Praktiken professioneller Lehrpersonen (E-Book). Urban Fraefel

Praktiken professioneller Lehrpersonen (E-Book) - Urban Fraefel


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zuletzt als Lehrerbildner und als Leiter der Professur Berufspraktische Studien und Professionalisierung an der Pädagogischen Hochschule FHNW. In unserer täglichen Arbeit mit Studierenden, Praxislehrpersonen und Schulleitungen sind wir immer wieder mit der Frage konfrontiert gewesen, wie angehende Lehrpersonen Handlungssicherheit gewinnen und lernen, im Unterricht kompetent und zugleich flexibel zu handeln, um den Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu unterstützen. Im Kreis der Mitarbeitenden führten wir dazu intensive Gespräche, werteten unsere Erfahrungen aus und sichteten vorliegende Konzepte und Befunde. Alle Teammitglieder und Verantwortlichen für Partnerschulen engagierten sich in diesen Diskussionen, die auf den Kern der Berufspraktischen Studien zielen: Wie können wir Studierende optimal unterstützen, damit sie professionell handelnde Lehrpersonen werden, denen die Bildung der Schülerinnen und Schüler das zentrale Anliegen ist? Es kristallisierte sich nach und nach ein Schlüsselbegriff heraus: Wir identifizierten Praktiken als Bindeglied zwischen professionellem Handeln und verarbeitetem Berufswissen.

      So reifte der Entschluss, ein Arbeitsbuch zu Praktiken zu schreiben. Durch äussere Umstände hat sich die Publikation, die den Aufbau dieser Praktiken zum zentralen Gegenstand macht, um fast zwei Jahre verzögert. Nun aber liegt das Werk vor. Ich möchte insbesondere den Mitarbeitenden der Berufspraktischen Studien Sabina Staub, Thomas Birri, Dominik Sauerländer und Sara Mahler meinen grossen Dank für ihr engagiertes Mitdenken aussprechen. Inspirierend waren auch die angeregten Diskussionen mit Prof. Kurt Reusser sowie meinen Kolleginnen und Kollegen Tobias Leonhard, Julia Košinár, Yves Karlen, Claudia Schmellentin und Roland Messmer. Ein Dank geht zudem an Olga Brühlmann für die Mithilfe bei Recherchen und an Jürg Walter für das gründliche Gegenlesen, sowie last but not least an den Verlag für die professionelle Begleitung des Projekts.

      Basel, im Juli 2020

       Vorwort

      von Kurt Reusser1

      Lehrpersonen auszubilden, bedeutet die Einführung in pädagogisches Wahrnehmen, Denken und Handeln. In der Ausbildung heisst dies vorab mit Bezug auf die schulische Bildungsaufgabe, sich mit Didaktik und mit Themen der Pädagogischen Psychologie auseinanderzusetzen. Als berufswissenschaftlicher Wissenskorpus und Literaturgattung treten diese Inhalte in zweierlei Gestalt in Erscheinung: als oftmals abstrakte Theorien und Modelle zu Bedingungen, Merkmalen und Kontexten des pädagogischen Handelns; oder als mehr oder weniger rezeptorientierte Anleitungen in Form von Praxisliteratur zu Unterrichtsformen und als bedeutsam erlebte Handlungsprobleme.

      Das hier vorliegende Buch orientiert sich an keiner der beiden Literaturgattungen. Weder ist es ein weiteres Einführungsbuch in die Allgemeine Didaktik, noch ist es dem Typus «what works» bzw. der rezepthaften Einführung in Handlungsroutinen zuzuordnen. Dennoch wird auch darin das Ziel verfolgt, Lehrpersonen auf der Basis von Wissen und Erfahrung in pädagogisches Sehen und Denken einzuführen und zu befähigen, das Lernen ihrer Schülerinnen und Schülern anzuleiten und lernförderliche didaktische Entscheidungen zu treffen.

      Urban Fraefel vertritt als langjähriger Volksschullehrer, Lehrerbildner, Lehrmittelentwickler, Forscher und Professor für Berufspraktische Studien in seinem Buch die Position eines reflektierenden und wirkungsorientierten Praktikers. Im Gegensatz zur deutschsprachigen Didaktik-Tradition mit ihrer Vorliebe für abstrakte Modelle des Unterrichts wurzelt das Buch in einem tief verstandenen Pragmatismus. Mit der Orientierung an John Dewey und Donald Schön verbindet sich das Primat des Lernens aus Erfahrung vor der extensiven Aneignung von Theorien als Ausgangspunkt der Erkenntnis. Professionell handlungsfähig wird man nicht primär durch die Anwendung von abstraktem Theoriewissen, auch nicht durch die Imitation von Praxisrezepten, sondern im reflektierenden Wechselspiel von Denken und Handeln. Die Überzeugung, dass die Fähigkeit, lernwirksam zu unterrichten, sich im Tun des reflektierenden Praktikers aufbaut und dass theoretische Begriffe dazu da sind, das eigene Tun und das Lernen der Schülerinnen und Schüler verstehbar zu machen, findet sich nicht nur im angloamerikanischen Pragmatismus, sondern auch beim Schweizer Kognitionspsychologen und Didaktiker Hans Aebli. Auch dieser geht in seinen «Grundformen des Lehrens» von den realen Anforderungen des unterrichtlichen Handelns aus und analysiert dessen Basisformen mit kognitionspsychologischen Begriffen – nicht um angehenden Lehrpersonen die dahinter liegenden Theorien als Faktenwissen zu vermitteln, sondern in dienender Funktion eines tiefen Verständnisses der dem unterrichtlichen Handeln zugrundeliegenden Schülerlernprozesse.

