Dem Logos zuhören. Udo Stenz

Dem Logos zuhören - Udo Stenz


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diese sind nichts Statisches, sondern ziehen mit den Erlebnisströmen mit und werden von Husserl als „transzendentaler Leitfaden“76 bezeichnet. Daraus erweist sich eine unaufhebbare und konstitutive Verbundenheit des Ich mit der Welt, die auf der tiefsten Ebene des intentionalen Bewusstseins verortet ist.

      Die Subjektivität des reinen, transzendentalen Ich kommt als solche – sie ist ja phänomenologisch reduziert – in der Welt nicht vor; sie ist mit Husserls Ausdruck extramundan77. Gleichwohl ist sie je meine78, d. h. es handelt sich nicht um ein allgemeines Subjekt oder das Bewusstsein überhaupt, sondern sie ist in ihrer Extramundanität doch zur Individualität veranlagt, weil kein anderes im Strome der Erlebnisse die Gestalt meines persönlichen in der Welt vorkommenden Ich annimmt. In dieser extramundanen Jemeinigkeit liegt eine gewaltige Spannung.

      Die „Jemeinigkeit“ als extramundane Individualität im Sinne Husserls unterscheidet sich damit allerdings grundlegend von dem, was M. Heidegger (1889 – 1976) darunter versteht. Heidegger bezeichnet mit „Jemeinigkeit“ „die Bedingung der Möglichkeit von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit“, in der Dasein immer existiert79. Im Gegensatz zur Extramundanität Husserls ist für Heidegger das „In-der-Welt-sein überhaupt als Grundverfassung des Daseins“80 anzusehen, also eine ohne die benannte Spannung auftretende personale Jemeinigkeit81. Es deutet sich schon jetzt an, dass diese Spannung nicht aufgelöst werden kann, dass sie vielmehr im Innern des Ich etwas bezeichnet, was am treffendsten mit dem Ausdruck „Geheimnis“ zu charakterisieren ist.

      Die Spannung zeigt sich daran, dass das reine Ich einerseits aufgrund der Epoché losgelöst von allem und in diesem Sinne absolut ist. Andererseits existiert als Kehrseite eine Relativität, denn die Welt ist, wie wir gesehen haben, bezogen „auf das sie konstituierende Ich82. Die konstituierte Wirklichkeit wird als transzendentaler Gegenstand in gewisser Weise zu einem Teil des Ich, sodass dieser Gegenstand „eine Regelstruktur des transzendentalen Ego“ bezeichnet83.

      Das absolute, reine Ich ist, wie gesehen, alleiniger Urgrund der konstituierten Welt84. Husserl spricht deshalb auch von „Ur-Ich85. Das Ur-Ich hat nicht nur nichts mehr mit dem empirischen Ich zu tun86, es ist auch entkleidet von allem, was in irgendeiner Weise mit Erkennen zu tun hat, und damit ausschließlich Sein87. Und weil das Ur-Ich als alleiniger Ur-grund der Welt gedacht wird, kann es seinesgleichen nicht kennen88. „Die Epoché schafft eine einzigartige philosophische Einsamkeit“89.

      An diesem Punkt, den Husserl „transzendentale Egologie“ nennt, erscheint die Phänomenologie solipsistisch90. Es stellt sich deshalb die Frage, ob im phänomenologischen Ansatz, wenn er solipsistisch ist, nicht der Weg zur Annahme eines gleichberechtigten oder gar gleichursprünglichen Anderen von vornherein verbaut ist91. Denn „wenn ich die Welt ausgeschaltet habe, weiß ich jedenfalls davon nichts mehr, dass es mehrere Menschen gibt und damit mehrere reine Ich“92. Eine Gleichursprünglichkeit von Ich und dem Anderen ist vom Ur-Ich her, auf dem Boden der Phänomenologie weder vorgesehen noch darstellbar. Das gilt nicht nur im Prozess der Erkenntnis, in dem es außer Frage steht, dass es ohne ein Erkennendes kein Erkennen gibt, sondern auch für das Sein selbst. Das Sein der Welt und des Anderen ist gesetzt durch ihr Erscheinen, welches wiederum im Ich einen Pol voraussetzt.

      Dies würde bereits an dieser Stelle den phänomenologischen Ansatz zur Beschreibung von Dialog und Kommunikation diskreditieren. Husserl selbst stellt fest,

      „dass die Selbstbesinnung, die der anfangende Philosoph zu vollziehen hat, nicht in der natürlichen kommunikativen Einstellung, sondern sozusagen in der solipsistischen vollzogen werden muss“93.

