Selbsthändig. Florian Bayer

Selbsthändig - Florian Bayer


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uns weitergehen wird, ist den meisten nicht klar. So geht es immer um das gleiche Thema. Egal, ob bei den Kathrins auf ihrem Balkon:

      „Wir wären schon viel weiter, wenn wir wüssten, wie wir uns nennen wollen.“ „Dass ihr beide Kathrin heißt, ist doch super, da lässt sich doch sicher was mit machen.“ „Synchronschwimmer finden wir ja ganz gut, aber das hat nichts mit Design zu tun.“ „Ich find’s super. Das schließt auch niemanden aus, wenn noch jemand zu euch stößt.“ „Aber was mit’m Nachnamen wär auch toll ...“

      ... oder mit Andreas unten im Hof: „Ich muss noch nen Text über mich schreiben, der bei dieser Ausstellung am Wochenende aushängt. Würdest du den eher in der Ich-Form schreiben, oder in der dritten Person?“

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      Wir können alle zeichnen und gestalten, aber wir ahnen, dass da noch etwas dazu kommen muss, um aus unserem Innenhof und aus dem Studium herauszutreten. Wir befinden uns mal wieder am Anfang. Wo geht es hin? Und wie?

      Die Bereiche, in denen wir als Illustrator tätig werden können sind so unterschiedlich. Was macht man in den verschiedenen Jobs? Wie bekommt man die ersten Aufträge? Festanstellung oder Freelancer, von beidem hat man nur unscharfe Vorstellungen. Wie geht das mit der Künstlersozialkasse? Kann man sich fördern lassen? Wie viel Unternehmer muss in einem Illustrator stecken?

      Ich glaube, wir wissen einfach zu wenig. Wir fällen Entscheidungen auf Vermutungen und die vielleicht beste Perspektive kennen wir noch nicht. Auf dem Weg in die Selbstständigkeit braucht man Mut und den bekommt man auch durch Geschichten, durch Beispiele. Alle möglichen Wege sind doch schon so viele vor uns gegangen. Sollen die uns doch einfach erklären, wie das alles läuft.

      Man muss sie nur fragen.

       www.laborproben.de

      JÖRG MÜHLE BILDERBUCH

      Nahe dem Frankfurter Südbahnhof durchlaufe ich zwei Hinterhöfe und stehe vor einem geduckten Zweckbau. „Main Klischee“, lese ich groß auf seiner Fassade. Hier im vierten Stock befindet sich das „Labor“, eine Ateliergemeinschaft bestehend aus neun Illustratoren und Grafikern. Jörg Mühle öffnet mir die Tür und ich trete ein in das ästhetische Chaos einer Kreativwerkstatt, die den Charme einer WG beibehalten hat. Jörg Mühle ist seit sechs Jahren mit dabei. Sein Schreibtisch quillt über vor Pinguinen und Piraten, denn er arbeitet vor allem im Kinder- und Jugendbuchbereich.

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       Kann ich dir etwas anbieten? Einen Kaffee, oder Wasser?

      Am liebsten beides.

      Kein Problem, gerne. Währenddessen kannst du mich schon mal mit Fragen löchern …

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      AN DER ARCHE UM ACHT Jörg Mühle, 2007 Sauerländer

       Dann beginnen wir mal ganz vorne: Stand für dich schon immer fest, dass du Illustrator werden wirst, oder gab es da auch Überlegungen in eine andere Richtung?

      Als Comic-Fan, der kein Comic-Zeichner werden wollte, habe ich mich relativ pubertär für ein Design-Studium an der HfG Offenbach beworben. Dort habe ich, obwohl ich schon immer sehr viel gezeichnet habe, vor allem Grafikdesign studiert. Manchmal ist alles so personenabhängig, ich kam leider lange nicht so gut mit meinem Illustrations-Professor zurecht. Aber ich habe recht erfolgreich studiert, bis ich mir vor dem Diplom plötzlich die Frage stellte, ob Grafikdesign wirklich das ist, was ich machen will. Es machte mir nicht richtig Spaß und ich hatte auch keine richtige Vision dafür. Ich wollte lieber zeichnen, das ist das was mich glücklich macht. Aber so genau konnte ich das zu dem Zeitpunkt noch nicht sagen, stattdessen fragte ich mich ständig: Welche Richtung? Welcher Professor? Das war sicher auch ein Selbstbewusstseinsproblem.

