Blutiger Spessart. Günter Huth
das man landläufig mit dem »Blues« umschrieb.
Der Leiter der Einsatzgruppe legte seine Jacke ab und zog das Schulterhalfter mit seiner Dienstpistole aus. Die Hitze des Tages hatte unter seinen Achseln handtellergroße Schweißflecken hinterlassen. Auch das Leder des Holsters war dunkel durchfeuchtet. Nachdem er seine Waffe in ein Schreibtischfach gelegt hatte, entnahm er dem gleichen Fach eine Dose Deospray, öffnete an der Brust sein Hemd, fuhr mit der Spraydose unter den Stoff und verpasste sich beidseitig in die Achselhöhlen eine kurze Dusche.
Monika Rettig, Kriminalhauptkommissarin und seine Vertreterin, kam herein und verzog das Gesicht.
»Hier riecht es ja wie in einem Freudenhaus«, kommentierte sie Brunners Versuch, einen Hauch von Reinlichkeit zu verbreiten.
»Na, du musst Erfahrungen haben«, gab der Beamte mit dem Anflug eines Grinsens zurück. »Aber was will man denn bei diesen Dschungeltemperaturen schon machen?«
Mit der Kommissarin hatte Brunner eine der besten Profilerinnen in seine Sonderkommission aufgenommen, die im Bereich des Präsidiums zu finden war. Sie war schlank, fast dünn, aber drahtig und ausgesprochen sportlich. Ihre blonden Haare trug sie kurz. Obwohl sie sich nur wenig schminkte, waren sich die Männer in der Kommission einig, dass sie durchaus eines zweiten Blickes wert war. Das Faszinierende an ihr waren ihre Augen, die eine bestechende Intelligenz ausstrahlen. Sie waren von dunklem Braun mit einer frechen, gelblichen Aureole um die Iris.
Nach der kurzen Flachserei ließ sich die Kommissarin auf einem der Stühle nieder. Selbstverständlich hatten sich die erschütternden Ereignisse im Strafjustizzentrum wie ein Lauffeuer in der Dienststelle verbreitet. Eigentlich war ihr nicht zum Scherzen zumute.
»Wie lief es?«
Brunner zuckte mit den Schultern. »Das kannst du dir doch denken. Kerner ist ziemlich fertig und frustriert. Mir geht es auch nicht besser. Drei tote MEK-Männer. Drei Witwen und mehrere Waisen. Ich bin froh, dass ich den Angehörigen nicht die schlimme Botschaft überbringen musste.« Er lehnte sich gegen den Schreibtisch. »Wir hatten Emolino fest am Haken, und jetzt können wir wieder von vorne anfangen. Dieser Verbrecher ist glitschig wie ein Aal.«
»Der Tod der Männer ist wirklich eine schlimme Sache. Wenn man könnte, wie man wollte …« Sie ließ den Rest des Satzes offen. »Kommen wir zur Kernfrage: Wie machen wir jetzt weiter? Wir sind es den ermordeten Kollegen schuldig, dass wir nicht eher Ruhe geben, bis wir ihren Mörder zur Strecke gebracht haben.«
»Kerner will, dass wir Emolino nicht aus den Augen lassen. Observierung rund um die Uhr. Er soll nicht denken, dass er uns das Rückgrat gebrochen hat.«
Die Kommissarin sah ihren Kollegen zweifelnd an. »Emolino wird sich nicht die geringste Blöße geben. Das ist ein alter Fuchs, der mit allen Wassern gewaschen ist. Die Drecksarbeit haben sowieso seine Handlanger gemacht.«
»Wem sagst du das. Wir müssen den Druck noch stärker erhöhen und hoffen, dass er irgendwann doch nervös wird und einen Fehler macht. Wenn wir auch den Nachbarbossen auf die Füße steigen, werden die wiederum Druck auf Emolino ausüben. Nichts hasst die Mafia mehr, als wenn man sie aus ihren dunklen Löchern aufscheucht. Vielleicht können wir noch einmal jemand aus seinem Dunstkreis umdrehen, damit er uns verwertbare Informationen zuspielt.«
Rettig, die zum Fenster hinaus gesehen hatte, drehte sich wieder zu ihrem Kollegen um und entgegnete kopfschüttelnd: »Nach dieser Hinrichtung des Kronzeugen direkt unter den Augen der Justiz wird niemand mehr aus seinem engeren Umfeld den Mund aufmachen. Ich denke, wir kommen nicht darum herum, in die Organisation einen verdeckten Ermittler einzuschleusen.«
»Weißt du, wie lange es dauert, bis wir da jemand installiert haben? Da können Jahre vergehen. Und das wäre definitiv ein Himmelfahrtskommando!«
»Stimmt. Aber hast du eine bessere Idee? Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir wieder in die Langzeitermittlung eintreten. Das geht nur mit langem Atem. Vielleicht sollten wir eine völlig unerwartete Strategie einschlagen. Als ersten Schritt lösen wir die Sonderkommission auf, damit er das Gefühl hat, wir geben auf. Wir können ja das Gerücht streuen, dass man uns die Gelder total zusammengestrichen hat. Eine kleinere, effiziente Kerngruppe ermittelt weiter. Wenn wir ihn genug eingelullt haben, schleusen wir den Undercoveragenten ein. Dann müssen wir abwarten, was der Mann erreicht.«
Sie wandte sich zur Türe. »Wir müssen später noch einmal in Ruhe darüber reden. Der Gedanke ist noch zu unausgegoren. Ich habe jetzt eine Zeugenvernehmung. Wir sehen uns danach.«
Sie ließ einen sehr nachdenklichen Brunner zurück.
