Mach's gut? Mach's besser!. Volker Ladenthin

Mach's gut? Mach's besser! - Volker Ladenthin


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das Gleiche gelten. Dieses Buch zu lesen, wäre machbar, vielleicht sogar, wenn man in der Warteschlange eines Supermarktes steht.

      In der Tat hat der gebürtige Schweizer Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) als sparsamer Mensch diese Auffassung vertreten und dieses letzte Buch zu schreiben versucht. Immerzu. Es sollte das einzige Buch sein, das noch in der Bibliothek, Abteilung Ethik, stehen bräuchte. In diesem Buch sollte nachgewiesen werden, dass man gar keine Bücher braucht, um sittlich handeln zu können. Das letzte Buch sollte die Abschaffung aller (ethischen) Bücher empfehlen.

       Weit hergeholt

      Nun scheint eine solche Forderung vielleicht rhetorisch brillant zu sein, aber sie widerspricht all unseren Erfahrungen. Wieso sollte die gleiche Ethik für Einwohner in armen Entwicklungsländern wie für Einwohner in reichen Industriestaaten gelten? Niemand kann doch fordern, dass alle das Gleiche tun sollen! Menschen, die in der Sahelzone, und solche, die im Polarkreis leben, müssen doch unterschiedlich leben. Männer sind anders als Frauen, Erwachsene sind anders als Kinder. Die Welt der Spruchweisheiten bestärkt uns darin, dass jedem das Seine zukommen muss: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Quod licet Iovi, non licet bovi. („Was dem Gott Jupiter erlaubt ist, ist dem Rindvieh noch lange nicht erlaubt.“) Wat den eenen sin Uhl, is den annern sin Nachtigall!

      Die These, dass für alle Erdenbewohner das Gleiche gelten soll, scheint so offenbar unsinnig zu sein, dass man versucht sein könnte, jenes Buch aus der Bibliothek zu werfen, das dies behauptet. Aber warten Sie bitte mit der Entsorgung noch ein paar Zeilen: Die Unterschiede, die Sie gerade zitiert haben, gibt es aus einem einzigen Grund, nämlich dem, dass alle Menschen gleich sind. Die Menschen können nur unterschiedlich leben, weil sie sich darin gleichen, dass sie alle frei sind.

      In Bezug auf die Freiheit sind alle Menschen gleich. Freilich sind die Menschen nicht gleich in Bezug daraufhin, wie sie mit dieser Freiheit umgehen. Da macht jeder, was er will. Dieser Wille hat auch das Recht dazu, nämlich zu machen, was er will. Dazu ist er da. Dieser Wille, zu tun, was man will, und nicht zu bleiben, der man schon immer war, macht die Würde des Menschen aus. Er ist der innerste Kern jenes Lebewesens, das sich mit diesem Willen von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Er ist Gattungsmerkmal des Menschen. Der Mensch besteht aus seinem Willen. Er ist frei. Sein Wille ist sein Himmelreich.

      (15) Tu, was du willst!

      Dieser Wille ist freilich keine Beliebigkeit. Denn zumindest eines darf der Wille nicht wollen: Er darf sich nicht gegen sich selbst wenden und sich abschaffen. (Er kann es auch nicht wollen. Vielleicht ist das ein Indiz für eine Krankheit, wenn ein Wille nicht mehr kann? Krankheit wäre dann die Unfreiheit, wollen zu können.) Deswegen hatten wir gesagt, Freiheit (also der freie Wille) hat eine Grenze, nämlich das Verbot, sich selbst abzuschaffen. Man darf nicht im Widerspruch zu seinen Voraussetzungen leben. Und ich vermute, dass Sie mir zustimmen, dass dieser Satz für alle jene Wesen gilt, die einen freien Willen haben – und das sind, nach derzeitigem Wissensstand, alle Menschen. Für sie gilt eine Ethik.

       Du willst, was du willst!

      Ethik kann sich also gar nicht auf das Unterschiedliche, sondern nur auf das Gemeinsame richten, und das ist die Freiheit. Der freie Wille. Der freie Wille ist der Regent in jedem Einzelnen, jenes Organ, das die Freiheit umsetzt. Ich tu, was ich will. Ich will so werden, wie ich will. Aber …

      … aber was auch immer ich tue, muss ich so tun, dass ich tun kann, was ich will. Der freie Wille schränkt sich durch seine vorausgesetzte Freiheit selbst ein.

      Vielleicht wollen Wüstenbewohner etwas anderes als Siedler am Polarkreis, Arme etwas anderes als Reiche, Kinder etwas anderes als Erwachsene, Männer etwas anderes als Frauen. Aber ihnen gemein ist, dass sie etwas wollen können. Daher müssen alle etwas wollen, und es muss etwas gewollt werden, was diesen ihren Willen nicht zerstört. Weil sie sonst ihr Menschsein (ihren freien Willen) verlören.