      Die Problematik spitzt sich im Hinblick auf unsere Leitfrage nach einer theologischen Fundierung des Dialogs zu: Kann Dialog verstanden werden als ein phänomenologisch zu beschreibendes gemeinsames Hinhören auf etwas Vorgegebenes, auf den Logos, der dem Denken vorgeordnet ist und insbesondere nicht von ihm abhängt, weil er vom Bewusstsein erst konstituiert werden müsste? Bedarf es dazu nicht außerdem eines gemeinsamen oder gleichrangigen Ursprunges anstelle eines logischen Vorranges des Ich vor dem Anderen? Husserl selbst hat diese Fragen in Bezug auf den Dialog nicht erschöpfend erörtert. Es ist deshalb der Nachweis versucht worden, dass seine Phänomenologie der Intersubjektivität letztlich in einer solipsistischen Aporie endet94.

      Husserl hat offenkundig versucht, im Weg der Reduktion eine Instanz zu etablieren, die als „reine Seele“ sich zwischen Welt und Ur-Ich schiebt und in der anderes außer dem Ich – insbesondere: Andere – Platz hat, die das Ich gar in eine Gemeinschaft einordnet. Dass dieser Versuch einer von Husserl so genannten „phänomenologisch-psychologischen Reduktion“ nicht gelungen sein dürfte95, spricht für die Konsistenz und die Zielführung seines Denkens, das sich als nicht solipsistisch-aporetisch erweist.

      Indessen dürfte in der Betrachtung des gesamten phänomenologischen Gedankenganges eine Kennzeichnung als Solipsismus übereilt sein. Die solipsistische Einstellung, von der Husserl spricht, ist nicht ohne weiteres gleichzusetzen mit demjenigen Denken, das herkömmlich mit Solipsismus bezeichnet wird. Schließlich wird auch das eigene Subjekt, das der Solipsismus als einzig Sicheres ansieht96, in der Epoché eingeklammert und phänomenologisch reduziert. Damit verfehlt der Vorwurf des Solipsismus sein Ziel, denn auch der Solus ipse und die Tätigkeit seines Bewusstseins werden durch die Einklammerung jedem Zugriff entzogen. Der Mensch hat den Drang, auf der Suche nach der Objektivität seines eigenen Seins in Tiefen vorzustoßen, in denen er sich in seiner Rätsel- oder Geheimnishaftigkeit des Seins begegnet.

      Das Ur-Ich geht also hinter den Solus ipse zurück – oder richtiger gesagt: Es liegt ihm voraus. In seinen tiefsten Gründen entdeckt das Ich etwas, was es nicht mehr selbst als Ich ist, sondern was ihm vorgegeben ist, wessen es nicht habhaft werden kann97. Es kann beschrieben werden als ein Ich-Pol, der kein Ich und nichts zu Erscheinendes mehr beinhaltet, sondern nur noch eine Art Struktur im Erscheinen selbst ist98. Diese Struktur jedoch zeigt ihm den Weg aus den tiefsten Tiefen seiner selbst99 über sich hinaus hin zur Welt und lässt es zugleich bei sich und transzendent außer sich sein100.

      In der von Husserl festgestellten philosophischen Einsamkeit des Ur-Ich ist damit in radikaler Weise die dialektische Spannung101 zu erkennen, die sich bereits an allgemeinen Ausführungen Husserls zu seiner Methode zeigt, wonach

      „im Grunde genommen … „s c h o n i n d e r p h ä n o m e n o l o g i s c h e n R e d u k t i o n, der richtig verstandenen, die M a r s c h r o u t e a u f d e n t r a n s z e n d e n t a l e n I d e a l i s m u s vorgedeutet [ist]“102.

      Philosophisch steht man damit vor der Herausforderung, diese dialektische Spannung im Ich, in der der Schlüssel zum Verständnis seiner selbst und alles von ihm verschiedenen liegen dürfte, genau zu untersuchen.

      Damit eröffnet sich der Phänomenologie das Gebiet der Egologie, die von Husserl als „die an sich erste Phänomenologie“103 bezeichnet wird. Dabei ist allerdings sorgfältig zu berücksichtigen, dass die Phänomenologie sich nicht auf die Egologie beschränkt. Husserl legt größten Wert auf die Feststellung, dass es eine Missdeutung „des Sinnes und der Leistung der phänomenologischen Reduktion“ sei, wenn man meine, die „reine Phänomenologie“ sei nur „möglich als transzendentale Egologie.“104 Der Phänomenologie geht es immer um das Gesamt der Welt, nicht nur um das Ich; daher verschreibt sie sich ausdrücklich dem transzendentalen Idealismus, dessen „erste streng wissenschaftliche Gestalt“105 sie sein möchte.

      In Husserls Lehre vom Ur-Ich klingt diejenige Wirklichkeit an, die „seit den Anfängen des Philosophierens“106 als Monade die Wesensbestimmung des Seins kennzeichnet. G. W. Leibniz (1646 – 1716) machte sie zum Kernbegriff seiner Philosophie. Die Monaden sind nach


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