Zur Sache, Schätzchen. Reinhold Keiner

Zur Sache, Schätzchen - Reinhold Keiner


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Erfahrungen einbringen und so den Film mitgestalten – eine künstlerische Methode, die eine damals neue, ungewöhnliche und oftmals witzige Form der Unterhaltung kreierte, eine offene, bewusst ‚unkünstlerische’ Dramaturgie, in die alltägliche Geschichten und Träume einfließen konnten.7

      Seinem eigenen Selbstverständnis nach wollte Klaus Lemke Unterhaltungsfilme, antiintellektuelle Filme drehen. Seine Filme kamen meist ohne ausgearbeitetes Drehbuch aus und waren häufig eher beiläufig inszeniert, fehlende Perfektion wurde bewusst zum Stil erhoben. Filmische Vorbilder fand Klaus Lemke eher im amerikanischen Kino als im europäischen Autorenfilm. 1967 drehte er in Zusammenarbeit mit Max Zihlmann (Drehbuch) und Niklaus Schilling (Kamera) sowie Rudolf Thome als Darsteller, in einer allerdings kleinen Rolle‚ seinen ersten Spielfilm, ‚48 Stunden bis Acapulco’. Der Protagonist des Films adaptiert ein Gangsterdasein im Stil amerikanischer B-Movie-Helden. Seine Abenteuer führen ihn über Rom nach Acapulco und schließlich in den Tod am Strand des Karibischen Meeres. Der Filmjournalist Ulrich Gregor schrieb 1968 über den Film in der ‚Filmkritik’:

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      Klaus Lemke und Christiane Krüger bei den Dreharbeiten von ‚48 Stunden bis Acapulco‘

       Nicht nur formale Strukturen aber hat Lemke vom amerikanischen Film übernommen, sondern auch eine Typologie. Besonders die Gangsterfilme sind bei ihm als Vorbild zu erkennen – etwa in den Porträts unheimlich-exzentrischer Ganoven, die sowohl in Acapulco wie in Negresco (einem weiteren Lemke-Spielfilm aus dem Jahr 1968, d.V.) auftauchen, auch im Klima der Fatalität, das die Filme durchzieht, in der Stimmungslage ständigen Gehetztseins. 8

      Auch Rudolf Thomes erster Spielfilm ‚Detektive’ aus dem Jahr 1969, Drehbuch Max Zihlmann, Kamera u. a. Niklaus Schilling, Regie-Assistenz Martin Müller, übernahm Motive und Verhaltensmuster aus dem amerikanischen Kino. Die beiden jungen Hauptfiguren, Andy und Sebastian, wollen schnell und bequem zu Geld kommen, ohne richtig arbeiten zu müssen. Arbeiten wollen sie zwar schon etwas, aber nur so, dass es auch Spaß macht, das Geld zu verdienen, das man braucht, um seinen Spaß zu haben. Die beiden machen eine Detektivagentur – das amerikanische Kino lässt grüßen – auf und in ihrem ersten Fall haben sie es mit einem schönen Mädchen namens Annabella zu tun: „Nun läuft die Geschichte, aber so, dass einer immer über die Füße des anderen fällt. Die Detektive stehen und rennen, wenn sie nicht gerade Auto fahren oder Liebe machen, viel in der Gegend herum, reden dummes Zeug und machen einen Fehler nach dem anderen.“ 9

      Jean-Marie Straub stand mit seinen Filmen inhaltlich etwas abseits zu den anderen, daher wurde er auch vermutlich bei der Personalisierung der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ durch die Zeitschrift ‚Film’ 1967 nicht mehr mit erwähnt. Die Basis seiner Filme war die Literatur, so ist bereits sein Kurz-Spielfilm ‚Machorka-Muff’ aus dem Jahr 1963 die filmische Adaption einer Heinrich Böll-Satire. Der Schweizer Niklaus Schilling kam 1965 nach München. Die zu diesem Zeitpunkt in München existierende Filmszene bot ihm Arbeitsmöglichkeiten, da in der Schweiz eine vergleichbare Bewegung nicht existierte. Als Kameramann arbeitete Niklaus Schilling mit Mitgliedern der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ zusammen, mit Klaus Lemke, Rudolf Thome, Max Zihlmann, May Spils, aber auch mit Jean-Marie Straub. 1972 wurde sein erster eigener Spielfilm, ‚Nachtschatten’, uraufgeführt.

