Unterrichtssituationen meistern. Regula Kyburz-Graber
allen erreicht werden sollen bzw. die für alle als Maßstab gelten müssen. Darüber hinaus sind aber vor allem leistungsstarke Lernende mit spezifischen Aufgaben zu fördern, damit sie die Freude am Lernen nicht verlieren (individualisierender Unterricht; siehe Dubs 2009; Gage und Berliner 1996; Gasser 2008). Dies kann in Einzel- oder Partnerarbeit erfolgen. Parallel dazu kann die Lehrperson mit dem Rest der Klasse arbeiten.
Mit Maßnahmen der Inneren Differenzierung lässt die Lehrperson die Lerngruppe als Ganzes bestehen und versucht durch entsprechende pädagogische und didaktische Vorgehensweise der Individualität der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden: Durch unterschiedlich anspruchsvolle Lernziele (dabei die Mindestkompetenz einhaltend) und verschiedene Methoden und Medien können differenzierte Lernhilfen geboten werden (vgl. Klafki und Stöcker 2007). Alle Lernenden sollen damit das gleiche Ziel erreichen, aber auf unterschiedlich anspruchsvolle Weise.
Konkret kann dies bedeuten: Um die Niveauunterschiede auffangen zu können, wird ein und dieselbe Übungseinheit auf unterschiedlichen Levels angeboten (z. B. leicht, mittelschwer, anspruchsvoll). Nach einer kurzen Einführung erarbeiten sich die Lernenden das Thema selbstständig anhand eines Arbeitsplanes, welcher Anweisungen entsprechend der drei Schwierigkeitsgrade enthält.
Weitere individualisierende Unterrichtsmethoden, welche bei heterogenen Klassen Erfolg versprechen, aber auch viel Vorbereitung erfordern: Werkstattunterricht, Lernaufgaben, Fallstudien oder projektartige Gruppenarbeiten.
Zusammenarbeit im Kollegium
Die zu erreichenden Lernziele bis Ablauf der Probezeit sind innerhalb der Fachschaft gemäß Lehr- und Stoffplan gemeinsam festzulegen. Die Probezeit ist eine Phase, die eine besonders sorgfältige Absprache innerhalb der Fachschaft bedarf, auch was die geforderten Minimalkompetenzen und den Notenmassstab betrifft. Wo dies an der Schule nicht selbstverständlich ist, müssen die Fachlehrpersonen solche Abstimmungen bei der Schulleitung einfordern.
Die Entscheidung für Bestehen oder nicht Bestehen nach der Probezeit muss vom ganzen Klassenkollegium mit aller Vorsicht vorgenommen werden. Dabei spielt das Gesamtbild eines Schülers/einer Schülerin eine Rolle. Wichtig ist die Einschätzung, ob noch vorhandene Defizite im Laufe einiger Monate ausgeglichen werden können.
Damit das Erstellen von geeigneten Aufgaben bei individualisierenden Unterrichtsmethoden nicht zur Überlastung führt, sollte die einzelne Lehrperson sich mit mindestens einer Fachkollegin/einem Fachkollegen zusammentun, um die Lernangebote zu konzipieren und vorzubereiten bzw. die Aufgaben aufzuteilen. So kann im Laufe der Zeit ein geeigneter Stock von interessanten Lernangeboten für jedes Thema entwickelt werden.
Leistungsstarke Schülerinnen und Schüler nicht vergessen
Für gute, motivierte Schülerinnen und Schüler können häufiger Formen selbstständigen Lernens angeboten werden als für andere. Es sollen aber beide Leistungsgruppen sowohl durch direkte Instruktion als auch selbstständig lernen. Dazu kann die Klasse ab und zu geteilt werden, wobei jedoch im gleichen Raum (wie in einer Mehrklassenschule) gearbeitet wird. Ebenfalls ist es wichtig, dass für leistungsstarke Lernende weiterführende Aufgaben konzipiert werden, die herausfordernd sind und neue Lernerfahrungen erlauben. Gerade für begabte Lernende kann ein Angebot von neuen, fakultativen Themen motivierend sein.
