau wird durch das Pneuma zur heiligen Mutter, zur neuen Eva. Maria ist, auch als Mutter Gottes, immer noch die demütige Dienerin Gottes, d.h. ihre eigene Herrlichkeit liegt im Sohn begründet, auf den sie hinweist. Auch das Leid verbindet Mutter und Sohn. Sie steht unter dem Kreuz des Sohnes und wird dabei ganz die Mutter im Pneuma. Casel bewertet die Situation auf Golgatha, dass Maria unter dem Kreuz ihren Sohn, den Erlöser, dem Vater opfert. Nach der Auferstehung sieht sie ihn zum Himmel steigen und erwartet mit den Aposteln die Gabe des heiligen Pneumas. Das alles macht sie zum Abbild der Ekklesia. Johannes, der mit der Mutter unter dem Kreuz steht, nennt Casel ihren Sohn im Pneuma und konstatiert ihm ebenso Jungfräulichkeit. Die Reflexion Marias ist bei Casel in strikte Christozentrik eingebettet. Auf dieser Grundlage betrachtet er ihren Tod, ihre Aufnahme in die ewige Herrlichkeit. Marias Vollendung geschieht allein durch den Sohn. So gilt ihre Aufnahme bei Casel als Bild für die ganze Kirche. Die Aufnahme in Christus geschieht für die Gläubigen durch das Christus-Mysterium, durch das Maria schon im Himmel vollendet thront. Durch Maria ist jetzt die Kirche ebenfalls schon aufgenommen in die Herrlichkeit Gottes. Maria ist in dieser Konzeption Casels der vornehmste Typus der Kirche. Beiden, Maria und der Ekklesia, steht folglich gleichermaßen der Ehrentitel Virgo-Sponsa-Mater – Jungfrau-Braut-Mutter zu. Maria ist im Pneuma Braut, dadurch dann Mutter Christi im Pneuma, weil sie Christ in sich empfängt und gebiert. Maria vereinigt in sich leibliche und pneumatische Mutterschaft. Mit der Ekklesia teilt sie die pneumatische Mutterschaft, da beide Braut Christi sind. Zur wahren Braut muss die wahre Mutterschaft Christi gehören.438 Der Gottessohn, der zweite Adam (Gal 4,4), wird aus dem heiligen Pneuma und aus der Jungfrau Maria geboren. Casel findet hier beide zusammenhängenden Komponenten, Pneuma und Jungfräulichkeit, vor. Beides zeigt ihm an, dass die Geburt Christi aus Pneuma und der Jungfrau Christi Zeugung über das Menschliche hinaushebt und damit zugleich auch die Mutterschaft Mariens. Die leibliche Mutterschaft ist noch kein Privileg, das Maria zur Gesegneten unter den Frauen erheben würde. Erst die unbegreifliche Gnade durch das Pneuma schenkt ihr diesen Vorzug, „weil sie den Logos bewahrte, weil sie das Pneuma in ihre Seele aufnahm und es behütete“ und so zur wahren Mutter Christi wird. Dieser Prozess lässt Maria und Christus aneinander wachsen und in einer immer größeren Einheit verbunden sein. Doch dieser Prozess, so Casel, war zunächst bis zur Verklärung und Erhöhung Christi in Tod und Auferstehung verborgen.439 Nach der Offenbarung der Gottheit des Herrn, d.h. nachdem das Fleisch des Herrn zum Pneuma geworden ist, konnte und kann man seine Mutter in ihrem wahren Sein erkennen, so Casel.440
In diesem Zusammenhang ist der Tod Marias für Casel wichtig zu betrachten. Maria wird von den Kirchenvätern „Lade des lebendigen Gottes“ genannt und Casel folgert, dass Maria nach ihrem Heimgang erst recht die Christusträgerin ist, d.h. ganz von Christi Gegenwart erfüllt. Das Sterben Mariens führt sie in die ganze Fülle des Lebens, in die Fülle Gottes hinein. Dies ist das Mysterium in vollem Sinn, da Mysterium Erfüllung mit der Gegenwart Gottes bedeutet. Das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel stellt der Ekklesia Maria letztgültig als ihr Urbild vor Augen. Maria ist, wie gesagt, genauso wie die Ekklesia, Braut Christi. Dies drückt wiederum die Erfülltheit von der Gegenwart der Gotteskraft aus. Die Ekklesia ist im Heilsdrama des Christusmysteriums der Ort der Gottesgegenwart. Christus ist für die Ekklesia gestorben und damit gleichfalls für Maria, so Casels Ansatz. Maria und die Ekklesia folgen dem Herrn, dem Verklärten. Die sterbende Maria ist der Typus der Ekklesia, die dieser Welt stirbt, d.h. ihrem Eigensinn, ihrem Ich, um allein zum göttlichen Leben zu gehören. Daher bezeichnet er den Heimgang Mariens als Bild für die zur Hochzeit mit dem Herrn, ihrem Bräutigam, eilende jungfräuliche Braut. Ihrem Bräutigam Christus will sie alleine angehören, mit ihm eins sein, als der eine Christus, dessen Leib