Unterrichtssituationen meistern. Regula Kyburz-Graber
vor allem aber auch das notwendige fachliche Gespräch innerhalb der Fachschaft und der Fachkolleginnen und -kollegen.
Heterogene Klassenzusammensetzung
Titel Heterogene Klassenzusammensetzung
Fach Englisch
Schultyp Langzeitgymnasium
Klassenstufe 3. Klasse/9. Schuljahr
Klassengröße 27 und 25
Zusammensetzung der Klasse Gemischt
Besondere Umstände Gutes Klassenklima
Beschreibung des Falles
Ich unterrichte zum ersten Mal in meiner Laufbahn als Englischlehrerin zwei Probezeitklassen, wobei ich mit verschiedenen Problemen konfrontiert wurde. Die Klassen setzen sich aus 27 bzw. 25 Schüler/innen zusammen, die entweder bereits zwei Jahre Kantonsschule[1] hinter sich haben oder aber von der Sekundarschule zu uns stießen. Der Probezeitunterricht ist entsprechend den allgemeinen Richtlinien sehr intensiv; es sind zum Beispiel 4 – 5 schriftliche Arbeiten vorgesehen, die auf nur zwei Monate zu verteilen sind. Um Stoff für diese Prüfungen zusammenzubekommen, werden in kurzer Zeit relativ viele Inhalte behandelt, was die Schüler/innen natürlich fordert – und zum Teil eben auch überfordert.
Das Problem besteht darin, dass die Klassen ungemein heterogen sind: Es finden sich Schüler/innen, die muttersprachlich Englisch sprechen, klar im Vorteil liegende «Kantonsschüler/innen», die das System und die Aufgabenstellungen bereits in- und auswendig kennen, und ziemlich viele «Sekundarschüler/innen», die in den meisten Fällen hoffnungslos überfordert sind und starke Englisch-Defizite aufweisen.
Es muss hier erwähnt werden, dass das Klima in diesen Klassen wirklich als sehr gut eingestuft werden kann bzw. dass die Schüler/innen einander gegenseitig unterstützen und generell sehr motiviert und lernbegeistert sind. Dies zeigte sich auch dadurch, dass schwache Schüler/innen (und zum Teil auch deren Eltern) sich sehr schnell zu Beginn der Probezeit bei mir meldeten und um zusätzliche Unterstützung bezüglich des Englischunterrichts baten. Ich habe ihnen in der Folge verschiedene zusätzliche Aufgabenblätter mit oder ohne Lösungen verteilt, Kapitel aus zusätzlichen Lehrmitteln und/oder Wörterbüchern kopiert, Grammatikthemen während Pausen Einzelnen nochmals detailliert erläutert usw. Da die Probleme und Defizite individuell waren, mutierte diese Unterstützung bald zu aufwendigem Einzelcoaching. Wenn man die Größe der Klassen bedenkt, wird schnell klar, dass dies für die Lehrperson auf Dauer nicht machbar ist.
Auf der anderen Seite sind da im Unterricht noch die leistungsstarken/muttersprachlichen Schüler/innen, die eher unterfordert sind, da sie die zu behandelnden Themen zum Teil schon von der 2. Klasse her kennen oder aber fließend Englisch sprechen. Dies führt oft zu (zum Teil verständlichen) Unruhen. Ihnen ebenfalls zusätzliches, sie forderndes Material zu verteilen, liegt außerhalb der Lehrerkapazität und ermöglicht keinen normalen Unterricht mehr.
Anmerkung: Bei dieser Fallbeschreibung und allen folgenden handelt es sich um Originaltexte von Lehrdiplom-Studierenden.
Was fällt auf?
Die Englischlehrperson unterrichtet zum ersten Mal Englisch und muss gleich zwei Probezeitklassen übernehmen. Es begegnen ihr dabei «verschiedene» Probleme. Es handelt sich um große Klassen mit 27 bzw. 25 Schülerinnen und Schülern. Die Lehrperson beschreibt den Schultypus als Langzeitgymnasium, wobei aber offenbar auch Sekundarschülerinnen und -schüler nach dem 8. Schuljahr in die Klasse gekommen sind. Vermutlich handelt es sich um eine Schule, die sowohl ein Langzeit- als auch ein Kurzzeitgymnasium anbietet. Nach der 2. Klasse Langzeitgymnasium werden die Klassen neu zusammengesetzt, wobei in gewissen Profilen auch Lernende aus der Sekundarschule aufgenommen werden. Dies ist in der Regel in einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Profil, einem neusprachlichen und in einem musischen Profil der Fall. Die Probezeit gilt nur für die Lernenden, die neu an die Schule gekommen sind bzw. die in der vorhergehenden Stufe nur provisorisch promoviert wurden. Die Englischlehrperson aber schreibt nichts über diese unterschiedlichen Ausgangssituationen für die Lernenden.
