Lebendige Seelsorge 3/2018. Erich Garhammer

Lebendige Seelsorge 3/2018 - Erich Garhammer


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zeitlich, aber nicht wirklich konzeptionell nachvatikanisch ist und der CIC 1983 zudem hinter den gut begründeten normativen Rechtstandards demokratischer Verfassungsstaaten zurückbleibt. Beides ist leider der Fall. Aus dieser Konstellation ergeben sich einige Probleme der Pastoraltheologie mit Theorie und Praxis des geltenden Kirchenrechts.

      LEGITIMITÄTSPROBLEME: DIE MENSCHENRECHTSPROBLEMATIK

      Dass die katholische Kirche trotz ihres jüngeren theoretischen wie praktischen Einsatzes für die Menschenrechte ad extra ein Menschenrechtsproblem ad intra hat, ist unübersehbar und dokumentiert sich nicht nur daran, dass sie die einschlägigen Menschenrechtskonventionen als rechtliche Selbstverpflichtungen nicht unterzeichnet hat.

      Da ist zum einen die essentialistische Fassung der Geschlechterdifferenz(en), welche Frauen die gleiche Würde, nicht aber die gleichen Rechte zuschreibt. Dieses „asymmetrische Modell der komplementären Polarität der Geschlechter“ (Christa Schnabel) galt zwar auch lange außerhalb der Kirche, „natürliche Gleichheit aller Menschen und natürliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern“ bildeten so etwas wie den „paradoxe(n) Kanon des 19. Jahrhunderts“, der „bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts noch selbstverständlich bleibt“ (Pasero, 275). Wenn sich aber, wie es gegenwärtig geschieht, nicht nur ideologische Geschlechterstereotypen bis hin zur Auflösung der dualen Geschlechterpolarität verflüssigen, sondern auch die konkrete Geschlechterrollenpraxis dies gesellschaftsweit tut, dann manövriert sich jede Institution, welche diese ursprünglich aufklärerische Paradoxie weiterhin vertritt, sowohl ins Aus der Biografien wie der normativen Plausibilitäten.

      Rainer Bucher

      Dr. theol. habil., seit 2000 Universitätsprofessor und Vorstand des Instituts für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie an der Universität Graz.

      Menschenrechtlich nicht unproblematisch ist auch die klerikal-ständische innerkirchliche Herrschaftsordnung. Sie verwehrt dem allergrößten Teil des Volkes Gottes den Zugang zu den allermeisten kirchlichen Entscheidungsund Repräsentanzpositionen ohne konkrete sachliche oder personenbezogene Begründung und billigt ihnen Entscheidungspartizipation und Repräsentanz nur in Form eines gewissen Zulassungspaternalismus zu.

      Zudem kennt die katholische Verfassungsordnung keine Gewaltenteilung und keine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit (siehe etwa Loretan; Baumeister u. a.). Sabine Demel markiert diesen „mangelnde(n) Rechtschutz“ als den „Grundfehler im geltenden kirchlichen Gesetzbuch“ (Demel, 153). Das „kirchliche Recht“ wird zwar „phänomenologisch und strukturell analog zum Recht im Staat verstanden“, freilich, so Norbert Lüdecke, „nicht dem des modernen demokratischen Rechtsstaates, sondern dem des neuzeitlichen absolutistischen Obrigkeitsstaates mit dem nur moralisch gebundenen Monarchen an seiner Spitze, der das Gemeinwohl verwirklicht.“ Es gilt eben: „Das kanonische Recht ist konstitutiv staatsanalog-vordemokratisches Recht“ (Lüdecke/Bier, 26).

      Daraus ergibt sich eine grundlegende kognitive Dissonanz im Bewusstsein der Gläubigen: Als Bürger eines demokratischen Rechtstaates unterliegen sie grundlegend anderen Rechtsbestimmungen denn als Mitglieder der Kirche, und jene ersteren, menschenrechtsorientierten und die Gewaltenteilung sichernden, werden wohl mit einigem Recht eher als Konkretionen christlicher Grundoptionen betrachtet werden können als gerade die innerkirchlichen Rechtssatzungen. Diese kognitive Dissonanz führt entweder zu grundsätzlichen Anerkennungs- und Legitimitätsproblemen des Kirchenrechts im Volk Gottes oder zur demonstrativen Ignoranz gegenüber dem Kirchenrecht.

      Neben Legitimitätsproblemen ist das Kirchenrecht in vielen Feldern dysfunktional geworden.

      DYSFUNKTIONALITÄTSPROBLEME: DIE RELEVANZPROBLEMATIK

      Neben solchen Legitimitätsproblemen ist unübersehbar, dass das Kirchenrecht in vielen Feldern der pastoralen Wirklichkeit schlicht dysfunktional geworden ist. Der Beispiele sind Legion: vom Problem der Zulassung evangelischer Christ/innen zur Kommunion über die rechtliche Behandlung des Kirchenaustritts (ausführlicher: Bucher 2013a) bis zum rechtlichen Status wiederverheirateter Geschiedener. Niemand wird ernsthaft bestreiten können, dass es sich dabei primär um kirchen- und theologiepolitische Auseinandersetzungen zwischen kirchlichen Amtsträgern handelt, deren praktische Relevanz relativ gering ist, sieht man vom Spielraum gnädiger oder ungnädiger Konkretion vor Ort ab. Die Praktiken (und übrigens auch Sinnzuschreibungen) der Betroffenen selbst entziehen sich schon seit längerem innerkirchlichen rechtlichen oder theologischen Normativitäten.