      Diese ‚zweite Generation’ junger Filmemacher aus München, diese Generation nach den eigentlichen ‚Oberhausenern’, fand ihre Vorbilder und lernte ihr Handwerk im Kino. Sie orientierten sich an bekannten Hollywood-Regisseuren wie John Ford, Alfred Hitchcock oder auch Howard Hawks. Sie waren auch stark von der französischen ‚Nouvelle Vague’ und durch die französische Filmzeitschrift ‚Cahiers du Cinéma’ beeinflusst, die sich Anfang der 1960er Jahre von einer bürgerlich-liberalen zu einer bürgerlich-linken Publikation verwandelte.10 Regisseure und Drehbuchautoren wie Rudolf Thome, Max Zihlmann, Klaus Lemke und Eckhart Schmidt hatten als Filmkritiker begonnen, „die alle Welt damit entsetzten, dass sie Filmen wie Otto Premingers THE CARDINAL (1963) vier Sterne = Höchstwertung gaben; …“11 Klaus Lemke war von 1964 bis 1965 Mitarbeiter der Zeitschrift ‚Film’. Rudolf Thome schrieb ab 1962 Filmkritiken für den ‚Bonner Generalanzeiger’. Zwischen 1963 und 1964 schrieb er ebenfalls Kritiken für die Zeitschrift ‚Film’ und diverse Beiträge für die ‚Filmkritik’. Für die ‚Süddeutsche Zeitung’ verfasste er von 1962 bis 1968 Artikel. Max Zihlmann und Eckhart Schmidt hatten ebenfalls unter der Redaktion von Hans-Dieter Roos an der Zeitschrift ‚Film’ mitgearbeitet. Es war bei allen Vertretern der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ die Faszination für das Medium Film, die ihre ersten eigenen filmischen Arbeiten entstehen ließ; eine Tatsache, die sie mit einigen Regisseuren der ‚Nouvelle Vague’ verband, die auch zuerst als Filmkritiker gearbeitet hatten.

      Kritik an der Gesellschaft artikulierten die Vertreter der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ in ihren Filmen, wenn überhaupt, nur sehr verhalten; eher könnte man ihre Filme als ein Lebensgefühl interpretieren, das sich in ihnen ausdrückt: das großstädtische Lebensgefühl der jungen Generation der 1960er Jahre. Lediglich Peter Nestler, der aber nicht zum inneren und repräsentativen Kern der Gruppe gezählt werden kann, unternahm den – allerdings mehr dokumentarischen – Versuch, sich in seinen Filmen konkret mit der Realität in der Bundesrepublik Deutschland zu beschäftigen.

      Enno Patalas gab der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ keine Chancen in der kommerziellen Filmwelt – „sei es, weil einige ihrer Mitglieder das Amateurhafte, auch Epigonale, das ihren ersten Versuchen notwendigerweise anhaftet, nicht zu überwinden vermögen, sei es, weil der Apparat unserer Filmwirtschaft und der staatlichen Förderungsinstanzen sie nicht akzeptiert. Möglich, dass die ‚Neue Münchner Gruppe’ eine Schwabinger Episode bleibt.“12 Gerade im letzten Punkt irrte Enno Patalals. Das deutsche Kino zumindest der 1970er Jahre wurde wesentlich von einigen Regisseuren der Gruppe wie Klaus Lemke, Rudolf Thome, Niklaus Schilling und auch May Spils mitbestimmt, die auch heute noch – mit Ausnahme von May Spils – gelegentlich von der Öffentlichkeit beachtete Filme drehen. Die Filme von Rudolf Thome werden zum Beispiel immer wieder auf Festivals wie der ‚Berlinale’ in Berlin gezeigt, so z. B. im Jahr 2000 der Film ‚Paradiso – sieben Tage mit sieben Frauen’, der zudem noch einen ‚Silbernen Bären’ verliehen bekam, für eine herausragende Leistung an das Darstellerensemble.

      Neben den ‚Oberhausenern’, von denen sich letztendlich auch nur drei Namen im Gedächtnis der film- und kulturinteressierten Öffentlichkeit erhalten haben, Alexander Kluge, Edgar Reitz und Peter Schamoni, präsentieren also auch einige Vertreter der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’ die Geschichte des deutschen Films seit den 1960er Jahren ganz wesentlich mit.

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      Das ‚Schätzchen-Team‘ – ohne seinen Hauptdarsteller

       Zur Entstehungsgeschichte von ‚Zur Sache, Schätzchen’

      Eine Filmemacherin unter lauter Filmemachern, das war Mitte der 1960er Jahre noch etwas Besonderes. Die Regisseurin May Spils, die wie ein Fotomodell aussah, „… überschlank, apartes, schmales Gesicht, ausdrucksvolle dunkle Augen und eine langmähnige Ponyfrisur“1, hatte aber die Chuzpe und den Mumm, sich zu sagen, das, was die Männer können, das kann ich auch. Damit meinte sie die Regisseure der ‚Neue(n) Münchner Gruppe’, deren Arbeiten sie aus nächster Nähe mitverfolgte.

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      May Spils

      May Spils wurde am 29. Juli 1941 in Twistringen bei Bremen als Maria-Elisabeth Meyer-Spils geboren. Nach dem Abitur besuchte sie die ‚Berlitz-Sprachschule’, an der sie Englisch lernte; danach hielt sie sich eine Zeitlang als Au-Pair-Mädchen in Paris auf, um Französisch zu lernen. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland arbeitete sie bei einer Werbefirma in Hamburg als Auslandskorrespondentin und nahm Schauspielunterricht in Bremen, wo sie auch eine Studio-Bühne gründete, die allerdings bereits nach zwei Aufführungen wieder einging. Sie versuchte sich


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