Blutiger Spessart. Günter Huth

Blutiger Spessart - Günter Huth


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Tischdecke fielen. »Ich habe wirklich keine Lust, mir die gute Laune verderben zu lassen. Sollen die sich doch die Ärsche breitsitzen.

      Ich hätte gar zu gerne mal das Gesicht dieses Oberstaatsanwalts gesehen, als man ihm in seinem Büro mitteilte, dass sich sein großartiger Kronzeuge im wahrsten Sinne des Wortes in Luft aufgelöst hat.« Die Vorstellung daran ließ seinen Ärger verfliegen.

      Er schob sich eine weitere Gabel Spaghetti in den Mund und nuschelte im Kauen: »In der Verhandlung jedenfalls hat er bei seinem Plädoyer, als er die Einstellung des Verfahrens beantragen musste, geguckt, als hätte er in eine Zitrone gebissen.«

      Unvermutet erschien eine steile Falte zwischen seinen buschigen Augenbrauen, und seine stechenden Augen bekamen einen bösartigen Schimmer.

      »Dieser Verräter Mallepieri ist einen viel zu leichten Tod gestorben. Wenn er mir in die Hände gefallen wäre …«

      Trospanini und Ricardo mussten nicht lange überlegen, was er damit meinte.

      Francesco Emolino betrieb das Gelati am Marktplatz von Gemünden seit mehr als fünfzehn Jahren. Auch nach der Übertragung der Geschäftsführung auf seinen Sohn änderte sich nichts an der Tatsache, dass er der Boss im Hintergrund blieb. Von Gemünden aus hatte er im Laufe der vielen Jahre ein dichtes Netz von Geschäftsverbindungen über den gesamten unterfränkischen Raum gespannt, das unter seiner Kontrolle stand.

      Bis die Ermittler der Sonderkommission Spessartblues offiziell auftraten und Durchsuchungen der Geschäftsräume und der Wohnung von Emolino durchführten, ahnte kein Mensch in der Region, dass dieser eher kleine, nach außen stets freundliche, unscheinbare Mann einer der einflussreichsten Mafiosi in Deutschland war. Hier, in seiner Heimatstadt Gemünden, hatte außer dem inneren Zirkel der Familie niemand von den fragwürdigen Geschäften des freundlichen Sizilianers Kenntnis. Schon seit mehr als dreißig Jahren besaß er die deutsche Staatsbürgerschaft und war in der Gemeinde ein durchaus angesehener Bürger.

      Als Francesco Emolino vor einigen Wochen aufgrund der unerwarteten Aussage seines Consigliere Mallepieri verhaftet wurde, schlug diese Nachricht in Gemünden wie eine Bombe ein. Unter der Bevölkerung gab es einen Aufschrei der Empörung. Das Lohrer Echo, das führende Presseorgan der Region, erging sich einige Zeit in Lobgesängen über den armen Mann, der offenbar Opfer einer Rufmordkampagne geworden war. Keiner wusste, dass der Don dem Chefredakteur des Blattes vor zwei Jahren mit einem größeren zinslosen Darlehen aus einer üblen Patsche geholfen hatte. Ein Gefallen, der nun zur Rückzahlung anstand.

      Als Emolino vor dem Schwurgericht angeklagt wurde und die Schuldvorwürfe allmählich ans Tageslicht kamen, verstummten die Unterstützer nach und nach.

      Der Freispruch von Francesco Emolino wurde von den Bürgern in der Spessartregion mit unterschiedlicher Resonanz aufgenommen. Dann drang die Kunde von der Ermordung des Kronzeugen bis in den Spessart, und einige Menschen in der Gegend wurden sehr nachdenklich. Noch dazu, als sich die überregionale Presse auf den Fall stürzte und Stück für Stück das Geflecht der Beziehungen und Seilschaften publik wurde. Ein Einfluss, der bis in die höchsten politischen Kreise der Europäischen Union reichte. Jetzt wurde vielen klar, dass der Alte in seinem Eissalon wie eine Spinne im Netz saß und an den Fäden zog.

      Don Emolino, wie er von seiner Familie stets respektvoll genannt wurde, war in der Wahl der Mittel, was die Durchsetzung seiner Wünsche und Ansprüche betraf, keineswegs zimperlich. Mallepieris Aussagen gingen hier bis ins Detail. Die Staatsanwaltschaft wusste von ihm, dass zahlreiche Auftragsmorde auf Emolinos Konto gingen. Sie wären aber nur durch die persönliche Aussage des Kronzeugen zu beweisen gewesen. Hinzu kamen Straftaten wie Erpressung und Bestechung, die Mallepieri ebenfalls bezeugt hätte. Nicht allein durch Mallepieri wusste man, dass sich das Imperium des Don Emolino auf Rauschgifthandel, Wucherkreditgeschäfte und Prostitution stützte. Nur hatte man ihm bisher nichts nachweisen können. Alles lief über Scheinfirmen und Geldwäsche im großen Stil. Mit Bestechung und Korruption erreichte er, dass die an diesen Geschäften Beteiligten eisern schwiegen. Zu groß war außerdem die Furcht, dass sich sonst ihre Lebenserwartung drastisch reduzieren könnte.

