Lebendige Seelsorge 3/2018. Erich Garhammer
Rückstand des Rechts zu schließen, als „Relativismus“ deutet, bringt das Recht an seine Relevanzgrenzen (vgl. Hecke, 105).
RECHT ALS KULTUR
Angesichts des Zusammenhangs von Recht und Kultur stellt sich in einer globalen Kirche aus äußerst pluralen Ortskirchen die Frage, ob ein globales Kirchenrecht überhaupt funktionieren könne. Auch das weltweit geltende Gesamtkirchenrecht ist ja keine superkulturelle Ordnung, sondern ein von einer bestimmten Kultur vorgeprägtes Recht. In seiner heutigen Form ist es Produkt der päpstlich-kurialen Rechtssetzung und damit Ertrag der päpstlichrömischen Rechtskultur. Hier entfaltet es seinen Sinn. Hier steht es mit den Gefühlen, Wertungen, Handlungen und Interaktionen der Rechtsgemeinschaft in Beziehung. In anderen Kulturen stellt es hingegen erst einmal einen Fremdkörper dar. Wie lässt sich diese Fremdheit überwinden?
Von den Critical Legal Studies kann man lernen, wie es nicht geht. Kolonialistische Rechtsexporte, in denen eine Kultur einem fremden Recht unterworfen wird, hat es in der Geschichte gegeben. Sinn und identitätsstiftend wirkte dieses aufgezwungene Recht selten. Bis heute leiden kolonialisierte Rechtsordnungen unter unüberbrückbaren Dissonanzen von Recht und Kultur. Dass auch der Export des römischen Kirchenrechts in die lokalen Kirchen kolonialistische Züge trägt, deutet der Kanonist John Huels an, insoweit er diesen Rechtstransfer als „imposition of a universal canon law“ (Huels, 289) bezeichnet. Hierdurch würden Kulturkonflikte provoziert. Das vom interkulturellen Theologen Robert Schreiter problematisierte Beispiel, in Ortskirchen, in denen Weizenbrot und Traubenwein ungebräuchlich seien, auf die im europäischen Kulturraum entwickelten Vorgaben zur eucharistischen Materie zu dringen (vgl. Schreiter, 8–9), greift Huels als Beispiel für eine rechtliche Regelung (c. 924 CIC/1983) auf, die in bestimmten Kulturen religiöse Sinnstiftung verhindere (vgl. Huels, 281).
Das Kolonialisierungsmodell kann also kaum empfohlen werden, um ein globales Kirchenrecht zu etablieren. Ich meine aber, man könnte mit dem Gedanken des Kulturgutaustauschs arbeiten. Wenn Recht Kultur ist (und folglich als Kulturgut erfasst werden kann), lässt sich sein über Kulturgrenzen hinweg erfolgender Transfer als Übereignung kultureller Güter zum jeweiligen Nutzen der anderen Kultur verstehen. Dies setzt aber ein Zweifaches voraus.
Erstens: ein solcher Austausch gelingt nur frei. Damit ein kulturell fremdes Recht in einer Gruppe wirken kann, muss diese es zu ihren Gefühlen, Wertungen, Handlungen und Interaktionen in Beziehung setzen. Solche Rezeptionsprozesse funktionieren nicht mit Zwang. Sie gelingen durch Inkulturation, durch freiwillige Annahme des fremden Rechts, durch die dieses kulturell neu beheimatet wird. Hierdurch entsteht jedoch immer etwas Eigenes: eine eigene lokale Theologie, eine neue liturgische Tradition, eine lokal geprägte Rechtspraxis.
An einem Kirchenrecht für die gesamte Kirche muss die gesamte Kirche Anteil haben.
Zweitens: Jeder Kulturgutaustausch ist eine wechselseitige Angelegenheit. Auch ein Rechtstransfer ist kein Einbahnprozess, der Normen in einer lokalen Kirchenkultur implementierte, sondern wirkt auf die Normen zurück. Die Internationale Theologenkommission hat Inkulturation mit „wechselseitiger Bereicherung“ (Internationale Theologische Kommission, Abs. 1. Nr. 11) in Verbindung gesetzt. Dass die Ortskirchen nicht nur Empfängerinnen des Gesamtkirchenrechts sind, sondern an diesem selbst einen Beitrag haben, müssen die Rechtsetzungsprozesse abbilden. Dies setzt ein grundlegendes Umdenken voraus. Eine Voraussetzung von Inkulturation ist nämlich, so formuliert Martin Maier, „daß keine Kultur einer anderen von vornherein als überlegen angesehen und daß das Christentum in seiner westlich-abendländischen Gestalt nicht als normativ für andere Kulturräume vertreten wird.
Schließlich darf keine bestimmte Kultur als perfekt angesehen und keine Gestalt des christlichen Glaubens absolut gesetzt werden – auch nicht die römische“ (Maier, 506). Die gegenwärtige Romanität des gesamtkirchlichen Rechts ist angesichts dessen kaum zu rechtfertigen (vgl. Örsy 1996, 22). An der Entstehung eines für die gesamte Kirche geltenden Kirchenrechts muss die gesamte Kirche einen Anteil haben.
Sind damit alle Probleme gelöst? Vermutlich nicht. Ich meine aber, die benannten Punkte bilden einen Anfang, um über ein Kirchenrecht nachzudenken, mit dem man auch jenseits von Rom etwas anfangen kann.
LITERATUR
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Einige pastoraltheologische Probleme des Kirchenrechts
Pastoral ist nachvatikanisch als kreative Konfrontation von Evangelium und heutiger Existenz in Wort und Tat, im individuellen wie gesellschaftlichen Wertbereich definiert. Sie präsentiert und realisiert, in menschlicher Schwäche, die Liebe Gottes zu den Menschen. Ihre zentralen Tugenden sind daher Aufmerksamkeit, Ehrlichkeit und Mut. Das Kirchenrecht realisiert, ebenfalls in menschlicher Schwäche, innerkirchliche Gerechtigkeit – so sein Anspruch. Gerechtigkeit und Liebe fallen aber bekanntlich nur bei Gott zusammen, unter irdischen Bedingungen stehen sie oft in Spannung. Diese Spannung definiert auch das Verhältnis der nachkonziliaren Pastoraltheologie zum Kirchenrecht. Rainer Bucher
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