3:2 - Deutschland ist Weltmeister. Fritz Walter
durch Losentscheid unterlegen), spielt gegen Südkorea und gegen Deutschland. Man kann annehmen, dass sie gegen den Punktelieferanten Korea gewinnt, und hoffen, dass sie gegen Deutschland verliert. Das macht 2:2 Punkte. Da Deutschland in diesem angenommenen Fall dasselbe Punkteverhältnis hat (Sieg gegen die Türkei, Niederlage gegen Ungarn), muss es mit der Türkei ein Entscheidungsspiel austragen. Der Sieger kommt als Zweiter der Gruppe II ins Viertelfinale.
Mit soviel FIFA-Steinen ist also der Weg gepflastert, der uns mit Ferenc Puskas, den wir jetzt in der Sportschule Grünwald noch auf der Filmleinwand sehen, in der Schweiz zusammenführen wird.
Training mit und ohne Ball
Theorie allein macht keinen Fußballspieler. Deshalb geht es nach dem Unterricht gleich raus zum Training, das hart, aber abwechslungsreich ist. Zum ersten Mal treiben wir in ausgedehnter Form Laufarbeit. Wir teilen uns in verschiedene Gruppen, fünf oder sechs Stürmer, ein paar Läufer, die Verteidiger und die Torwächter. So laufen wir uns über drei, vier Runden ein, um die Muskulatur gut durchzuwärmen und Zerrungen und Muskelrisse zu vermeiden. Dann erst legen wir – immer noch gruppenweise – richtig los. Langsam anlaufen! Bei fünfzig Meter durchstarten bis zu hundert Meter! In den Kurven bummeln wir, werden wieder ein wenig schneller und treten noch mal fünfzig Meter durch.
Das machen wir mindestens eine Stunde lang: spurten, langsamer werden, drüben auf der Gegengeraden wieder spurten, zehn Meter auslaufen, wieder spurten! Wenn die Stunde um ist, sind wir ganz schön in Schweiß gebadet und wissen, was wir getan haben. Max Morlock nimmt das Training so ernst, dass er sich in Grünwald acht Pfund Speck herunterarbeitet.
Alfred Pfaff, dem die Puste nie ausgeht, nutzt die kleine Pause zu einem seiner lebensgefährlichen Kalauer:
»Kinder, wisst ihr, warum der Eber so traurig durch den Wald läuft?«
»Nee!«
»Weil seine Frau eine Wildsau ist!«
»Au!«
Lachend geht es wieder auf die Bahn. So trainieren wir jeden Vormittag gründlich, oft auch zusätzlich eine Stunde vor dem Frühstück.
Das Lauftraining auf der Aschenbahn genügt natürlich nicht.
Regelmäßig arbeiten wir mit dem Ball. Die Stürmer spielen gegen die Hintermannschaft, drei Mann gegen einen, vier gegen zwei oder, über den ganzen Platz hinweg, fünf gegen fünf oder sechs gegen sechs. Zwischendurch spielen wir Fußball-Tennis. Dazu wird ein Feld abgegrenzt und durch eine in beliebiger Höhe gespannte Schnur zweigeteilt. Ein gewöhnlicher Fußball wird über die Schnur hin- und hergetreten oder -geköpft, er darf in jedem Feld einmal springen, nie über die Spielfeldgrenze rollen, unter der Schnur durchgehen oder sie berühren. Wenn eine Mannschaft zehn Pluspunkte hat, wird gewechselt, bei 21 Punkten auf einer Seite ist das Match beendet.
Auch Korbball-Mannschaften gehören zu unserem »spielerischen« Training, bei dem man gar nicht merkt, wie viel man läuft – eine vortreffliche Ergänzung zur systematisch betriebenen Laufarbeit.
Auf der schönen Grünwalder Kegelbahn schiebt der Sturm manche Kugel gegen die Hintermannschaft. Oder wir kegeln in Stubenbesetzung gegeneinander. Helmut Rahn, der mit mir auf einem Zimmer wohnt, wirft einen Kranz und holt für uns die Meisterschaft. Siegespreise sind zwei Bücher mit einer Widmung von Herberger. Der Boss verzichtet aus freien Stücken auf sein Buch »08/15«, das ich als alter Landser zweifellos besser verkraften kann als er.
Ein paarmal fahren wir hinein nach München, um ins Kino zu gehen. Es ist wie verhext: Jede Wochenschau endet mit Ausschnitten aus dem 1:5-Endspiel um die Deutsche Meisterschaft. Nichts bleibt uns erspart. Nach dreimaligem Kinobesuch haben wir Kaiserslauterer 3x5 = 15 Tore von Hannover einstecken müssen.
Herberger ist in all den Tagen ein vorbildlicher, idealer Kamerad. Er kennt jeden einzelnen mit seinen Fehlern und seinen guten Seiten. Er weiß genau, mit wem er mal ein bisschen lauter reden muss, und wem er am besten in Ruhe zuspricht. Wenn ihn ein besonderes Anliegen drückt, schnappt er sich den einen oder anderen, auch mal zwei oder drei, und bespricht auf einem Spaziergang, was er auf dem Herzen hat.
