3:2 - Deutschland ist Weltmeister. Fritz Walter

3:2 - Deutschland ist Weltmeister - Fritz Walter


Скачать книгу
uns inzwischen den Mund aus, trinken einen Schluck Tee oder kauen auf einem Zitronenscheibchen.

      Erst jetzt nimmt uns Herberger ins Gebet. Vor allem die Hintermannschaft ermahnt er zur Vorsicht, damit nichts mehr passiert. Posipal ist doch noch nicht ganz auf dem Posten, wie es scheint. Seine Unsicherheit überträgt sich ganz automatisch auf die anderen. Selbst Toni Turek, sonst die Ruhe in Person, zeigt eine gewisse Nervosität. Vom Sturm verlangt der Chef, dass er möglichst bald ein Tor schießt, damit die Türken noch mehr aus ihrer defensiven Haltung heraus müssen, als sie das freiwillig ohnehin schon tun.

      Die Pause ist schnell vorbei. In Gruppen von drei, vier Mann gehen wir wieder auf den Platz. Einer spricht dem anderen nochmal Mut zu. Auch der vieltausendstimmige Beifall unserer Landsleute ist ein kraftspendender Motor.

      Schiedsrichter da Costa pfeift die zweite Halbzeit an. Wie besprochen stürmen wir gleich mit Vehemenz los. Nach einer Steilvorlage, die Ottmar von der Mittellinie aus gibt, lässt Berni Klodt in einem unwiderstehlichen Sprint alle türkischen Deckungsleute hinter sich und schießt in der 51. Minute an dem herausflitzenden Turgay vorbei das so wichtige und auch entscheidende zweite Tor. Damit sind die Türken eindeutig auf die Verliererbahn gedrängt.

      Bald darauf prallen Toni Turek und Jupp Posipal zusammen, ein unglücklicher Zwischenfall, wie er vorkommen kann. Der Düsseldorfer hat den härteren Schädel, und der Hamburger muss für ein paar Minuten ausscheiden. Masseur Deuser nimmt ihn unter seine Fittiche, er bringt ihn vom Spielfeld weg hinter das Tor und beginnt seine erfolgreichen »Wiederbelebungsversuche«. Für den ausgefallenen Posipal geht Max Morlock einstweilen in die Verteidigung, die heute, wie schon gesagt, sehr leicht ins Schwimmen gerät. Posipal kehrt bald aufs Spielfeld und Max auf seinen halbrechten Posten zurück.

      Etwa zehn Minuten sind seit unserem Führungstor vergangen. Da wird Hans Schäfer von zwei Türken angegriffen. Bedrängt gibt er den Ball dennoch zentimetergenau an Morlock ab, der etwa auf der Höhe der Torlinie zur Mitte flankt. Turgay verfehlt und Ottmar hält den Kopf hin: 3:1 für uns!

      Eine Viertelstunde später hätte ich beinahe den vierten Treffer erzielt. Klodt schiebt mir im Strafraum den Ball zu. Turgay scheint schon geschlagen, ich brauche dem Leder nur noch ein Tüpferl zu geben, dann fliegt es in den Kasten. Aber wie von einer Feder geschnellt, taucht plötzlich Turgay auf, wirft sich halb nach rückwärts und verhindert ein todsicheres Tor in allerletzter Sekunde. Ich könnte mir die Haare raufen. Es wäre eine Kleinigkeit gewesen, den Ball schärfer zu treten. Dann hätte ihn auch Turgay, der Teufelskerl, nicht mehr erwischt.

      Hans Schäfer läuft auf mich zu, um mich zu trösten:

      »Mach dir nichts draus, Fritz! Das kommt in den besten Familien vor. Ist mir auch schon passiert.«

      Zehn Minuten später liefere ich dafür Maßarbeit, eine haargenaue Vierzig-Meter-Vorlage zu Ottmar. Der täuscht den rechten Verteidiger der Türken und gibt einen Pass nach innen zu Morlock. Torhüter Turgay ist in der Klemme. Was soll er tun? Herauslaufen? Im Tor bleiben? Zum einen ist es zu spät, das andere ist zu gefährlich. Wie man es macht, so ist es bekanntlich falsch. Turgay ist immer noch unschlüssig. Morlock aber schaltet schnell und schießt. Der Ball prallt vom linken Torpfosten ab ins Netz. 4:1. An unserem Sieg gibt es nichts mehr zu rütteln.

       Das Stimmungsbarometer steigt

      Nach dem Schlusspfiff lassen die deutschen Zuschauer, die uns während des ganzen Spiels anfeuernde Begleitmusik schenkten, ihrer Freude freien Lauf. Jetzt stürmen sie aufs Spielfeld und drücken uns enthusiastisch ihre Anerkennung aus.

      Auch in der Kabine gibt es zunächst ein allgemeines Händeschütteln. Herberger drückt mir als Spielführer die Hand, und ich gehe zu den zehn Kameraden und danke ihnen für ihr faires und anständiges Spiel. Dann kommen noch die verantwortlichen Leiter des DFB, Dr. Bauwens, Huber, Körfer und quittieren unsere Leistung mit einem kräftigen Händedruck.

