Der Ausschluss des Gattenwohls als Ehenichtigkeitsgrund. Benjamin Vogel

Der Ausschluss des Gattenwohls als Ehenichtigkeitsgrund - Benjamin Vogel


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Der Fragenkomplex wurde im Kontext der Vorbereitungen und Beratungen des II. Vatikanischen Konzils (1962–1965) erneut behandelt und kontrovers diskutiert.

      Bei seiner Ansprache zur feierlichen Eröffnung des Konzils vom 11.10.1962 warnte Papst Johannes XXIII. vor einer negativen Sicht auf den Verlauf der Geschichte und rief die Konzilsväter dazu auf, die Aufmerksamkeit nicht nur auf die kirchliche Überlieferung, sondern auch auf die Entdeckungen und Bedürfnisse der Gegenwart zu richten.44 Das so verstandene aggiornamento im Sinne einer Inkulturation der Offenbarung im Dialog mit der Gegenwart sollte zu einem Leitmotiv des Konzils werden.45 Besonders deutlich tritt dieses Grundanliegen in der „Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute“ Gaudium et spes hervor: Bereits in der Überschrift des ersten Artikels wird die „engste Verbundenheit der Kirche mit der ganzen Menschheitsfamilie“46 ausgesagt. Die Kirche steht der Welt nicht einfachhin als (be-)lehrende Institution gegenüber, sondern ist innigst (intima) mit ihr verbunden und von ihr betroffen.47 Nach dieser programmatischen Einleitung entfaltet die Konstitution eine christliche Anthropologie, auf deren Basis sie wichtige Einzelfragen des menschlichen Lebens erörtert, darunter auch die „Förderung der Würde der Ehe und der Familie“48.

      Das Ehekapitel in der jetzt vorliegenden Gestalt hat eine bemerkenswerte Vorgeschichte.49

      In den ersten Entwürfen wurde noch an der Hierarchie der Ehezwecke festgehalten: So bekräftigte bspw. das Schema De castitate, virginitate, matrimonio, familia vom 07.05.1962 die Vorrangstellung des Primärzwecks der Zeugung und Erziehung von Nachkommen vor den Sekundärzwecken und allen übrigen subjektiven Zielen, welche die Partner mit der Eheschließung verbinden.50 Diese Ordnung der Ehezwecke zu leugnen, wurde als zu verurteilender Irrtum angesehen.51 Das überarbeitete Schema Constitutio dogmatica de castitate, matrimonio, familia, virginitate, das Papst Johannes XXIII. am 13.07.1962 genehmigte und das den zukünftigen Konzilsvätern übersandt wurde,52 beinhaltete diesbezüglich kaum Änderungen.53 In einem nächsten Schema wurde zwar auf die Zweckterminologie verzichtet, doch verwies man zunächst noch auf das Dekret des Hl. Offiziums von 1944 und implizierte damit einen gewissen Vorrang der Fortpflanzung.54 Später wurde der Verweis auf das Dekret aufgegeben und die Rolle der ehelichen Liebe stärker betont; personaler und prokreativer Sinngehalt wurden in einer Balance gesehen.55 Diese Entwicklung setzte sich bis in die Endphase der konziliaren Beratung fort, blieb aber bis zum Ende nicht unwidersprochen: Noch unter den letzten Änderungsvorschlägen zum Schema Constitutio pastoralis de Ecclesia in mundo huius temporis, wenige Wochen vor der Abstimmung über den endgültigen Text, wurde von 190 Vätern gefordert, sowohl die Hierarchie der Ehezwecke als auch die Übertragung des ius in corpus als Konsensobjekt im Ehekapitel festzuschreiben, „und damit versucht, diese deutlich kontraktuell geprägte Konzeption des alten Codex in den Konzilstext hineinzuretten.“56 Die zuständige Kommission wies diesen Vorschlag jedoch zurück: Einerseits mit dem formalen Argument, dass die Pastoralkonstitution nicht der richtige Ort für eine juristisch präzise Festlegung sei, andererseits wollte man nicht mehr davon abrücken, dass der Konsens wesentlich mehr umfasse als die bloße Übertragung von Rechten und Pflichten.57 Am 04.12.1965 wurde auf der 167. Generalkongregation des Konzils in zwölf einzelnen Abstimmungen über die Berücksichtigung der Änderungsvorschläge durch die Kommission entschieden. Der verbesserte Text des Ehekapitels wurde mit großer Mehrheit angenommen58 und die Konstitution schließlich am 07.12.1965 feierlich verabschiedet.59

