Dürnsteiner Würfelspiel. Bernhard Görg
von Burkina Faso angemessen gewesen wäre, begrüßte er seinen Gesprächspartner in Wien.
»Jetzt sagen Sie bloß, Sie können mir schon etwas über das Skelett erzählen. Dann arbeiten Sie ja schneller, als die Polizei erlaubt.«
»In Wien gibt es bei der Arbeit keine Geschwindigkeitsbeschränkung. Ich habe nicht gewusst, dass das in St. Pölten anders ist.«
Dem Chefinspektor war der ironische Ton natürlich nicht entgangen. »Den Rüffel habe ich verdient. Gefällt mir. Dann schießen Sie bitte los!«
»Sehr viel, das Sie weiterbringen wird, kann ich Ihnen leider nicht bieten. Der Verwesungsprozess der Knochen ist schon stark fortgeschritten. Ich bin allerdings sicher, dass das Skelett von einer Frau über sechzig stammt. Wahrscheinlich deutlich über sechzig. Circa ein Meter sechzig groß und wahrscheinlich eher von der dünnen Sorte. Und sie hatte eine künstliche rechte Hüfte. Gut erkannt. Nur leider wurde sie teilweise zertrümmert. Das kann aber erst vor Kurzem geschehen sein.«
»An der Zertrümmerung ist der Finder des Skeletts schuld. Unfreiwillig. Stimmt es übrigens, dass künstliche Gelenke alle eine Kontrollnummer haben müssen?«
»Prinzipiell schon, die Hüfte hat aber nur mehr Spuren davon. Ich bezweifle, ob Ihnen die Reste weiterhelfen werden.«
»Habe ich mir schon gedacht.« Spencer, der sich Notizen machte, konnte seine Ungeduld nur schwer zügeln. »Haben Sie schon eine Einschätzung, wie lange die Frau unter der Erde gelegen sein könnte?«
»Nachdem es keine Spur von Haaren mehr gibt und von den Zähnen auch nicht mehr viel übrig ist, würde ich sagen mindestens fünfzehn und maximal fünfundzwanzig Jahre. Bei einem reinen Lehmboden könnten es sogar ein bisschen mehr sein.«
»Anzeichen von Gewaltanwendung?«
»Sicher keine Schussverletzung und auch kein Schlag durch einen schweren Gegenstand. Der linke Ringfinger fehlt. Die Knochenfragmente sind an der Stelle sehr ausgefranst. Könnte sein, dass der Finger unsachgemäß entfernt worden ist. Aber viel Geld würde ich darauf nicht setzen. Tut mir leid.«
»Wie heißt es so schön in der Bibel, oder wo immer das steht: Ich bin so klug als wie zuvor. Ich habe nichts anderes erwartet. Die Frau könnte aber erwürgt oder vergiftet worden sein?«
»Die Frage, ob die Frau stranguliert worden ist, wird Ihnen kein Gerichtsmediziner der Welt beantworten können. Beim Gift sieht es anders aus. Ihnen brauche ich ja nicht zu erklären, dass sich einige Gifte in den Knochen eine Ewigkeit lang nachweisen lassen. Ganz nebenbei bemerkt: Das Zitat steht nicht in der Bibel, sondern im ›Faust‹.«
»Danke für den Hinweis. Aber dafür wissen Sie sicher nicht, wie letzten Sonntag der SV Würmla gegen den SC Retz gespielt hat. Man kann eben nicht auf allen Gebieten beschlagen sein.«
»Vielleicht auf mehr, als sie glauben, Herr Chefinspektor.« Malzacher merkte, dass dem Pathologen das Gespräch Spaß machte.
»Also, ob die Frau an Gift gestorben ist, kann ich auf die Schnelle nicht feststellen. Da müsste ich das Skelett nach Wien in die Gerichtsmedizin bringen lassen.«
»Könnte nicht schaden. Nachdem für eine solche Fahrt nach Wien der Amtsschimmel gesattelt werden muss, werde ich das von hier aus übernehmen. Ich werde mit dem Staatsanwalt reden. Eine letzte Frage habe ich noch. Halten Sie es für möglich, dass die Frau über das Hüftgelenk identifizierbar ist?«
»Wenn die Kontrollnummer nichts hergibt, eher chancenlos. Ich kann keinen Kunstfehler erkennen, an den sich ein Operateur erinnern würde. Abgesehen davon, dass er das sowieso nie täte, auch wenn er es könnte. Es sind auch vor fünfundzwanzig Jahren schon viele Hüftgelenke operiert worden. Selbst wenn sie alle Krankenakten über einen Zeitraum von zehn Jahren studieren, werden Sie da nichts finden, was Ihnen weiterhelfen wird. Abgesehen davon, dass die Frau ja nicht nur in Krems, St. Pölten oder Amstetten operiert worden sein könnte. Wien oder Linz wäre genauso denkbar.«
»Herr Doktor, Sie sind mir sehr sympathisch, aber das hilft mir nicht wirklich weiter. Haben Sie nicht wenigstens zumindest eine Kleinigkeit auf Lager, die Balsam für meine Seele sein könnte?«
»Ich glaube, die habe ich.«
Malzacher spürte, dass er den Hörer fast zerdrückte, so angespannt war er plötzlich. Gleichzeitig hörte er sich in einem überraschend sanften Tonfall sagen: »Ich habe doch noch das Gefühl, Sie in mein Abendgebet einschließen zu müssen.«
»Sie haben mich nach dem Resultat SV Würmla gegen SC Retz gefragt. Vier zu zwei. Und wenn Sie sich fragen, woher ich das weiß: Ich war bei der Partie zufällig Schiedsrichter.«
4. April, 11:30 Uhr
Der Chef der Chirurgie hatte von dem Skelettfund gehört. Es war aber nicht das Skelett, sondern vielmehr dessen künstliche Hüfte, die ihn dazu bewog, den Fund zu inspizieren. Rein professionelle Neugierde.
