Die Anerkennung des Verletzbaren. Bernhard Kohl

Die Anerkennung des Verletzbaren - Bernhard Kohl


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personalen Identität befördern oder behindern“54.

      Axel Honneths intersubjektivistische Theorie der Anerkennung existiert als eine Variante neben bspw. der interkulturellen Theorie der Anerkennung von Charles Taylor und der Theorie der subjektivierenden Anerkennung von Louis Althusser und Judith Butler. Sie kann auch als anthropologisch grundiert bezeichnet werden, da Honneth in der Notwendigkeit der intersubjektiven Anerkennung die Bedingung für ein authentisches, autonomes Selbstverhältnis sieht. Honneth geht von der Voraussetzung aus, dass Individuen nur mit anderen zu einem Bewusstsein ihrer selbst gelangen, nur ein gelingendes Selbstverhältnis ausbilden können, wenn andere Menschen und gesellschaftliche Institutionen ihnen ein positives Selbstbildnis vermitteln. Anerkennung ist also als Voraussetzung eines gelungenen Selbstverhältnisses ein menschliches Grundbedürfnis.

      Damit ist gleichzeitig eine unhintergehbare und fundamentale Motivation für die Entstehung von Vergesellschaftung gegeben. Vergesellschaftung, das Soziale nimmt hiernach seinen Ausgang also beim Subjekt, weswegen Kritiker anmerken, dass somit die Eigendynamik des Sozialen unterbestimmt bleibt (deswegen auch die Rede von der intersubjektivistischen Ausrichtung der Anerkennungstheorie Axel Honneths).55 Anstelle der Anerkennung lediglich der Rechtsperson, wie in liberalen politischen (Gerechtigkeits-)Theorien, zielt Honneth auf die ganze Person. Verbunden damit ist eine Kritik an einer rein formalen Theorie der Moral,56 die er durch eine normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie bzw. durch eine formale Theorie des Guten ergänzen möchte.57 Diese Ergänzung wird von Honneth vor allem in der Auseinandersetzung mit der Diskursethik Habermas‘ vorgenommen, die in ihrer Trennung von Gerechtem und Gutem zwar auf der konzeptionellen Ebene, nicht aber in der Realisierung trägt, indem Honneth die Diskursethik um einen Anerkennungsbegriff zu ergänzen bzw. zu fundieren sucht, der eine dem moralisch-praktischen Diskurs genealogisch vorausliegende Ermöglichungsbedingung bildet.58

      Axel Honneth hält außerdem die moralische Sensibilität für eine zentrale Gattungskompetenz von Menschen, wohingegen Jürgen Habermas mit seiner Diskurstheorie sie in der Fähigkeit zur argumentativen Verständigung festmacht. Kein Subjekt – so die Kritik Honneths – empfindet allerdings moralisches Unrecht, weil bestimmte Argumentationsregeln nicht eingehalten werden59 und moralische Erfahrungen entstehen nicht in der Einschränkung von Sprachkompetenzen60.

      Honneth kritisiert den Ansatz Habermas‘ also insofern, als er den formalen Prozeduralismus der Diskurstheorie für zu uniformativ hält, um Phänomene und Missstände einer modernen Gesellschaft angemessen erfassen zu können. Nicht eine ideologiekritische Demokratietheorie, sondern eine Theorie, die die Anerkennungserwartungen von Individuen rekonstruiert und „das von Habermas entwickelte Kommunikationsparadigma stärker auf seine intersubjektivitätstheoretischen, ja soziologischen Voraussetzung hin“61 entfaltet hält er für geeignet die Motivation zu erfassen, die Menschen dazu bewegt für eine Veränderung des gesellschaftlich-sozialen Status quo zu kämpfen: nicht verzerrte Kommunikationsverhältnisse, sondern ungerecht erfahrene Verletzungen von Identitätsansprüchen motivieren diese Kämpfe um Anerkennung.

      Honneth baut seine Theorie wesentlich auf zwei Systemen auf: Der Sittlichkeitskonzeption Hegels, welcher er die Idee entnimmt, dass intersubjektive Anerkennung konstitutiv für die menschliche Identitätsbildung ist und der Sozialpsychologie Meads, welcher er die nachmetaphysische, materialistische und empirisch orientierte Konkretion dieser Form der Selbstwerdung entnimmt.