Zur Frage der Motivation
Beim Lernen spielt in jedem Fall die Motivation der Schülerinnen und Schüler eine wichtige Rolle. Die Motivation wird erhöht, wenn Lernende Vertrauen in ihren eigenen Lernprozess gewinnen. Das Vertrauen der Schülerinnen und Schüler in ihre Fähigkeiten kann durch realistische und anspruchsvolle Ziele und Aufgaben erhöht werden, bei deren Lösung sie ihre eigenen Stärken und Schwächen kennenlernen (z. B. durch spezifische Rückmeldungen der Lehrperson und durch die Erfahrung der Lernenden, dass die gesteckten Ziele dank eigener Leistung erreicht werden können). Eine solche Erfahrung entspricht dem theoretisch beschriebenen Konzept der internal-variablen Attribution bei Erfolg und Misserfolg, wie es z. B. von Rudolph (2007) erläutert wird: Lernende schreiben ihren Erfolg bzw. Misserfolg sich selbst (internal) und ihren spezifischen (variablen) Anstrengungen zu. Dies motiviert sie, sich weiterhin anzustrengen.
Literatur
Dubs, R. (2009). Lehrerverhalten. Ein Beitrag zur Interaktion von Lehrenden und Lernenden im Unterricht. 2., vollständig neu bearbeitete Auflage. Zürich: SKV.
Edelmann, W. und Wittmann, S. (2012). Lernpsychologie. 7., vollständig überarbeite Auflage. Weinheim: Beltz PVU.
Gage, N. und Berliner, D. (1996). Pädagogische Psychologie. 5., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz.
Gasser, P. (2008). Neue Lernkultur. Eine integrative Didaktik. 3. Auflage. Oberentfelden: Sauerländer.
Klafki, W. und Stöcker, H. (2007). Innere Differenzierung des Unterrichts. In: W. Klafki (Hrsg.). Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemässe Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik. 6., neu ausgestattete Auflage. Weinheim und Basel: Beltz. S. 173 –208.
Rossbach, H.-G. und Wellenreuther, M. (2002). Empirische Forschungen zur Wirksamkeit von Methoden der Leistungsdifferenzierung in der Grundschule. In: F. Heinzel und A. Prengel (Hrsg.). Heterogenität, Integration und Differenzierung in der Primarstufe (Jahrbuch Grundschulforschung Bd. 6). Opladen: Leske und Budrich, S. 44 –57.
Rudolph, U. (2007). Motivationspsychologie. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Weinheim: Beltz PVU.
Internetquelle
Bundesamt für Statistik; Bildungssystemindikatoren:
www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/15/17/blank/01.html (21.09.2015)
Mündliche Beteiligung
Titel Mündliche Beteiligung
Fach Geschichte
Schultyp Berufsmaturitätsschule (in der Fallbeschreibung Berufsmittelschule genannt)
Klassenstufe 2. Klasse/11. Schuljahr
Klassengröße 17
Zusammensetzung der Klasse 11 Schülerinnen und 6 Schüler
Ergänzende Anmerkung Keine Angabe
Beschreibung des Falles
Ich unterrichte seit neun Jahren Geschichte an einer Berufsmittelschule. Berufsmittelschüler haben zwei Jahre Geschichtsunterricht, abgedeckt wird die Zeit von der Aufklärung bis in die Gegenwart. Ein großes Problem ist die mündliche Beteiligung, besonders bei Detailhandels-BM [Berufsmaturitäts]-Klassen. Eine Detailhandels-Berufsmittelschulklasse absolvierte jeweils am Freitagmorgen die ersten zwei Lektionen. Die Sitzwahl ist zwar nicht vorgegeben, aber es ergab sich, dass in der hufeisenförmigen Sitzordnung von mir aus gesehen fünf Mädchen auf der linken Seite nebeneinander sitzen, die sich mündlich am Unterricht nicht beteiligen wollen. Es zeigte sich ohnehin, dass sich nur etwa 20 – 25 % der Klasse regelmäßig mündlich beteiligen. 3 – 4 Schüler/innen beteiligten sich fast immer, d. h. konstant, zwei bis drei weitere nach Lust und Laune. Der Rest – insbesondere die erwähnte linke Reihe – war auch nach mehrmaligem Nachhaken nicht zum Mitmachen zu bewegen. Die Schüler/innen wussten zwar, dass sich die mündliche Beteiligung notenmäßig auf die Semesternote auswirken würde, dieser ‹Druck› verleitete die Mädchen aber auch nicht zur aktiven Beteiligung. Auch der Hinweis, dass die Berufsmatur eine mündliche Prüfung sei und es von Vorteil sei, im Unterricht dafür zu ‹trainieren›, konnte die Schüler/innen nicht zum Mitmachen animieren. Es zeigte sich auch, dass die Qualität jener Antworten auf Fragen, die ich den Mädchen spontan stellte, ungenügend war. Die Antworten der Mädchen auf die Frage, warum sie sich nicht am Unterricht beteiligen, lauteten u. a.: Geschichte interessiert mich nicht, ich habe im Unterricht noch nie mündlich mitgemacht, auch in anderen Fächern nicht, die Fragen sind zu