Große Aufmerksamkeit müssen wir unserem Speisezettel widmen. Jeder weiß ohnehin schon längst, wie viel er essen darf. Horst Eckel zum Beispiel kann Riesenportionen verschlingen, ohne dass es bei ihm anschlägt. Ich dagegen hab’ seit Jahren Schwierigkeiten mit meinem Gewicht; ich darf keine Suppe essen, keine Kartoffeln, kein Schweinefleisch und keine fetten Soßen. Ein Punkt aber, in dem sich alle zurückhalten müssen, ist das Trinken. Nur nicht viel trinken! Je trockener der Körper, desto leistungsfähiger ist er. Alkohol ist grundsätzlich verpönt.
Erlaubt sind Apfelschorle, Trauben- und Orangensaft mit aufgelöstem Traubenzucker oder auch Milch mit ausgepressten Erdbeeren, natürlich alles schön frisch serviert. Sehen wir, dass an einem Tisch viel getrunken wird, dann heißt es gleich:
»Feuchter Tisch bei euch! Wie sieht’s denn da aus?«
Gegenseitig helfen wir uns, nicht mehr zu trinken, als unbedingt nötig ist. Nur eine Ausnahme machen wir, an dem Abend nämlich, an dem wir zu einem original-bayerischen Essen eingeladen sind. Es gibt Schweinsbraten mit Knödel und Kraut, Gselchtes und Würstl. Dazu wären Limo und Sprudel Todsünden. Also wird jedem ein Glas Bier bewilligt.
Die zünftige Einladung hat uns übrigens Jackl Streitle verschafft, der in Grünwald Herberger hilft, wo er nur kann. Er kümmert sich um die Bälle und sorgt dafür, dass der Lehrsaal frei ist, wenn ein Film vorgeführt werden soll. Außer Masseur Deuser, der uns in den letzten Jahren bei allen Länderspielen betreut hat, steht zum ersten Mal auch ein Arzt zur Verfügung, Dr. Loogen.
Nur ein Schatten fällt auf die Tage von Grünwald. Noch sind wir 28 Mann, aber nur 22 dürfen bekanntlich in die Schweiz. Sechs Kameraden, voll Freude und Erwartung wie wir alle, werden ausscheiden.
Das harte Los, zurückzustehen und damit die Chance ihrer Fußballkarriere aus der Hand geben zu müssen, fällt schließlich auf Baumann und Röhrig, die verletzt sind, auf Harpers, Gottinger, Schäfer aus Siegen und Deinert.
Am Mittwoch vor Pfingsten ist unser Lehrgang beendet, und am Mittwoch nach Pfingsten sollen wir 22, die nun endgültig feststehen, uns in der Sportschule Schöneck bei Karlsruhe-Durlach wieder melden.
Wir können also ein paar Tage nach Hause fahren und ausspannen. Das Training aber dürfen wir auf keinen Fall vergessen.
»Ihr wisst selbst, was ihr zu tun habt! Niemand von euch kann es sich leisten, die zwölf Tage von Grünwald aufs Spiel zu setzen!« Herberger spricht noch einmal aus, was uns längst klar ist. Wir müssen alles dransetzen, um in der Höchstform zu bleiben, in die wir uns gebracht haben. Das gilt für mich noch mehr als für die meisten anderen, denn wenn man einmal die berüchtigte 30-Jahres-Grenze überschritten hat, muss man unermüdlich an sich arbeiten, um mit den Jüngeren Schritt halten zu können.
»Wenn wir über Pfingsten zu Hause bleiben, geht wieder ununterbrochen die Klingel, rappelt pausenlos das Telefon«, sagte ich, nach Kaiserslautern zurückgekehrt, zu meiner Frau. »Du wirst sehen, wir haben keine Viertelstunde Ruhe! Am besten verschwinden wir ein paar Tage!«
Kurz entschlossen packen wir die Koffer, meine Trainingssachen ganz obendrauf, und fahren nach Obertal, wo es meinen Kameraden und mir so gut gefallen hat.
Hoch oben am Berg suche ich mir eine Waldlaufstrecke, die etwa einen Kilometer lang ist. Jeden Morgen nach dem Frühstück packe ich die tausend Meter viermal, hin und zurück und wieder hin und zurück. Zuerst laufe ich mich warm, dann verschärfe ich das Tempo und lege regelmäßig Zwischenstarts ein. Kein Mensch stört mich um diese Zeit beim Training. Während die Beine mechanisch laufen, hämmern in meinem Kopf die Gedanken an die Weltmeisterschaft. Was dürfen wir hoffen? Was werden wir erreichen?
Wie schwer ist es doch, so allein zu laufen! Wenn die Kameraden dabei sind, lässt man sich mitreißen, hat seinen Ehrgeiz, nicht zurückzustehen. Pfingsten ist heute! Im Tal gehen die Leute spazieren oder sitzen auf den Balkons und frühstücken.
»Und du machst dich hier verrückt, läufst und läufst, bis dir das Wasser aus allen Poren