Verbinde dich.. Luc Hertges

Verbinde dich. - Luc Hertges


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wie Prof. Dr. Manfred Spitzer und Prof. Dr. Gerald Hüther, dass wir Menschen mit einer unerschöpflichen Neugierde und Lernlust auf die Welt kommen.

      Mit Begeisterung begegnen wir allem Neuen und bleiben unbeirrt am Ball, bis wir das gelernt haben, was wir können wollen: Laufen, Sprechen, Sport, Musik … Auch hier wird im Gehirn das Zentrum für Emotionen aktiv. Zusätzlich zu den Botenstoffen, welche wir bereits aus dem Belohnungs- und Bestrafungssystem kennen, werden Botenstoffe ausgesendet, welche die Nervenzellen dazu anregen, sich stark zu vermehren und auf vielfältige Weise zu vernetzen. So entstehen äußerst stabile Verknüpfungen im Gehirn. Das Lernen fällt leicht und die Begeisterung am Neuen wird so unter anderem aufrechterhalten.

      Soweit wir heute wissen, ist der „Erziehungskreislauf“ ein Gegenspieler zu diesem natürlichen, intrinsischen „Begeisterungskreislauf“.

      Je mehr wir also auf Belohnung und Bestrafung verzichten, desto stärker wirkt der natürliche Begeisterungskreislauf. Die Erklärung dafür ist, dass Strukturen, welche im Gehirn oft benutzt werden, sich stabilisieren und stärker werden, wobei die anderen sich nach und nach zurückbilden. „Use it or lose it“ heißt die Devise. (Benutze es oder verliere es).

      Die gute Nachricht ist, dass das Gehirn sich bis ins hohe Alter verändern kann, was Neuroplastizität genannt wird, und dass somit auch Begeisterung immer wieder aufgebaut und neu gelernt werden kann.

      Des Weiteren wissen wir heute aus der Neurobiologie, dass wir vor allem durch Nachahmung lernen. Sogenannte Spiegelneurone werden aktiv und veranlassen unseren Organismus das zu spiegeln, was wir wahrnehmen. So konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass im Gehirn bereits Bewegungsmuster durch Spiegelneuronen angelegt werden, bevor das Kleinkind die Bewegung reell ausgeführt hat. Die späteren Bewegungen stabilisieren dann die neuronalen Muster, welche im Vorfeld aufgebaut wurden. Hier sprechen die Neurowissenschaftler davon, dass das Hirn sich nutzungs- und erfahrungsabhängig formt, was soviel bedeutet wie: Das Gehirn baut das auf, was wir brauchen.

      In diesem Zusammenhang spricht Prof. Dr. Gerald Hüther davon, dass jedes menschliche Wesen hochbegabt ist, da das Gehirn zu Beginn einen gewaltigen Überschuss an Möglichkeiten beziehungsweise Potenzial zur Verfügung stellt, das sich dann je nach Nutzung formt oder zurückbildet.

      Wie lernen wir dann die Regeln unserer Gesellschaft, wenn sie uns nicht durch Erziehung aufgezwungen werden? Neurobiologisch ist die Antwort ganz einfach, nämlich durch Spiegelneurone. Dies hat dann natürlich zur Folge, dass wir unser eigenes Verhalten genauso vorleben dürfen, wie wir es uns wünschen, dass andere Menschen uns und unser Verhalten spiegeln, sprich nachahmen.

      Dies entspricht dem philosophischen Leitgedanken:

      Behandle jeden so, wie du selbst gerne behandelt werden möchtest.

      Der Vorteil ist, dass es sich hier um den natürlichen Begeisterungskreislauf des Lernens handelt, der zum einen stabilere Muster entwickelt und sich zum anderen selbstgesteuert, ohne äußere Kräfte, aufbaut.

      Durch eine liebevolle Beziehung mit und zu mir, lerne ich auf meine innere Stimmen zu hören und die Stimmen im Außen zu dimmen, was zu einem selbstbestimmten Selbstbild führt. Ich lerne, meiner inneren Stimme zu folgen und werde immer mehr von dem tun, was zu meinem Selbstkonzept führt. Ich bestimme mich mehr und mehr selbst, anstatt in die Fremdbestimmung zu gehen. Ich erfahre Selbststatt Fremdwirksamkeit unter anderem durch Selbst- statt Fremdsteuerung. Dies steigert mein Selbstbewusstsein und mindert mein Fremdbewusstsein. Ich praktiziere Selbstliebe und folge meiner Bestimmung, statt Fremdliebe zu praktizieren. Dies führt vermehrt zu Selbstachtung, was das Selbstvertrauen steigert und mein blindes Fremdvertrauen mindert. Somit übernehme ich Selbstverantwortung und bin kein Werkzeug anderer. Diese Selbstliebe, Selbstachtung und Selbstverantwortung stärken die liebevolle Beziehung zu mir selbst und der Kreislauf beginnt von vorne.

