Der Ausschluss des Gattenwohls als Ehenichtigkeitsgrund. Benjamin Vogel
auf das Gattenwohl“ um einen justiziablen Klagegrund handelt.
Dazu wird zunächst der Hintergrund der Fragestellung ausgeleuchtet, um die Aufnahme des bonum coniugum in das kirchliche Gesetzbuch einordnen zu können. So wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die damalige lehramtliche Verhältnisbestimmung der ehelichen Sinngehalte vonseiten der akademischen Theologie angefragt und auf dem II. Vatikanischen Konzil das Thema erneut behandelt. Diese Debatten prägten die Revisionsarbeiten am CIC maßgeblich.
Darauf aufbauend werden Vorkommen und Bedeutung des Begriffs bonum coniugum im geltenden Recht untersucht, um eine formale Bestimmung des Gattenwohls vornehmen zu können. Diese Abgrenzung ist erforderlich, damit gezeigt werden kann, dass der Ausschluss der Hinordnung auf das bonum coniugum eine eigenständige Form der Partialsimulation darstellt und in Ehenichtigkeitsverfahren herangezogen werden kann.
Es folgt eine Erörterung der Judikatur, um die formale Bestimmung zu überprüfen und erste Hinweise auf eine inhaltliche Konturierung des Gattenwohls zu erhalten. Hierfür wird zuerst die Rechtsauffassung der Rota Romana, des päpstlichen Berufungsgerichts, anhand ausgewählter Urteile zum Ausschluss des Gattenwohls analysiert. Danach folgt eine Darstellung der Rechtsprechung der Gerichte des deutschen Sprachraums, die im Rahmen dieser Studie gebeten wurden, Angaben zu ihrem Umgang mit dem Klagegrund zu machen. Mittels der Beispiele aus der Judikatur werden verschiedene Tatbestände vorgestellt, die nach Auffassung des jeweiligen Gerichts einen Ausschluss des bonum coniugum darstellen. Somit wird deutlich, dass ein Vorbehalt im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Wohl der Gatten nicht nur auf Extremfälle beschränkt ist, sondern durchaus praktische Relevanz besitzt.
In der kanonistischen Doktrin werden unterschiedliche Aspekte des bonum coniugum benannt bzw. verschiedene Konzepte aufgegriffen, um den Begriff inhaltlich zu füllen. Die gängigen Bestimmungsversuche werden vorgestellt und vor dem Hintergrund ihrer kodikarischen und bisweilen außerkodikarischen Grundlagen daraufhin überprüft, ob sie eine rechtliche Konkretion erbringen. Auf diese Weise soll ermittelt werden, welche Teilaspekte das Gattenwohl ausmachen.
Sicherlich hat das Fehlen einer griffigen inhaltlichen Bestimmung des bonum coniugum die Entwicklung einer konsolidierten Judikatur verzögert und erschwert. Daher werden die herausgearbeiteten Teilaspekte jeweils anhand eines Beispielfeldes vertieft. Hierfür werden Fragestellungen hinsichtlich Partnergewalt, Gestaltung der ehelichen Sexualität und partnerschaftlicher Ko-Evolution behandelt. Dadurch werden sowohl verschiedene Varianten eines Ausschlusses des bonum coniugum vorgestellt als auch konkrete Anknüpfungspunkte für die Rechtsprechung markiert.
Abschließend soll der Ertrag der vorangehenden Ausführungen für die Rechtspraxis erhoben werden. Dabei ist neben dem grundsätzlichen Erfordernis eines positiven Willensaktes darauf einzugehen, was genau einen Ausschluss der Hinordnung auf das Gattenwohl darstellt und welche Formen dieser annehmen kann. Des Weiteren sind Abgrenzungen von anderen Konsensmängeln vorzunehmen, die ebenfalls das bonum coniugum betreffen. Zuletzt werden Fragen im Zusammenhang mit dem Beweis des Klagegrundes geklärt.
Neben der Partialsimulation ist das bonum coniugum auch für andere Ehenichtigkeitsgründe von Bedeutung bspw. hinsichtlich einer Unfähigkeit zur Eheführung gemäß c. 1095, n. 3. Eine solche Unfähigkeit besteht dann, wenn ein Partner aus psychischen Gründen nicht in der Lage ist, wesentliche Pflichten der Ehe zu übernehmen. Dass sich aus der Hinordnung auf das bonum coniugum eigenständige Pflichten ergeben, wird weitgehend bejaht. Die Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit das Gattenwohl Objekt einer Unfähigkeit sein kann, stellt jedoch ein eigenes Thema dar und wird daher in der vorliegenden Arbeit nur dort berücksichtigt, wo sich konkrete Verbindungen ergeben.
1Kamann: Prozess, 6.
2So sind bspw. nicht mehr in jedem Fall mehrere Instanzen zu durchlaufen, die Verfahren sollen für die Gläubigen kostenlos sein und – so erklärt sich obiges Zitat – es wurde die Möglichkeit eines kürzeren Eheprozesses vor dem Bischof geschaffen; vgl. Franziskus: Mitis iudex.
