Die Anerkennung des Verletzbaren. Bernhard Kohl
wobei evident erscheint, dass es sich auch im Bereich der rechtlichen Anerkennung nicht um einen konfliktfreien Vorgang, sondern ebenfalls um einen Anerkennungskampf handelt, da unterschiedliche Wertpräferenzen aufeinanderstoßen.120
Historisch zeigt sich außerdem, dass die rechtliche Garantie individueller Freiheit nur unter Bedingung politischer Teilhabe an der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung ihren Sinn erhalten kann, wozu die Sicherung substanzieller, sozialer Mindeststandards notwendig ist.121
Gerhard Luf weist darauf hin, dass insbesondere in Bezug auf die Legitimationsperspektive in der rechtlichen Anerkennungssphäre die Frage aufkommt, welchen Inhalt und Umfang die reziproke Anerkennung der Person in rechtlicher Hinsicht hat, da es „nicht allein um die Anerkennung der abstrakten Rechtssubjektivität eines jeden Menschen gehen [kann | BK], sondern um ein differenziertes System rechtlicher Garantien, das freilich dem geschichtlichen Wandel unterworfen ist“122. Genau das meint Honneth, wenn er schreibt, dass mit reziproker Anerkennung moralischer Zurechnungsfähigkeit auf rechtlicher Ebene, die alle Subjekte teilen sollen, „nicht menschliche Fähigkeiten gemeint sein [können], die in ihrem Umfang oder ihrem Inhalt ein für allemal festgelegt sind; es wird sich vielmehr zeigen, daß aus der prinzipiellen Unbestimmtheit dessen, was den Status einer zurechnungsfähigen Person ausmacht, eine strukturelle Offenheit des modernen Rechts für schrittweise Erweiterungen und Präzisierungen resultiert“123. So kann es (auf rechtlicher Ebene) keine Abstufungen in der Anerkennung des Menschen als Person geben, wohingegen die soziale Wertschätzung bestimmter Eigenschaften und Fähigkeiten eines Menschen durchaus einen Maßstab erfordert, der ihre graduelle Bewertung erlaubt. Honneth wendet ein, dass „die Festlegung der Fähigkeiten, die den Menschen konstitutiv als Person auszeichnen […] von Hintergrundannahmen darüber, welche subjektiven Voraussetzungen zur Teilnahme an einer rationalen Willensbildung befähigen“124 abhängig ist. Die insbesondere rechtliche Berücksichtigung dieser Eigenschaften sieht Honneth als anspruchsvolles Verfahren und als dynamischen Prozess kumulativer Erweiterung individueller Rechtsansprüche, „in dem der Umfang der allgemeinen Eigenschaften einer moralisch zurechnungsfähigen Person sich schrittweise vergrößert hat, weil unter dem Druck des Kampfes um Anerkennung stets neue Voraussetzungen zur Teilnahme an der rationalen Willensbildung hinzugedacht werden mußten“125. Dieser dynamische Prozess der Erweiterung zeichnet sich also in Bezug auf den erfassten Personenkreis durch eine Tendenz zur Generalisierung und in Bezug auf die Differenziertheit der Schutzgarantien durch eine Tendenz zur Materialisierung aus.126
Einen motivationalen Faktor für den Kampf um Anerkennung im rechtlichen Bereich bildet historisch betrachtet die Institutionalisierung der bürgerlichen Freiheitsrechte, die einen andauernden Innovationsprozess eröffnet hat: zu den Freiheitsrechten traten auf Druck benachteiligter Gruppen Teilhaberechte am Prozess der öffentlichen Willens- und Meinungsbildung hinzu und außerdem Rechte, die ein Mindestmaß an Bildung und ökonomischer Sicherheit zusprechen.127 Insgesamt birgt die rechtliche Anerkennung also das moralische Potential, „das über soziale Kämpfe in Richtung einer Steigerung sowohl von Allgemeinheit als auch von Kontextsensibilität entfaltet zu werden vermag“128.