Er wollte einfach sehen, ob es daran Spuren starker Abnützung gab, die einen Hinweis auf die Qualität des verwendeten Materials liefern konnten. Wie oft bekommt man schon eine Prothese zwanzig Jahre nach dem Ableben seiner Trägerin zu Gesicht?
Nachdem man ihm mitgeteilt hatte, dass die Knochen so rasch wie möglich in die Gerichtsmedizin der Med-Uni in Wien zur weiteren Untersuchung gebracht werden sollten, rief er den Haus-Pathologen mit der Bitte, ihm die Knochen kurz zu zeigen, an.
Der Operationsgehilfe, der das in einen weißen Plastiksack gehüllte Skelett aus einer der vierundzwanzig Kühlboxen zog, über die die Prosektur verfügte, legte es vorsichtig vom Transportwägelchen auf einen der beiden schwenkbaren Seziertische. Der Primar öffnete selbst den Plastiksack, setzte eine Brille auf und beugte sich über die kümmerlichen Überreste der Leiche.
»Trotz des Hiebs, den sie abbekommen hat, ist deutlich zu erkennen, dass es sich um eine zementierte Prothese handelt. Der Eingriff ist also bei einer älteren Person vorgenommen worden. Mit schon reduziertem Knochenmaterial in der Pfanne.«
»Würde ich auch sagen. Dass die Frau zumindest bei ihrem Tod schon jenseits der sechzig gewesen sein muss, sieht man auch an anderen Merkmalen.«
»Ich hoffe, Sie wollen jetzt mit mir kein Anatomie-Seminar abhalten.« Ritzek lachte seinen deutlich jüngeren Kollegen an.
»Wie lange schätzen Sie, dass die Frau schon in dem Weingarten gelegen ist?«
»Der Gerichtsmediziner hat gesagt, mindestens fünfzehn Jahre. Eher mehr. Auch zwanzig bis fünfundzwanzig sind möglich.«
»Dann habe ich sie jedenfalls nicht operiert. In meiner Turnuszeit habe ich noch nicht operieren dürfen. Abgesehen davon, dass die Frau auch ganz woanders operiert worden sein könnte. Für die Operation müsste ich mich allerdings gar nicht schämen. Hat der Kollege damals gut gemacht. Und was geschieht jetzt mit den Knochen? Ich höre, Sie wollen sie nach Wien schicken.«
»Nicht ich, sondern die Kriminalpolizei. Wollen wissen, ob es Hinweise auf Gift gibt. Brauchen aber noch das Okay der Staatsanwaltschaft.«
»Verstehe.« Der Primararzt, der in der Zwischenzeit seine Brille wieder in die Tasche seines weißen Mantels gesteckt hatte, rieb sich zweifelnd und nachdenklich die Nase. »Da würde ich an deren Stelle zuerst einmal die Vermisstenmeldungen von damals überprüfen. So viele alte Damen werden in der Wachau in einem Zeitraum von mehr als zehn Jahren nicht verschwinden. Kann natürlich auch sein, dass die Dame ganz woanders vermisst wird. Ist zum Glück nicht unser Bier. Hat der Gerichtsmediziner geschaut, ob zumindest ein Teil der Kontrollnummer noch vorhanden ist?«
»Hat er. Hat nichts Brauchbares gefunden.«
»Kein Wunder, wie die Hüfte da bearbeitet worden ist. Haben Sie eine Lupe?«
4. April, 17:15 Uhr
Er hatte sich schon vor ewigen Zeiten vorgenommen, seinen jährlichen Friedhofsbesuch auf Allerseelen zu verlegen, ohne diesen Plan je zu verwirklichen. Dabei hätte Allerseelen viele Vorteile gehabt. Erstens das Wetter. Ein nasskalter Novembertag