3Bereits 1994 verwies die Kongregation für die Glaubenslehre hinsichtlich der Frage des Eucharistieempfangs von Gläubigen nach Scheidung und ziviler Wiederheirat auf eine Klärung des Personenstandes im Rahmen eines Ehenichtigkeitsverfahrens; vgl. C DocFid: Epistula, n. 9. Auf der außerordentlichen Bischofssynode von 2014 sowie auf der ordentlichen Bischofsynode von 2015 wurde das Thema erneut aufgegriffen; vgl. Relatio synodi 2014, n. 48; Relatio synodi 2015, n. 82. Zuletzt hat Papst Franziskus das Verfahren als eine Form von Begleitung nach einer gescheiterten Ehe genannt; vgl. Franziskus: Amoris laetitia, n. 244.
4Vgl. c. 1055 § 1: „Matrimoniale foedus, quo vir et mulier inter se totius vitae consortium constituunt, indole sua naturali ad bonum coniugum atque ad prolis generationem et educationem ordinatum, a Christo Domino ad sacramenti dignitatem inter baptizatos evectum est. – Der Ehebund, durch den Mann und Frau unter sich die Gemeinschaft des ganzen Lebens begründen, welche durch ihre natürliche Eigenart auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist, wurde zwischen Getauften von Christus dem Herrn zur Würde eines Sakramentes erhoben.“
5Lüdecke: Ausschluß, 117.
6Vgl etwa Burke: Bonum; Sztychmiler: Ius.
7Bspw. hielt die Associazione Canonistica Italiana 1994 einen Kongress zu diesem Thema ab. Die Beitrage sind veröffentlicht in: Associazione Canonistica Italiana (Hg.): Il «bonum coniugum» nel matrimonio canonico: Atti del XXVI congresso nazionale di diritto canonico Bressanone-Brixen 12–15 settembre 1994. Vatikanstadt, 1996. Vgl. auch Barrett: Reflections; Pompedda: Bonum.
8Vgl. etwa Aznar Gil: Exclusión; Boccafola: Reflections; Ewering: Ausschluss; Kowal: Annotazione; Lüdicke: Bonum; Mendonça: Developments; Robitaille: Exclusion.
9Vgl. Banjo: Relevance; Bertolini: Bonum; Bertolino: Matrimonio; Bwambale: Bonum; Kimengich: Bonum; Posa: Bonum.
10Die Mehrheit der genannten Monographien ist erschienen, bevor die Rota erstmals ein Urteil in Bezug auf einen Ausschluss des Gattenwohls fällte. Michael A. Banjo befasste sich schwerpunktmäßig mit bonum coniugum und der Gleichheit der Gatten in der Ehe und behandelt vor diesem Hintergrund nur ein Urteil ausführlicher; vgl. Banjo: Relevance, 151–155.
11Vgl. Bertolini: Bonum, 57–298.
12Der bislang umfangreichste deutsche Beitrag stammt von Norbert Lüdecke aus dem Jahr 1995; vgl. Lüdecke: Ausschluß.
2. SINNGEHALTE DER EHE BIS ZUM CIC/1983
C. 1055 § 1, die das Eherecht einleitende Norm des CIC/1983, nennt zwei Bereiche, auf welche die Ehe hingeordnet ist: das Wohl der Ehegatten (bonum coniugum) und die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft (procreatio et educatio prolis).13 Beide Hinordnungen scheinen gleichberechtigt nebeneinander zu stehen. In ihrer heutigen Gestalt ist die Norm das (vorläufige) Ergebnis eines langwierigen Ringens. Es soll in Grundzügen nachgezeichnet werden, bevor in Kapitel 3 der Gesetzestext eingehend untersucht wird.
2.1 Lehramtliche Festlegungen und theologische Entwürfe vor dem II. Vatikanischen Konzil
Welche Sinngehalte14 gehören zum Wesen der Ehe? Stehen sie gleichrangig nebeneinander oder besteht unter ihnen eine Hierarchie? Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen lässt sich bis ins 4. Jh. n. Chr. zurückverfolgen. Sowohl die Paarbeziehung der Eheleute als auch ihre Aufgabe als Eltern waren dabei Gegenstand theologischer Erörterung.15 Beide Dimensionen finden sich auch in der Eheenzyklika Arcanum divinae sapientiae von Papst Leo XIII. aus dem Jahr 1880. Als Zwecke der Ehe werden dort genannt: Fortpflanzung des Menschengeschlechts, die Verbesserung des Lebens der Eheleute und das Wohlergehen der Familie. Die Fortpflanzung und damit der prokreative Sinngehalt der Ehe steht in dieser Aufzählung zwar an erster Stelle, doch gibt es keine Anzeichen für eine Überordnung über die anderen Zwecke.16 Eine eindeutige lehramtliche Festlegung lässt sich zu dieser Zeit nicht erkennen, auch bei den Kodifikationsarbeiten zum CIC/1917 wurde das Verhältnis