U. a. Luf äußert sein Unbehagen, wenn Honneth in Bezug auf den emanzipatorischen Prozess in der rechtlichen Anerkennungssphäre von „Eigenschaften“ spricht, welche den Menschen als Person auszeichnen. Er hält fest, dass nicht der Besitz von Eigenschaften konstitutiv für das menschliche Personsein ist, sondern, dass es sich vielmehr umgekehrt verhält: „Die kategoriale Anerkennung jedes Menschen als Person liegt vielmehr diesen Attributen voraus, die somit von dem Begriff der Person her in ihrer normativen Relevanz allererst qualifiziert werden müssen. Den Ausgangspunkt rechtlicher Anerkennung bildet somit die Anforderung, jeden Menschen als freies, zur Selbstbestimmung aufgefordertes Subjekt zu respektieren.“129 Mit der schon angeführten Unterscheidung Honneths zwischen „rechtlicher Anerkennung“ und „sozialer Wertschätzung“ lässt sich aber zeigen, dass Honneth dies ähnlich sieht. Er fragt konkret nach der Schlussfolgerung, welche sich aus dieser Unterscheidung ziehen lässt und kommt zu dem Ergebnis, dass der Mensch in beiden Fällen bestimmter Eigenschaften wegen geachtet wird. „[…] im ersten Fall handelt es sich um diejenige allgemeine Eigenschaft, die ihn überhaupt erst zur Person macht, im zweiten Fall hingegen um die besonderen Eigenschaften, die ihn im Unterschied zu anderen Personen charakterisieren. Daher ist für die rechtliche Anerkennung die Frage zentral, wie jene konstitutive Eigenschaft von Personen als solchen bestimmt werden kann, […].“130 Honneth beschreibt diese „Fähigkeit“, in der sich Subjekte wechselseitig achten können, wenn sie sich als Rechtspersonen anerkennen und die es zu schützen und zu ermöglichen gilt, da sie den Menschen überhaupt erst als Person charakterisieren, als „Annahme der moralischen Zurechnungsfähigkeit“ aller Mitglieder einer Rechtsordnung. „Wenn eine Rechtsordnung nur in dem Maße als gerechtfertigt gelten und mithin auf individuelle Folgebereitschaft rechnen kann, in dem sie sich im Prinzip auf die freie Zustimmung aller in sie einbezogenen Individuen zu berufen vermag, dann muß diesen Rechtssubjekten zumindest die Fähigkeit unterstellt werden können, in individueller Autonomie über moralische Fragen vernünftig zu entscheiden; ohne eine derartige Zuschreibung wäre überhaupt nicht vorstellbar, wie die Subjekte sich jemals wechselseitig auf eine rechtliche Ordnung sollen geeinigt haben können.“131 Kurz kann man dies mit Charles Taylor – der erkennbar auf Kant zurückgreift - ausdrücken, der Menschsein und Personsein als notwendige, von empirischen Eigenschaften unabhängige Einheit denkt. Taylor spricht von einem universellen menschlichen Potential, einer Fähigkeit, die allen Menschen gemeinsam ist. „Dieses Potential und nicht das, was der Einzelne aus ihm macht oder gemacht hat, sichert jedermann Achtung. Und wir dehnen unseren Schutz auch auf solche Menschen aus, die infolge irgendwelcher Umstände nicht in der Lage sind, ihr Potential in der üblichen Weise zu verwirklichen – auf Behinderte zum Beispiel oder auf Menschen, die im Koma liegen.“132 Somit sind also – gerade in Bezug auf eine Fortschrittsgeschichte der Anerkennungskämpfe – auch Personen in die rechtliche Anerkennung einzubeziehen, die ihre Rechte nicht eigenständig einfordern können. Auch diese Vorstellung findet sich bei Honneth, wenn er schreibt, dass egal ob wir einen anderen Menschen als liebenswert, als achtenswert oder als solidarisierungswürdig betrachten „stets nur ein anderer Aspekt dessen zur Geltung [kommt | BK], was es heißt, daß Menschen ihr Leben in rationaler Selbstbestimmung vollziehen müssen. Bezieht sich diese ‚Vorstellung von einem Wert‘ das eine Mal stärker auf die Weise der biographischen Lebensbewältigung (Liebe), das andere Mal stärker auf die Art des praktischen Engagements (Solidarität), so gilt sie im Fall der Achtung der Tatsache selber, daß Menschen zur reflexiven Orientierung an Gründen keine Alternativen haben; insofern auch ist jene letzte Einstellung nicht weiter graduierbar, während die beiden anderen Formen der Anerkennung viele Stufen der Steigerung erlauben“133. Honneth unterscheidet also zunächst zwischen zwei Begriffen der Anerkennung.134 AnerkennungA, bzw. die „elementarere“135 oder „vorgängige“136 Anerkennung, ist eine umfassende Haltung der Anerkennung, die Honneth auch mit der Anerkennungssphäre der Liebe zusammenfallen lässt.137 Aus dieser Haltung heraus lassen sich dann die weiteren Haltungen der AnerkennungB, der gleichen moralischen, rechtlichen und politischen Anerkennung also, ableiten, wobei Honneth davon ausgeht, dass der existentielle Modus der AnerkennungA „allen anderen, gehaltvolleren Formen der Anerkennung zugrunde liegt, „in denen es um die Bejahung von bestimmten Eigenschaften oder Fähigkeiten anderer Personen geht“138. Der Perspektive der AnerkennungA kommt somit absoluter Vorrang zu. „[…] weil wir alle menschliche Wesen als Personen anerkennen müssen […] dürfen wir uns aus moralischen Gründen nicht für soziale Beziehungen entscheiden, deren Vollzug eine Verletzung jener Ansprüche verlangen würde“139, Beziehungen also, die uns grundsätzlich daran hinderten anderen Anerkennung entgegen zu bringen.
2.2.3.3 Wertegemeinschaft: Solidarität und Selbstschätzung140
Neben der Liebe und dem Rechtsverhältnis identifiziert Honneth mit Hegel und Mead eine dritte Form der wechselseitigen Anerkennung, welche er als soziale Anerkennung oder Wertschätzung bezeichnet, derer menschliche Subjekte bedürfen, um „sich auf ihre konkreten Eigenschaften und Fähigkeiten positiv zu beziehen“141. Über das