      Dies alles erinnert mich stark an die Metapher mit den zwei Wölfen, welche dir vielleicht schon einmal begegnet ist:

       Am Lagefeuer sitzt der Stammesälteste mit seinen zwei Enkeln und erzählt ihnen die Geschichte der zwei Wölfe:

       „In jedem von uns kämpfen zwei Wölfe.

       Ein Wolf, der für die Liebe, das Schöne, das Gute, das Wahre und das Vertrauen in der Welt steht, und ein anderer Wolf, der für Misstrauen, Neid, Gier und Hass steht.

       Während der eine Wolf Liebe und Vertrauen verbreitet, verbreitet der andere Angst und Misstrauen.“

       Am Ende der Geschichte fragen die beiden Enkel, welcher der beiden Wölfe gewinnt und der Stammesälteste antwortet ihnen: „Der Wolf, den du fütterst.“

      Wenn wir heute davon ausgehen dürfen, dass Lernen natürlich in uns angelegt ist (Begeisterungskreislauf) und dass wir soziale Wesen sind (Spiegelneurone), ist meine Einladung in diesem Buch an dich, all das, was du bisher über Erziehung und Beziehung zu wissen geglaubt hast, noch einmal für dich zu prüfen und ganz bewusst zu wählen, welchen der beiden Kreisläufe du „füttern“ möchtest.

      Wissend, dass, wenn wir die Welt verändern möchten, wir uns „nur“ selbst verändern können, lade ich dich ein, dich im Inspirationsteil neu zu denken und im Übungsteil neu zu erfahren. Beides natürlich nur, wenn du magst.

      Auf den folgenden Seiten beleuchte ich die Themen Erziehung und Beziehung aus unterschiedlichen Perspektiven. Dabei zeige ich, wie in meinen Augen lebendige Beziehungen entstehen, welche alle Beteiligten dieser Beziehung stärken.

      4 ERZIEHUNG AUS ENTWICKLUNGSGESCHICHTLICHER PERSPEKTIVE

      Was wir traditionellen patriarchischen Erziehungsmodellen verdanken dürfen:

      Aus entwicklungsgeschichtlicher1 Perspektive (1 Ich beziehe mich hier auf Spiral Dynamics von Don Edward Beck und Christopher C. Cowan.) hat Erziehung einen großen Einfluss auf unsere Spezies und unser Zusammenleben bewirkt. Nachdem wir Menschen uns zunächst als Nomaden aufmachten, um uns dann später in Stämmen zusammenzuschließen, kam das Zeitalter der Regeln gerade recht, um die nächste Stufe der Entwicklung auszurufen. Regeln und Gesetze gaben die Basis erster demokratischer Strukturen. Hier finden auch die ersten monotheistischen Weltreligionen ihren Beginn. Eine klare hierarchische Struktur mit einem allmächtigen Herrscher an der Spitze ergibt sich aus dieser Entwicklungsstufe. Die Geburt der Erziehungskultur und erster Schulen sind die Folgen dieser Entwicklungsstufe. Große Länderzusammenschlüsse wie die Vereinigten Staaten, die EU und die Vereinten Nationen, waren die Antwort auf zahlreiche Konflikte, sodass wir Gesetzen und traditioneller Erziehung unter anderem friedlichere Zeiten verdanken.

      In diese Entwicklungsstufe hinein entwickelte sich die Sehnsucht nach maximalem Erfolg, welche mit der Industrialisierung begann und bis heute vielerorts noch kein Ende kennt. Dies tut unserem Heimatplaneten, der Erde, nicht gut. So kommt es beispielsweise, dass wir im Namen des Erfolgs mittlerweile jährlich fast doppelt so viele natürliche Ressourcen verbrauchen, wie die Erde in einem Jahr regenerieren kann. Viele Krankheiten, wie beispielsweise Burnout und verschiedene Krebsarten, haben uns Menschen besucht, da wir diese Ressourcenausbeutung nicht nur nach außen leben, sondern auch nach innen. Eine Mischung aus Angst vor Strafe beziehungsweise von der Gesellschaft als „schwach“ angesehen zu werden und Konsumgier, treibt uns Menschen an, weit über unsere natürlichen Grenzen hinauszugehen. Unser Körper produziert dann möglicherweise eine Krankheit, damit er endlich die Ruhe bekommt, die er verdient und zur Regeneration braucht.

      In dieser Zeit des maximalen Erfolgs ohne Bewusstsein für etwaige Folgen schießt die traditionelle Erziehung, in meinen Augen, weit über ihr Ziel hinaus und wirkt vor allem unreflektiert in ihrem Schattendasein.

      Die darauffolgende Entwicklungsstufe bereitete meines Erachtens auch die nächste Stufe der Erziehung vor, welche ich „Erziehung 4.0“ nenne.

      Mit der Entwicklung des „Selbstkonzeptes“, mit Fragen wie:

      „Wer bin ich?“,

      „Was


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