      Konkret nimmt das für den deutschen Sprachraum neuartige Buch eine Strömung in der neueren US-amerikanischen Lehrerbildungsdiskussion auf, nach der es bei der Bildung von Lehrpersonen darum geht, sich mit einem Set von Kernpraktiken («core practices») des beruflichen Handelns auseinanderzusetzen. Das heisst, berufsrelevante Praktiken sollen in der Verknüpfung mit wissenschaftlichem und erfahrungsbezogenem Wissen in der Grundausbildung angebahnt und auf Basisniveaus eingeübt werden. Das weiterführende Ziel ist, dass die in der Praxis stehenden Lehrpersonen diese Kernpraktiken sodann selbst erproben, mit eigenem Wissen anreichern, reflektierend weiterentwickeln und flexibilisieren.

      Für das Curriculum der Lehrerinnen- und Lehrerbildung bedeutet dies die Identifikation von berufsrelevanten Aktivitäten, die im Unterricht verschiedener Fächer häufig vorkommen, auf zentrale Anforderungen und Problemsituationen professionelle Handlungsantworten liefern, der Komplexität unterrichtlicher Anforderungen gerecht werden, die für angehende Lehrpersonen erlernbar sind und die das Potenzial haben, das Lernen von Schülerinnen und Schülern positiv zu unterstützen. Kennzeichnend für den Ansatz der Kernpraktiken ist, dass massgebliche Orientierungspunkte auf dem Weg zu einer souveränen Berufskompetenz direkt aus den praktischen Herausforderungen gewonnen werden und dass diese wegleitend sind für eine damit verbundene Beschäftigung mit wissenschaftlichem Theorie- und Forschungswissen.

      Eine kluge Entscheidung des Buches besteht darin, nicht nach einer erschöpfenden Liste oder einer Systematik von Praktiken zu suchen, sondern sich an einer exemplarischen Auswahl zu orientieren. Dies geschieht in den das Herzstück des Buches bildenden Kapiteln 3 bis 8. Mit gutem Grund werden die vor dem Hintergrund des didaktischen Wandels der Schule besonders herausfordernden Praktiken des Diagnostizierens und des Feedback-Erteilens als Kern einer adaptiven Lernunterstützung ausführlich behandelt und an den Anfang gestellt. Gefolgt werden sie durch eine Gruppe von Praktiken, die sich mit den unterschiedlichen Arten und Weisen beschäftigen, in denen sich Lehrpersonen in der Adressierung von Lerngegenständen – instruktional, anleitend, impulsgebend, strukturierend, steuernd – an die ganze Klasse oder an Lerngruppen richten. Gerahmt werden die Praktiken sodann durch die Kerntätigkeiten des Planens von Unterricht, der Formulierung von Bildungszielen und zu Inszenierungsformen von Unterricht sowie zu deren Umsetzung erforderlichen didaktischen Werkzeugen.

      Der Autor hat das Buch für angehende und praktizierende Lehrpersonen geschrieben. Als Arbeitsbuch mit zahlreichen Aufgaben und Anregungen zur Verarbeitung kann es – allein oder auch gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen – problemorientiert genutzt werden, um eingeschliffene Praktiken zu überdenken, zu verfeinern und weiterzuentwickeln. Das Buch ist nicht dazu gedacht, linear abgearbeitet zu werden. Vermittelst zahlreich vorkommender Klärungen von Konzepten und reichhaltiger Literaturhinweise soll es praktisch tätigen und neugierig gebliebenen Lehrpersonen, die im Dewey’schen Sinne als reflektierende Problemlöserinnen und -löser mit Bodenhaftung unterwegs sind, und dener die Lernfortschritte von Schülerinnen und Schülern das pädagogische Kernanliegen sind, als Reflexionshilfe und als Wissensspeicher dienen. Dozierenden der Lehrerinnen- und Lehrerbildung kann das Buch helfen, akademische und berufspraktische Ausbildungssituationen so zu gestalten, dass in der Ausbildung nicht vor allem dekontextualisiertes Wissen vermittelt wird, sondern auf den Erwerb beruflicher Kernpraktiken und den Aufbau eines damit verbundenen Habitus der Reflexion und Bereitschaft zu deren Weiterentwicklung hingearbeitet wird.

      1Kurt Reusser, Prof. em. Dr., Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie und Didaktik (1993–2017), Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Pädagogische Psychologie, Kognitionspädagogik, Allgemeine Didaktik und Lehr-Lern-Forschung.


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