      Eine Ethik des freien Willens kann also nicht vorschreiben, wie jemand leben, was er morgens essen, tagsüber arbeiten, abends im TV schauen soll, wen er wie lieben soll, was er in seiner Freizeit machen und wen er wählen soll. Aber sie kann sagen:

      (16) Was auch immer du wählst, du musst es so wählen, dass dein freier Wille nicht dabei verloren geht.

      Denn es wäre nicht logisch, den freien Willen zu seiner Abschaffung zu nutzen. Das ist ein Argument dafür, warum Drogensucht nicht nur medizinisch bedenklich ist, sondern auch sittlich. Drogen machen ihre Konsumenten abhängig. Sie machen ihre Konsumenten zu Sklaven, zu Werkzeugen physischer Mechanismen. Ein berühmter Junkie hat dies einmal so beschrieben:

      „Die meisten Junkies verblöden. Und das war letztlich der entscheidende Grund, der mich zur Umkehr bewegte. Wir (= die Heroinabhängigen) kennen nur ein Thema, und das ist der Stoff. Geht’s nicht ein wenig intelligenter? Warum hänge ich mit diesen Nullen ab? Die sind langweilig. Schlimmer noch, viele sind absolut intelligente Menschen, die aber alle irgendwie wissen, dass sie sich haben täuschen lassen. Andererseits … warum eigentlich nicht? Jeder lässt sich von irgendwas täuschen, wir wissen wenigstens, dass wir uns zum Affen machen.“

      Dieses Bild vom Menschen als Affen zeigt sehr schön, dass (nach Auffassung des Abhängigen) der Mensch sein Menschsein verliert und sich unfrei wie die instinktgebundenen „Affen“ verhält. Aber noch etwas zeigt das Zitat: Der ehemalige Junkie beschreibt eine Wertentscheidung. Die Wahl für die (durch den Entzug schmerzhafte) Freiheit gegen die (physisch angenehme, lustvolle) Abhängigkeit:

      „Ich liebte das Zeug. Aber irgendwann reichte es. Außerdem schränkt es den Horizont ein, bis man schließlich nur noch Junkies kennt. Ich musste meinen Horizont erweitern (also frei sein, V. L.). Natürlich erkennt man das alles erst, wenn man den Ausstieg geschafft hat. Dafür sorgt schon der Stoff.“

      Dieses Bekenntnis stammt von Keith Richards, dem Gitarristen der Rolling Stones, jener Rockband, die es seit 50 Jahren tüchtig krachen lässt.

       Aus Prinzip

      Das, was eine Ethik formulieren kann, sind Grundsätze – solche, wie ich sie bisher in den kleinen Kästchen zu formulieren versucht habe. Man nennt sie in der Fachsprache Prinzipien.

      (17) Prinzipien sind Regeln, aus denen unmittelbar keine Handlungsanweisungen (Normen) abzuleiten sind, die man aber beachten muss, wenn man handelt.

      Prinzipien gelten immer. Sie sind nicht global, sondern universell. Sie sind nicht weit verbreitet, sondern gültig begründet. Sie sind nicht Ausdruck von Macht, sondern Folge der Freiheit.

      (18) Prinzipien gelten nicht, weil sie akzeptiert werden, sondern sie müssen akzeptiert werden, weil sie gelten.

      Prinzipien sind nicht empirisch, sondern sie ordnen die Empirie. Sie sind nicht geschichtlich bedingt, sondern machen Geschichte erst möglich.

      Eine Ethik braucht nicht mehr als diese Prinzipien, und deshalb war Rousseau zu Recht der Ansicht, man könne Geld sparen, viele und dicke Bücher vermeiden, Bibliotheken verkleinern und nur ein Buch schreiben. Das sei dann das letzte Buch. Das Buch der Prinzipien.

       Aus Prinzip beispielhaft

      Freilich stellte sich dann heraus, dass jede Kultur eine andere Sprache spricht. Dass jede Zeit ihre Vorstellungen in eigenen Bildern malt. Dass jede Tradition ihr eigenes Wissen stapelt und ihre Vorurteile und Gewissheiten sorgfältig kultiviert. Dass jeder Autor seine Vorlieben, seinen Stil und seinen bevorzugten Wort- und Bildschatz bewahren will. Und so können die Prinzipien, obwohl sie überzeitlich gemeint sind und auch als überzeitlich vorausgesetzt werden müssen, immer nur zeitbedingt formuliert werden.

      (19) Prinzipien sind überzeitlich. Aber sie lassen sich nur zeithaft formulieren.

      Prinzipien sind beispielhafte Formulierungen für etwas, was kein Mensch wird je zeitlos formulieren können, obwohl es zeitlos gültig ist, was er da formulieren will. (Das „Unvorstellbare zu denken“, heißt es in Arnold Schönbergs Oper „Moses und Aron“ [ab 1925].) Das wusste auch Rousseau, und deshalb verfiel er in seinem Bildungsessay Emile (1762) auf die Idee, nicht die Prinzipien


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