      Emolino leerte seinen Teller, wischte mit einem Stück Brot die übrige Soße zusammen und schob sich den letzten Bissen in den Mund. Mit einem kräftigen Schluck Montepulciano spülte er den Rest hinunter. Dann stieß er genüsslich auf, zog die Serviette vom Hals und holte einen Kugelschreiber aus der Jackentasche. Mit großen Buchstaben schrieb er darauf: »Ist der Raum sauber?« Fragend sah er die anderen an.

      Trospanini nickte. »Wir haben ihn erst heute kontrolliert. Keine Abhörgeräte feststellbar.«

      Emolino nickte zufrieden. »Gut, Michelangelo, dann will ich erst einmal wissen, wie es um die Geschäfte bestellt ist.«

      Trospanini hob einen Laptop auf den Tisch und schaltete ihn ein. Dann schloss der Buchhalter des Paten eine externe Festplatte am Rechner an. Emolino hatte angeordnet, alle brisanten Daten auf externen Datenspeichern zu archivieren. Auf den Rechnern des Unternehmens befanden sich nur völlig harmlose Daten. Die Steuerfahnder, die vor dem Prozess die Rechner mit den Festplatten beschlagnahmt hatten, würden mit ihren Ermittlungen total ins Leere laufen.

      Trospanini war bisher nach Mallepieri der zweite Mann gewesen. Nach dem Verrat Mallepieris war der Buchhalter zum Consigliere aufgestiegen. Konzentriert begann er mit seinem Bericht. Emolinos Gesicht wurde im Laufe des Berichts immer ausgeglichener. Ein Beweis dafür, dass er mit der Geschäftsentwicklung hoch zufrieden war. Sein Zwangsaufenthalt im Knast hatte sich nicht negativ auf seine Konten ausgewirkt. Trospanini hatte die Sache gut im Griff. Er würde ihm, obwohl er ihn zum Consigliere befördert hatte, weiterhin die Buchhaltung überlassen.

      Als Trospanini mit seinem Bericht am Ende war, warf er dem Paten einen fragenden Blick zu. Nachdem der zufrieden nickte, löste die Verbindung zum externen Datenspeicher.

      Emolino trat langsam ans Fenster und starrte hinaus. »Es sieht so aus, als würde dieser Oberstaatsanwalt keine Ruhe geben. Wir werden Mittel und Wege finden müssen, ihm seine Grenzen aufzuzeigen.«

      Den beiden Männern am Tisch war klar, wen der Pate meinte. Simon Kerner gehörte schon lange zu den größten Feinden der Familie.

      »Papa, kann ich das nicht machen?« Der junge Emolino sah den Paten forschend an. Er musste einen Weg finden, dass ihm der Alte wieder mehr Geld zur Verfügung stellte.

      »Ricardo, das ist wirklich noch eine Nummer zu groß für dich«, wehrte der Alte kopfschüttelnd ab. Er sah seinen Consigliere fragend an.

      Der überlegte kurz, dann wiegte er den Kopf. »Man muss das Risiko abwägen. Mit dem Kronzeugen sind auch einige Polizisten gestorben. In der Zeitung stand, dass sie Familie hatten. Man kann sich ausrechnen, dass die Ermittlungsbehörden vor Wut schäumen. Wenn jetzt auch noch der Oberstaatsanwalt….«, er zögerte kurz, dann fuhr er fort: »… überraschend von uns geht, werden sie alles aufbieten, um uns zu kriegen. Dann gibt es einen totalen Krieg! Das wäre schlecht fürs Geschäft.«

      Don Emolino sah seinen Consigliere nachdenklich an, dann nickte er langsam beipflichtend mit dem Kopf. »Da hast du sicher recht. Wir müssen zuerst immer an die Geschäfte denken. Wenn dann einige Zeit ins Land gegangen und Gras über die Sache gewachsen ist, kann es ja zu einem bedauerlichen Unfall kommen.«

      Trospanini lächelte verhalten.

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      Brunner betrat sein Büro im vierten Stock des Polizeipräsidiums. Die Sonderkommission Spessartblues, die vor zwei Jahren mit vierzehn Beamten für die Ermittlungen gegen den Emolino-Klan eingerichtet worden war, nahm fast das ganze Stockwerk in Anspruch. Oberstaatsanwalt Kerner hatte damals den Vorschlag gemacht, der Kommission diese – natürlich ironisch gemeinte – Bezeichnung zu geben. Seinerzeit war man noch voller Optimismus ans Werk gegangen, in der festen Überzeugung, dass der Pate bald den Blues verspüren würde. Das erklärte Ziel war es, dieser Hydra des Verbrechens möglichst schnell alle Köpfe abzuschlagen und ein Nachwachsen zu verhindern.


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