Schulsozialarbeit in der Schweiz (E-Book). Ueli Hostettler

Schulsozialarbeit in der Schweiz (E-Book) - Ueli Hostettler


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Historische Entwicklung der Schulsozialarbeit in der Schweiz

      Die Entstehungsgeschichte der Schulsozialarbeit in der Schweiz wurde in den letzten Jahren in verschiedenen Publikationen ausführlich dargestellt (Baier, 2008; Baier, Heeg, 2011; Drilling, 2009; Gschwind, 2014). Diese Arbeiten zeigen, dass die Entwicklung und Ausbreitung der Schulsozialarbeit in hohem Masse durch das föderalistische System der Schweiz sowie durch sprachregionale und regionale Unterschiede geprägt ist (Baier, 2008; Gschwind, 2014), also landesweit keinesfalls einheitlich verlief. In der französischsprachigen Schweiz entwickelten sich bereits in den 1960er-Jahren verschiedene Modelle der Kooperation zwischen Schule und Sozialer Arbeit mit unterschiedlichen Bezeichnungen, wie beispielsweise «conseillers sociaux», «éducateurs sociaux», «médiateurs scolaires» oder «travailleurs sociaux scolaires». Entsprechend den vielfältigen Bezeichnungen unterscheiden sich die Angebote auch hinsichtlich ihrer sozialpädagogischen, sozialarbeiterischen und animatorischen Mandate (Aarburg, Kottelat, 2018). Gemäss Aarburg und Kottelat (2018) befindet sich die Schulsozialarbeit in der Westschweiz heute noch in einer Pionierphase, die zwar viel Entwicklung zulässt, der es jedoch an institutioneller Sicherheit und gemeinsamen Orientierungspunkten fehlt. Auch der Organisationsgrad der Schulsozialarbeitenden ist in der französischsprachigen Schweiz relativ tief.

      Im Vergleich zur Westschweiz begann die Schulsozialarbeit in der Deutschschweiz mit etwa zehn Jahren Verzögerung und vorerst nur mit vereinzelten Projekten, die in den 1970er- und 1980er-Jahren initiiert wurden (Neuenschwander et al., 2007; Vögeli-Mantovani, Grossenbacher, 2005). Der Zeitraum von Beginn bis Ende der 1990er-Jahre wird von Baier (2011a) als Pionierphase der Schulsozialarbeit bezeichnet. In dieser Phase wurde an wenigen Standorten Schulsozialarbeit mit viel Engagement und Eigenverantwortung der Fachpersonen vor Ort aufgebaut. Diese Angebote hatten oft Modellcharakter und beeinflussten die spätere Entwicklung. An die Pionierphase schliesst seit Ende der 1990er-Jahre laut Baier die Ausbauphase an, die sich durch eine schnelle Verbreitung der Schulsozialarbeit im städtischen Raum auszeichnet. In den grösseren Städten wie Bern, Zürich, Basel, St. Gallen, Luzern und Zug wurden die meisten Projekte der Schulsozialarbeit gestartet, die sich anschliessend zuerst auf die Agglomeration ausweitete und später auch in ländlichen Gebieten eingeführt wurde. Um 2005 setzt dann die Professionalisierungs- und Profilierungsphase der Schulsozialarbeit in der Deutschschweiz ein, die, parallel zum inzwischen auf tieferem Niveau weiterlaufenden Ausbau, bis heute andauert. Sie zeichnet sich durch eine zunehmende Vernetzung der Praxis und durch fachliche Konkretisierung des Profils aus, die durch die Praxis und Wissenschaft gefördert wird (Baier, 2011a).

      Mit der Schulsozialarbeit hat sich in den vergangenen Jahren ein neues Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe entwickelt. Es ist aktuell wohl das am stärksten expandierende Praxisfeld der Sozialen Arbeit. Es ist heute unbestritten, dass ein hoher Bedarf an Schulsozialarbeit besteht; wo sie eingeführt wurde, ist sie kaum mehr wegzudenken. In mehreren Regionen sind deshalb Bestrebungen im Gange, die Schulsozialarbeit flächendeckend in allen Gemeinden einzuführen, Stellen für kantonale Beauftragte einzurichten und bestehende Angebote weiterzuentwickeln (Gschwind, 2014). Die Gründe für die Einführung und Ausdehnung der Schulsozialarbeit sind aber regional sehr unterschiedlich. Sie reichen von der Prävention und Bearbeitung von psychosozialen Problemlagen der Schülerinnen und Schüler oder der Behebung von Störungen im Schulalltag über die Entlastung der Schule und Lehrpersonen bis hin zur Schulentwicklung (Ziegele, 2014).

      2.1.3 Organisation der Schulsozialarbeit in der Deutschschweiz

      Aufgrund der heterogenen Ausgangslagen und des unterschiedlichen Bedarfs wird die Schulsozialarbeit seit den Anfangsjahren vor allem auf kommunaler Ebene eingeführt (Baier, 2011a; Ziegele, 2014). Die Gestaltungs- und Entscheidungskompetenz liegt mehrheitlich bei den Gemeinden; Kantone werden erst aktiv, wenn mehrere Gemeinden eines Kantons Schulsozialarbeit einführen und beim Kanton um Unterstützung ersuchen (Baier, 2011a). Dass die Autonomie und Gestaltungsfreiheit bei den Gemeinden liegen, hat den Vorteil, dass sich die Schulsozialarbeit den regionalen Eigenheiten besser anpassen und ihre Angebote dem lokalen Bedarf entsprechend ausrichten kann. Auf der anderen Seite erschwert die resultierende Vielfalt gleichzeitig eine national einheitliche Ausrichtung und Profilbildung der Schulsozialarbeit (Baier, 2011a; Ziegele, 2014).