Den Probezeitunterricht beschreibt die Lehrperson als intensiv, weil 4 bis 5 Prüfungen in zwei Monaten durchzuführen sind. Für sie stellt sich die Aufgabe, genügend «Stoff für diese Prüfungen zusammenzubekommen», was bedeutet, dass sie in «relativ kurzer Zeit viele Inhalte behandelt». Sie spricht von einer Überforderung gewisser Schülerinnen und Schüler. Nicht ausgesprochen ist in dieser einführenden Beschreibung ihre eigene implizite Belastung, die sich in der Wahl der Formulierungen ausdrückt und die sie vermutlich auch als Überforderung erlebt.
In der Klasse sitzen muttersprachliche Schülerinnen und Schüler, ferner solche, die bereits zwei Jahre das Gymnasium besucht haben und das «System und die Aufgabenstellungen bereits in- und auswendig kennen» und «ziemlich viele ‹Sekundarschüler/innen›, die in den meisten Fällen hoffnungslos überfordert sind und starke Englisch-Defizite aufweisen». Die Ausdrucksweise der Lehrperson mit der «hoffnungslosen» Überforderung und den «starken Englisch-Defiziten» deutet darauf hin, dass die Lehrperson kaum Wege sieht, mit der Heterogenität der Klasse zurechtzukommen.
Im nächsten Abschnitt schreibt dann die Lehrperson über das «Klima» in den Klassen, das «wirklich als sehr gut eingestuft» werden könne. Wenn man sich als Leser oder Leserin wohl auch etwas darüber wundern mag, dass die Lehrperson ihren Eindruck über das gute Klassenklima nicht direkt zum Ausdruck bringt, sondern in indirekter, passiver Weise in der Form, dass das Klima als «sehr gut eingestuft» werden könne – als ob die Lehrperson die Zuständigkeit für die Einschätzung verallgemeinern möchte –, so ist doch festzustellen, dass das gute Klassenklima als eine wichtige Ressource für die Lösung der Probleme eingesetzt werden könnte. Die Schülerinnen und Schüler unterstützen «einander gegenseitig» und sie seien «generell sehr motiviert und lernbegeistert», eine Ausgangssituation, welche die Lehrperson als hilfreich erkennt. Zudem erwähnt sie auch das Interesse der Eltern an Unterstützungsmaßnahmen. Diese gewährt die Lehrperson durch zusätzliche Aufgabenblätter sowie Kapitel aus Lehrmitteln und Wörterbüchern. Unter Druck kommt die Lehrperson dann offenbar vor allem dadurch, dass sie einzelnen Lernenden Grammatikthemen während der Pausen «detailliert erläutert», was ein genaues Eingehen auf die individuellen Probleme und Defizite bedeutete, worauf «diese Unterstützung bald zu aufwendigem Einzelcoaching» mutierte. Auch im folgenden Satz nimmt die Lehrperson Distanz zu ihrer eigenen Erfahrung, indem sie schreibt, dass «dies für die Lehrperson auf Dauer nicht machbar ist».
In einem letzten Abschnitt schließlich schreibt die Lehrperson über die festgestellte Unterforderung der «leistungsstarken/muttersprachlichen» Schülerinnen und Schüler, was zu «zum Teil verständlichen» Unruhen führe. Wiederum folgert die Lehrperson auf distanzierte Weise, Material zu verteilen, das die betreffenden Lernenden fordern würde, liege «außerhalb der Lehrerkapazität» und ermögliche «keinen normalen Unterricht mehr». Die Lehrperson sucht eine Entschuldigung für das aus ihrer Sicht nicht zu lösende Problem, indem sie die Belastung generalisiert im Sinne von: Man kann von keiner Lehrperson erwarten, dass sie die Ressourcen hat, um auch noch den guten Schülerinnen und Schülern gerecht zu werden, und zudem wäre auch ganz grundsätzlich auf dieser Basis kein «normaler Unterricht» mehr möglich.
Die distanzierenden, von ihrer Person wegweisenden Formulierungen sind zusätzliche Hinweise darauf, wie groß die Belastung für die Lehrperson ist und wie sie versucht, die Verantwortung für das nachvollziehbare Ungenügen von sich zu weisen und der Situation insgesamt anzulasten.
Was ist das Problem?
Die Lehrperson beschreibt eine Probezeit-Situation im Englischunterricht, in der sie eine große Stofffülle mit vielen