      Seinen Ausgang nimmt Honneth mit der Rekonstruktion der Jenaer Schriften Hegels, dessen Idee eines moralisch motivierten Kampfes um Anerkennung ihm für die Konzeptionierung einer normativ gehaltvollen Gesellschaftstheorie, als grundlegend erscheint.62 Danach ist die Etablierung moderner Gesellschaften als Prozess einer Ausdifferenzierung verschiedener Sphären der Anerkennung zu beschreiben. Anerkennung bringt zum Ausdruck, dass die andere, anerkannte Person Geltung besitzen soll und außerdem Quelle von legitimen Ansprüchen ist. Die Anerkennung des Anderen wird darüber hinaus zur Bedingung der eigenen Anerkennung, d. h. sie ist reziprok.63 Mit dem Begriff der Anerkennung soll Aufschluss darüber gewonnen werden, welche Antriebe die Gesellschaftsmitglieder zur Übernahme sozialer Verpflichtung bewegen. Diese Antriebe, so folgert Honneth mit Talcott Parsons, liegen darin, dass jeder Mensch an der Wahrung einer Form von Selbstachtung interessiert ist, die auf Anerkennung durch ihrerseits anerkannte Interaktionspartner zurückzuführen ist. Die Achtung von Menschen zu verlieren, die man selber achtet stellt dementsprechend einen empfindlichen Rückschlag für die eigene Selbstachtung dar. Die Anerkennungskonzeption geht aber über die individuelle Sphäre hinaus und sieht auch gesellschaftliche Institutionen als von Praktiken und Ordnungen der Anerkennung abhängig. Soziale Sphären sind also immer schon Anerkennungsverhältnisse, in denen man sich nicht bewegen kann, ohne zumindest implizit auf jeweils institutionalisierte Anerkennungsprinzipien zurückzugreifen. Daraus ergeben sich dann zwei Akzentsetzungen für eine Gesellschaftstheorie: Gesellschaftliche Subsysteme und Institutionen müssen zum einen als ausdifferenzierte, um Normen der reziproken Achtung konstruierte Handlungssphären begriffen werden, weil sie die ihnen innewohnenden Pflichten und Verantwortlichkeiten vor allem aus dem Streben nach sozialer Anerkennung heraus erfüllen. Normen und Werte, die in diesen Institutionen gültig sind müssen also Standards bereitstellen, mit deren Hilfe sich die Teilnehmer wechselseitig anerkennen können. Zum anderen nimmt die Beschreibung sozialer Konflikte eine neue Form an, da sie, um auf Hegels Denkfigur zurückzukommen, als ein Kampf um Anerkennung begriffen werden, als Ringen um Neubewertung, Neuinterpretation oder Neuformulierung der in der jeweiligen Sphäre geltenden Anerkennungsnormen. Honneth möchte mit diesem Begriff des Kampfes um Anerkennung soziale Konflikte in Gesellschaften entschlüsseln, um darauf aufbauend die normativen Grundlagen einer Gesellschaftstheorie zu entwickeln.64

      Hegel übernimmt den Begriff der Anerkennung von Fichte, der ihm als begriffliches Mittel dient, die interne Struktur sittlicher Verhältnisse unter den Menschen theoretisch zu bestimmen und der bereits betont, dass sich das vernünftige Selbstbewusstsein eines Menschen nur durch eine reziprok angelegte Beziehung zwischen den Subjekten ausbilden kann. Fichte hatte in seiner Schrift „Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre“ Anerkennung als eine dem Rechtsverhältnis zugrundeliegende Wechselwirkung zwischen Individuen aufgefasst: die wechselseitige Aufforderung zu freiem Handeln und die damit korrespondierende Beschränkung der eigenen Handlungssphäre zugunsten des Anderen führt zur Bildung eines gemeinsamen Bewusstseins zwischen den Subjekten, das dann im Rechtsverhältnis objektive Geltung erlangt.65

      Hegel greift diesen Ansatz des Selbstbewusstseins auf. Auch er nimmt an, dass das Subjekt nur dann zu einem Bewusstsein seines eigenen Selbst gelangen kann, wenn es mit anderen Subjekten in ein Verhältnis der Anerkennung tritt. Diese Annahme führt ihn über historisierende oder soziologisierende Deutungen auf Grundsätzlicheres hinaus, da ihm an der Anerkennung als quasi transzendentalem Faktum und damit als Voraussetzung menschlicher Sozialität gelegen ist. Dies bedeutet in der Interpretation Hegels, dass das Subjekt aus seiner Selbstbezüglichkeit der bloßen Begierde herausgetreten ist und sich der Abhängigkeit von seinem sozialen Gegenüber bewusst wird,66 was er über eine Kritik an Kant und Fichte verdeutlicht:

      „Nunmehr aber ist dies entstanden, was in diesen früheren Verhältnissen nicht zu Stande kam, nämlich eine Gewißheit, welche ihrer Wahrheit gleich ist; denn die Gewißheit ist sich selbst ihr Gegenstand, und das Bewußtsein ist sich selbst das Wahre.“67

      Zunächst erkennen Subjekte, dass alles generische Wissen und alles Wissen über Dispositionen und Möglichkeiten nicht rein passiv wahrgenommen, sondern aktiv vom Bewusstsein konstituiert wird. Das Selbst ist also jenes, welches sich abstrakt seiner wirklichkeitskonstituierenden Wirkung bewusst ist. Dieses Bewusstsein reicht nun allerdings nicht aus, damit sich das Individuum seiner synthetisierenden und bestimmenden Aktivität versichern kann, da es einer Rückkehr aus dem Anderssein zu sich selbst ähnelt. Es ist noch nicht Selbst-Bewusstsein.

      Hegel


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