      Das wuchs zu einer großen Sinnkrise an und ich wollte kurz vor dem Diplom mein ganzes Studium hinschmeißen.

      Keine leichte Entscheidung. Ich kann das ein bisschen nachfühlen. Bis ich bei meinem Illustrationsdiplom gelandet bin, musste ich mich auch erst einmal durch solch eine Sinnkrise durcharbeiten.

      Zum Glück hab ich’s nicht hingeschmissen und bin stattdessen für ein Jahr nach Paris. An der „Ecole Nationale Superieure des Arts Decoratifs“ belegte ich ausschließlich Illustrationskurse. Ich kannte niemanden und hatte sehr viel Zeit für mich. So konnte ich mich – eigentlich zum ersten Mal in meinem Studium – richtig auf’s Zeichnen einlassen und spürte, welche Leidenschaft und Glücksgefühle das bei mir auslöst. So ist Frankreich zu einer meiner tiefsten Erfahrungen in meinem Leben geworden. Ich habe die Sprache gelernt, bin durch die Straßen gelaufen, habe Menschen getroffen … und mich dabei entschieden, mein Diplom in Illustration zu machen und mein Ding durchzuziehen.

      Nach dem Diplom hatte ich mir ein Jahr Zeit gegeben, es als Illustrator zu probieren und damit durchzukommen. Die Bedingungen dafür waren gut, ich konnte mietfrei wohnen und hatte mir einiges angespart.

      „Wenn ich mein Ziel nicht erreichen sollte, werde ich eben Grafikdesigner“, dachte ich mir. Aber das wäre für mich eine reine Sicherheitslösung gewesen, emotional gleichbedeutend zu Taxi fahren.

      Das Labor gab es schon; und während ich an meinem Diplom zeichnete, hörte ich, dass dort ein Platz frei wird.

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      Während des Diploms hatte ich sehr viel Zeit allein am Zeichentisch verbracht und das auch sehr genossen. Gleichzeitig habe ich gespürt, dass das nicht gut für mich ist. Ich merkte, wie ich immer introvertierter wurde und habe mir quasi eine Selbsttherapie verordnet. Ich wollte beim Arbeiten wieder unter Menschen kommen und bewarb mich beim Labor, ohne dort jemanden zu kennen.

      Es war sehr hilfreich, gleich hier anzufangen. Ich kannte eigentlich keine Illustratoren und hier im Labor gab es gleich mehrere, die Erfahrung hatten. Ich wollte unbedingt wissen, wie’s losgeht. Ich hatte ja keinen Schimmer. Zunächst hatte ich etwas Angst vor der direkten Konkurrenzsituation. Ich wusste nicht, wie ich reagieren würde, wenn die anderen beschäftigt sind und ich nur herumsitze. Oder ob untereinander Neid ausbricht. Aber die Angst vor der Konkurrenz legte sich schnell und den Erfolg der anderen empfinde ich als Ansporn. Wir haben jetzt eine Konstellation, die sehr gut ist. Vertrauen untereinander zu fassen, ist in einer Ateliergemeinschaft, wie wir sie hier haben, sehr wichtig. Dadurch kamen viele Jobs am Anfang zustande. Die anderen haben mir super geholfen. Alle verschaffen sich gegenseitig Jobs und machen Werbung füreinander. Wenn ein Kunde einen aus dem Labor kennt, kennt er alle. Die gemeinsame Webseite macht das Labor zu einer richtigen Institution. Und das hat einen irren Synergieeffekt. Man wird als Gruppe wahrgenommen, das finden die Leute cool. Wir haben mal überlegt uns an einem Logo und Briefpapier zu versuchen, aber bis auf die Webseite haben wir alles verworfen. Das Ding hier hat eine relativ ungeplante Eigendynamik. Es gibt dafür keine juristische Form, es ist eher so was wie eine Wohngemeinschaft.


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