      Der endgültige Text des Kapitels über die Ehe umfasst sechs Artikel: Zunächst stellt GS 47 die fundamentale Bedeutung von Ehe und Familie für das Wohl der Person und der ganzen Gesellschaft fest, bevor einzelne Gefährdungen (bspw. Polygamie oder Egoismus) für die Würde dieser Institution aufgezählt werden. Die Lehre des Konzils versteht sich demgegenüber als Stärkung für die von diesen Problemen betroffenen Menschen. GS 48 beschreibt die Ehe in schöpfungstheologischer und soteriologischer Hinsicht.60 Gott wird als Urheber dieser „innige[n] Gemeinschaft des Lebens und der Liebe“, vorgestellt, die auch als Bund, als Ort inniger Verbundenheit und als „gegenseitiges Sich-Schenken zweier Personen“ beschrieben wird und als Sakrament die Eheleute stärkt. Die beiden Artikel 49 und 50 befassen sich mit der Bedeutung der Liebe bzw. der Fruchtbarkeit für die Ehe. Die Liebe umgreift die gesamte Wirklichkeit der ehelichen Gemeinschaft und kennt verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten. Diese eheliche Liebe und die Ehe sind auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommen hingeordnet, Kinder werden als „vorzüglichste Gabe für die Ehe“ verstanden, doch wird explizit erklärt, dass auch eine kinderlose Ehe ihren Wert behalte. Die Aufgabe der Elternschaft sollen die Partner verantwortet und im Hören auf das eigene Gewissen wahrnehmen. GS 51 führt diesen letzten Gedanken weiter und hebt hervor, dass bei der Geburtenregelung nicht auf unsittliche Methoden zurückgegriffen werden dürfe.61 Mit Aussagen über die Erziehung der Kinder und einem Appell an alle Menschen, sich für den Schutz und die Förderung der Familie einzusetzen, schließt Artikel 52 das Ehekapitel der Pastoralkonstitution ab.

      In Bezug auf das Verhältnis der Sinngehalte der Ehe ist von Bedeutung, welche Rolle die Konzilsväter der ehelichen Liebe (amor coniugalis) zuschreiben: Nach der Charakterisierung der ehelichen Gemeinschaft in GS 48 wird in den beiden folgenden Artikeln zuerst die eheliche Liebe und dann die Fortpflanzung behandelt. Ebenso wird die Liebe in eine Reihe mit der Fortpflanzung, der Einheit und der Treue gestellt.62 Die Parallelisierung von Liebe und Nachkommenschaft begegnet auch in GS 51.63 Solche Textstellen vermitteln den Eindruck, dass mit der Liebe ein eigenständiger Sinngehalt der Ehe neben der Fortpflanzung ausgedrückt werden sollte.

      Doch es ist eine andere Verwendungsweise des Liebesbegriffs, die das Ehekapitel dominiert:64 So wird bereits zu Beginn von GS 48 mit der Liebe nicht nur ein Teilaspekt, sondern die gesamte Wirklichkeit der Ehe definiert.65 Derselbe Artikel handelt vom Segen Christi über die Liebe, womit auch an dieser Stelle die Ehe als Ganzes gemeint ist.66 Zweimal tritt die Liebe als Subjekt neben der Ehe auf, wenn erklärt wird, dass Ehe und Liebe auf Nachkommenschaft hingeordnet seien.67 An diesen Aussagen wird erkennbar, dass die eheliche Liebe nicht als ein bloßer Teilaspekt der Ehe verstanden wird, sondern die ganze Wirklichkeit der Ehe betrifft und beschreibt. Norbert Lüdecke sieht daher in der Liebe das „Strukturprinzip der gesamten Ehewirklichkeit“ und den „kontinuierliche[n] Referenzpunkt des ganzen Ehekapitels.“68

      Die widersprüchliche Beschreibung des amor coniugalis als eigenständiger Sinngehalt neben der Fortpflanzung einerseits und als ein die ganze Ehe durchdringendes Strukturprinzip andererseits liegt darin begründet, dass während des Konzils noch keine klare Terminologie für einen partnerschaftlichen Sinngehalt zur Verfügung stand.69 Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Konzilstext neben dem prokreativen Sinngehalt ein selbständiger personaler Wert ausgedrückt werden sollte. Das wird sehr anschaulich in GS 48: Die Ehe wird hier vorgestellt als „innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe“, als ein „heilige[s] Band“, das „im Hinblick auf das Wohl der Gatten und der Nachkommenschaft sowie auf das Wohl der Gesellschaft nicht mehr menschlicher Willkür“ unterliege.70 Als dem Zugriff des Menschen entzogen werden demnach nicht mehr nur die Wesenseigenschaften der Ehe, Einheit und Unauflöslichkeit, sowie die prokreative Ausrichtung der Ehe betrachtet, sondern auch das Wohl der Gatten und das Wohl der Gesellschaft.71 Weiter heißt es, die Ehe sei „mit verschiedenen Gütern und Zielen ausgestattet“, die „von größter Bedeutung für den Fortbestand der Menschheit, für den persönlichen Fortschritt der einzelnen Familienmitglieder und ihr ewiges Heil; für die Würde, die Festigkeit, den Frieden und das Wohlergehen der Familie selbst und der ganzen menschlichen Gesellschaft“72 seien. Auch hier ist der Bezug zur Nachkommenschaft gegeben, gleichzeitig wird jedoch ausführlich die Wichtigkeit für die einzelnen Personen beschrieben und dieser Zusammenhang – allerdings nicht im Sinne einer Rangfolge – von der prokreativen Dimension abgesetzt.73 Die Güter und Ziele „lassen sich sowohl textgeschichtlich als auch in bezug auf die offizielle Endfassung des Ehekapitels textanalytisch als die beiden neben den Wesenseigenschaften der Einheit und Unauflöslichkeit bestehenden Werte der Partnerschaft und der Nachkommenschaft identifizieren.“74 Diese Werte werden mit den beiden folgenden


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