      Das Konzil von Trient hatte in Reaktion auf die protestantische Herausforderung die Prinzipien Sichtbarkeit, Professionalisierung des Priesters und die Kirche als „societas perfecta“ entwickelt: Die Sichtbarkeit richtete sich gegen das protestantische Theorem von der „unsichtbaren Kirche“, die Professionalisierung und Sakralisierung des Priesters antwortete auf das allgemeine Priestertum des Protestantismus und die Lehre von der souveränen und letztlich niemandem außer sich selbst verantwortlichen Kirche als „societas perfecta“ auf das protestantische Landeskirchentum.

      Wirklich flächendeckend und konsequent wurde dieses Konzept erst mit der „Pianischen Epoche“ ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts realisiert. Zentrale Steuerungsinstrumente dieser kirchlichen Lebensform waren theoretisch die (Neu-)Scholastik, kommunikativ die Katechismen und institutionell das Kirchenrecht.

      Alle drei Steuerungsinstrumente haben dabei eines gemeinsam: Sie kopieren säkulare, typisch moderne sozialtechnologische Strategien wie Kohärenz, Konsistenz und zentralperspektivische Überschaubarkeit in den kirchlichen Raum. So wie die neuscholastische Theologie naturwissenschaftsanaloge Klarheit und Bestimmtheit anstrebte, so sollte das Kirchenrecht nach Ende des tendenziell eher unüberschaubaren Feudalismus und in Zeiten beginnender religiöser Freiheit innerkirchlich Klarheit und Bestimmtheit vor allem durch die genaue Regelung von Über- und Unterordnungsbeziehungen herstellen. Es galt in beiden weniger „Was ist?“ als „Was gilt?“. Das funktionierte so lange, als sich der kirchliche institutionelle Raum kognitiv wie rechtlich Anerkennung und Gefolgschaft bei den eigenen Kirchenmitgliedern sichern konnte.

      Doch damit ist es bekanntlich vorbei. An die Stelle normativer Integration tritt auch im katholischen Feld situative, temporäre, erlebnis- und intensitätsorientierte Partizipation. Wie immer es auch dazu kam, es trifft die katholische Kirche an einem zentralen Punkt ihrer neuzeitlichen Geschichte, ihrer institutionellen, juridisch verankerten Lebensform, an die sie zudem auch ihre kognitiven, rituellen und moralischen Traditionen außerordentlich eng gekoppelt hatte.

      Das Kirchenrecht verliert damit gegenwärtig seine von ihm selbst vorausgesetzte Basis, insofern es weder einen selbstverständlichen Plausibilitäts- noch Sanktionsraum mehr besitzt. Es hat faktische Wirksamkeit überhaupt nur noch dort, wo ihm sekundär Wirksamkeit zugespielt wird: im Hauptamtlichensektor mittels Arbeitsverträgen oder priesterlichen Gehorsamsversprechen, in der Breite der Kirche, wenn man von ihr etwas will, Sakramente etwa. Ansonsten ist das Kirchenrecht ein eher zahnloser Tiger.

      FUNKTIONSPROBLEME: DIE NACHTRIDENTINISCHE KONSTELLATION

      All diese Probleme sind den geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Kirchenrechtswissenschaft natürlich nicht entgangen. Sie reagieren nur sehr unterschiedlich darauf. Wobei sich wieder einmal die alte Weisheit bewährt: Je bestimmter und exakter eine Wissenschaft zu sein behauptet (die Pastoraltheologie tut das erst gar nicht), desto pluraler sind die Ergebnisse.

      Im Kern geht es um die Problematik, wie die Kirchenrechtswissenschaft das II. Vatikanum und seinen Bruch mit der tridentinischen Sozialform von Kirche verarbeitet. Nur so nämlich könnte es eine neue Basis finden. Dabei kompliziert sich die Lage insofern nicht unerheblich, als schon der CIC selbst zum II. Vatikanum ein offenkundig höchst ambivalentes Verhältnis einnimmt. Er verkörpert die bis Papst Franziskus übliche gespaltene Rezeption des II. Vatikanums (ausführlicher: Bucher 2013b) selbst recht schön und hat sie dadurch natürlich aufs Höchste gefördert. Wenn die einschlägigen kirchenrechtlichen Schulen dann diese Ambivalenz unterschiedlich auflösen, ist das nur wissenschaftsüblich. Die „korrekten Kanonisten“ lösen diese Ambivalenz etwa, indem sie diese bis zur Behauptung treiben, das geltende Kirchenrecht schaffe „mit dem Material des II. Vatikanischen Konzils eine kirchliche Ordnungsgestalt, welche die Ekklesiologie des Ersten unbehelligt


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