Kerner erwachte davon, dass ihm eine warme, weiche Hand zärtlich über die nackte Brust streichelte. Er spürte kalten Schweiß auf seiner Haut, und ihn fröstelte es trotz der warmen Außentemperaturen. Langsam drehte er sich auf die Seite und kuschelte sich träge an Steffis schlafwarmen Körper. Steffi Burkhard, 29 Jahre alt, blondes, langes Haar, Tochter des Bürgermeisters von Partenstein, gab schnurrende Geräusche von sich und drängte sich ihrerseits gegen Kerners Körper. Seit vier Jahren war sie mit Kerner liiert. Sie hatten sich auf einer Kirchweihfeier der Gemeinde kennen gelernt. Danach verabredeten sie sich immer wieder einmal. Ihre Treffen fanden dabei in erster Linie in Würzburg statt, weil Steffi keine Lust auf die Tratscherei im Dorf hatte. Bis dahin war alles ziemlich unverbindlich. Bei einem gemeinsamen Ansitz auf einer verschwiegenen Kanzel in Kerners Jagdrevier, zu der er sie überredet hatte, war es dann geschehen. Seitdem zeigten sich die beiden auch in Partenstein als Paar.
»Du hast sehr unruhig geschlafen«, stellte sie leise fest, während sie ihm mit verspielten Fingern das feuchte Haar aus der Stirne strich. »Hast Du schlecht geträumt?«
»Die Geschichte mit der Explosion gestern kann ich nicht so einfach wegstecken«, erwiderte er. »Ich habe einen ziemlichen Mist zusammenphantasiert.«
Es war Wochenende. Gestern Abend hatten sie lange bei einer Flasche Wein zusammengesessen, und Kerner hatte ihr von den Ereignissen erzählt. Es würde heute sowieso ausführlich in den Medien durchgekaut werden, sodass er keine Dienstgeheimnisse verriet.
Beide waren sich bewusst, dass sie sich mit dem Aufstehen Zeit lassen konnten. Steffis Streicheln wurde langsam intensiver und zielgerichteter. Zärtlich fuhr sie mit den Fingernägeln über Kerners Rücken.
Plötzlich hielt Kerner sanft ihre Hand fest und schüttelte leicht den Kopf. »Tut mir leid, mein Schatz, aber ich bin wirklich nicht in der Stimmung. Ich hoffe, du kannst das verstehen. Drei Polizeibeamte sind sinnlos gestorben, und dieser Verbrecher bleibt auf freiem Fuß!« Er erhob sich und wandte sich in Richtung Badezimmer. »Es wird sicher noch einige Tage dauern, bis ich das etwas verdaut habe.« Dann wechselte er das Thema und bemühte sich um einen etwas lockereren Tonfall: »Du hast zehn Minuten, um dich fertig zu machen. Wir wollten doch bei dem schönen Wetter in der Jagdhütte frühstücken. Also los, du Faultier, sieh zu, dass du aus den Federn kommst!« Mit einem Ruck zog er ihr die Bettdecke weg, was sie zu einem schrillen Protestgeschrei veranlasste.
Die Jagdhütte lag auf einer abgeholzten Höhe inmitten des Spessartreviers, das Kerner schon seit Jahren als Jäger gepachtet hatte. Von der Veranda aus hatte man einen herrlichen Blick hinunter ins Maintal, wo sich der Fluss in der sommerlichen Hitze träge durch sein Bett schlängelte.
Kerner holte den Korb mit dem Frühstück aus dem Kofferraum seines Defenders und stellte ihn auf den Tisch vor der Hütte.
»Schatz, brühst du bitte schon mal den Kaffee auf? Ich will noch kurz in die Zeitung sehen.« Kerner hatte das örtliche Presseorgan mitgebracht. Die schreienden Überschriften des Leitartikels auf der Titelseite waren nicht zu übersehen. Konzentriert begann zu lesen.
Die Jagdhütte hatte eine unabhängige Stromversorgung über eine Solaranlage auf dem Dach. Steffi ging hinein und schaltete den Wasserkocher ein. Als sie wieder vor das Haus trat, war Kerner noch immer in die Zeitung vertieft. Sie störte ihn nicht.