      Ein Aspekt dieser Vielfalt sind die verschiedenen Trägermodelle. Auf kantonaler, regionaler oder kommunaler Ebene ist die Schulsozialarbeit entweder einer öffentlichen Sozialverwaltung oder einer Schulverwaltung oder auch direkt einer Schule angegliedert. An einigen Standorten gibt es Formen der doppelten Anbindung, bei der die Schulsozialarbeit fachlich an die Sozialverwaltung angebunden ist und personell von der Schule oder der Schulverwaltung geführt wird (Gschwind, 2014; Wulfers, 1996). Ausserdem kann die Schulsozialarbeit einem nichtstaatlichen Träger aus dem Sozialbereich unterstellt werden (z.B. Vereine, freie Zweckverbände, Sozialfirmen) (Iseli, Stohler, 2012). Im Vergleich etwa zur Situation in Deutschland sind solche Trägerformen in der Schweiz aber sehr selten.

      Die unterschiedlichen Versorgungsmodelle sind ein weiterer Aspekt der organisatorischen Vielfalt von Schulsozialarbeit. Die Schulsozialarbeit kann je nach regionalen und strukturellen Verhältnissen in integrierter oder ambulanter Form in den Schulen arbeiten (Iseli, Grossenbacher, 2013). Bei einem integrierten Versorgungsmodell ist die Schulsozialarbeit räumlich in eine Schule integriert. Die Schulsozialarbeitenden sind regelmässig und mit einem grösseren Stellenpensum vor Ort präsent, was einen niederschwelligen Zugang für Nutzerinnen und Nutzer der Schulsozialarbeit begünstigt. Bei einem ambulanten Versorgungsmodell werden meist mehrere kleine Schulstandorte von einer zentralen Stelle aus mit Dienstleistungen versorgt. Es gibt regelmässige Sprechstunden und Kontakte vor Ort; Präsenzzeiten und Leistungsangebot sind in der Regel aber zeitlich und umfangmässig eingeschränkter als bei einem integrierten Versorgungsmodell. Beide Versorgungsmodelle – integrierte wie ambulante – setzen allerdings angemessene räumliche Bedingungen für eine effektive Schulsozialarbeit voraus. Dazu gehört, dass die Schulsozialarbeitenden über ein eigenes Büro und/oder störungsfreie, nicht einsehbare Räumlichkeiten an den Schulen verfügen. Diese Räumlichkeiten sollten in der Schule zentral gelegen sein, damit ein direkter und möglichst niederschwelliger Zugang für Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen und Eltern gewährleistet werden kann (Iseli, Grossenbacher, 2013; Speck, 2009).

      Weitere Voraussetzungen, die in der Literatur für den Erfolg der Schulsozialarbeit hervorgehoben werden, sind professionelle Neutralität und fachliche Unabhängigkeit von der Schule. Sie erlauben der Schulsozialarbeit, ein eigenständiges Profil herauszubilden (Speck, 2009; Wulfers, 1996). Gleichzeitig ist aber eine gute Integration der Schulsozialarbeit ins System Schule unerlässlich. Eine solche zeichnet sich durch die sorgfältige Einführung der Schulsozialarbeit ins Kollegium, die Sicherstellung des Informationsflusses zwischen allen Beteiligten, das Vorhandensein von Gefässen für den Austausch und von klaren Abläufen und Verantwortlichkeiten aus. Insofern bewegt sich die Schulsozialarbeit immer in einem gewissen Spannungsfeld. Auf der einen Seite braucht sie Unabhängigkeit, andererseits auch Nähe zur Schule und Akzeptanz beziehungsweise Unterstützung bei Schulleitungen und Lehrpersonen (Iseli, Grossenbacher, 2013). Um vor diesem Hintergrund Unsicherheiten und Konflikte zu vermeiden, empfiehlt die Fachliteratur, die Kooperation zwischen Schulsozialarbeit und Schule verbindlich zu regeln. Dazu gehören beispielsweise gegenseitige schriftliche Vereinbarungen über Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten aller Beteiligten, Verfahrensabläufe bei Konflikten und im Umgang mit sozialen Problemen sowie zur Einbindung der Schulsozialarbeit in die Schulentwicklung. Empfohlen werden regelmässige Planungs- und Reflexionsgefässe, die Schulsozialarbeit, Schulleitung und Lehrpersonen zusammenbringen (AvenirSocial, 2006a; Iseli, Grossenbacher, 2013; Speck, 2009). Solche Vereinbarungen und Strukturen sind nicht zuletzt auch deshalb wichtig, weil neben der Schulsozialarbeit noch andere Unterstützungsangebote im Kontext der Schule bestehen, wie etwa die Heilpädagogik oder Erziehungsberatung, die – zumindest auf den ersten Blick – ähnlich positioniert sind wie die Schulsozialarbeit (Wagner, Kletzl, 2013).

      Angesichts der hohen Anforderungen an die Schulsozialarbeit sowie der Tatsache, dass es verschiedene Zielgruppen und Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner gibt, kommt den fachlichen Kompetenzen der Schulsozialarbeitenden eine hohe Bedeutung zu. Die beruflichen Anforderungen setzen eine abgeschlossene Ausbildung


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