      »Uff, das hätten wir hinter uns!«

      »Jetzt kann es in aller Ruhe weitergehen!«

      »Selbst wenn am nächsten Sonntag gegen die Ungarn alles schiefläuft, können wir durch ein zweites Spiel gegen die Türkei immer noch eine Runde weiter kommen.«

      »Wenn wir Weltmeister werden«, gelobt Berni Klodt ziemlich voreilig, »spring ich mit den Kleidern kopfüber in den Thuner See.« Ein tolles Angebot von einem, der nicht schwimmen kann!

      »Dann lass dich von Kwiat retten!« empfiehlt ein Spaßvogel, der genau weiß, dass Kwiatkowski auch Nichtschwimmer ist.

      Von allen Seiten schwirrt der Optimismus. Eine gute und zufriedene Stimmung macht sich breit.

      Ich zerre noch an meinen Schuhen herum, da sind die anderen schon unter der Brause. Aber warum soll ich mich beeilen? Jetzt hängt ja nichts mehr von Sekunden ab. Trotzdem schaue ich, dass ich allmählich auch fertig werde. Das köstliche Gefühl nach einem Spiel, noch dazu nach einem gewonnenen Spiel, unter der warmen Brause zu stehen, möchte ich gründlich genießen. Um sofort jede Müdigkeit aus dem Körper zu vertreiben, nehmen wir heiße und kalte Wechselbäder. Während wir wie übermütige Kinder herumhantieren, packt Deuser seine Utensilien zusammen. Die Ersatzleute helfen mit, Trikots, Hosen und Stutzen zu zählen.

      Als wir es absolut nicht mehr hinausschieben können, trocknen wir uns ab und schlüpfen in unsere Trainingsanzüge.

      Vor der Kabine warten Scharen von deutschen Schlachtenbummlern, um uns die Hände zu schütteln und Glück zu wünschen. Von allen Seiten strecken sie uns Fotos und Ansichtskarten entgegen, die wir unterschreiben sollen. Wir denken an die Begeisterung, mit der sie unser Spiel unterstützt haben und erfüllen ihre Bitten so weit wie möglich.

      Im Omnibus machen wir es uns dann gemütlich. Die Stimmung ist gut. Singend kommen wir gegen neun Uhr wieder im Belvédère an. Nachdem wir unsere Sachen auf die Zimmer gebracht haben, treffen wir uns gleich anschließend im Speisesaal. Bevor das Abendessen aufgetragen wird, dankt Herberger kurz noch einmal für den Einsatz der Mannschaft.

      »Über alles, was noch falsch war, reden wir morgen. Das erste Spiel habt ihr jedenfalls gewonnen. Und nun lasst es euch schmecken!«

      Mit gesundem Appetit langen wir zu. Das zur Feier des Tages genehmigte Glas Bier wird mit lautem Hallo begrüßt. Außer Sprudel und Traubensaft müssen wir nämlich sonst mit einer Tasse Kaffee oder einem Glas Tee zufrieden sein.

      Möglichst bald wollen wir heute in den Betten liegen. Vorher gehe ich noch zu Deuser in die Unterwassermassage. Zwei, drei Kameraden schließen sich an.

      Die Unterwassermassage hat uns schon in Grünwald zur Verfügung gestanden. Sie ist keine absolut neue Erfindung. Das Kaiserslauterer Pfaffbad z. B. hat die »U-Massage« schon längere Zeit. Deuser verwendet sie bei Fortune Düsseldorf ständig, und auch andere Vereine gebrauchen sie regelmäßig. Die Nationalelf hat sie bisher noch nicht benutzen können, weil dafür eine Badewanne mit einem fest angebauten Gerät erforderlich ist. Für die Dauer der Weltmeisterschaftskämpfe aber hat eine Firma, soviel ich weiß, kostenlos, einen leicht transportablen Apparat zur Verfügung gestellt, der in die Schweiz vorausgeschickt wurde. Man kann ihn – und das ist der Vorteil – an jede beliebige Badewanne anschließen.

      Prellungen, Zerrungen und Blutergüsse sind durch Unterwassermassage viel schneller und intensiver zu vertreiben als mit Handmassage. Aber auch ohne angeschlagen zu sein, nehmen wir die Spezialbehandlung gern in Anspruch, um die kleinste Verkrampfung der Muskeln zu lösen und verbrauchte Stoffe erst gar nicht im Körper zu lassen. Nach keinem Spiel in der Schweiz gehen ich ins Bett, ohne mich vorher Deusers Händen anzuvertrauen, selbst wenn wir erst um ein Uhr oder zwei Uhr ins Hotel zurückkehren.

      Als ich endlich ins Zimmer komme, liegt der Boss schon in den Federn. Er war beim ersten Türken-Spiel nicht aufgestellt. Eine bittere Pille für ihn, der in prächtiger Form ist und seinen Einsatz kaum erwarten kann. Dafür rechnet er fest damit, in einem der nächsten Spiele mit von der Partie zu sein. Aber wenn er auch heute nur Zuschauer war, freut er sich ehrlich über unseren Sieg. Mit einem schönen und zufriedenen Gefühl schlafen wir an diesem Abend ein.

      Конец


Скачать книгу