Arbeiten in der Tagesschule (E-Book). Regula Windlinger

Arbeiten in der Tagesschule (E-Book) - Regula Windlinger


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die Löhne im mittleren bis unteren Bereich bewegen, bedeutet das, dass ein grosser Teil der Beschäftigten – grossmehrheitlich Frauen – nicht von der Arbeit leben kann und in diesem Bereich auch keine Perspektive auf Verbesserung erhält.

      Damit ist die Abwanderung von qualifizierten Arbeitskräften in andere Bereiche vorprogrammiert – spätestens, wenn die eigenen Kinder grösser sind oder sonst ein Wechsel in den persönlichen Verhältnissen ansteht. Kleine Pensen kommen zwar manchen Frauen in bestimmten Lebenssituationen entgegen, sie sind aber generell keineswegs eine Möglichkeit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf (wie immer wieder behauptet wird), sondern im Gegenteil der deutliche Beweis, dass Vereinbarkeit für Frauen in vielen Fällen nur um den Preis hoher Flexibilität und niedriger Löhne zu haben ist.

      Zwar gibt es keine belastbaren Statistiken zur Fluktuation im Bereich der schulergänzenden Betreuung, aber zumindest Hinweise, dass die Verweildauer kürzer ist als wünschenswert.9

      Eine Verbesserung in dieser Frage setzt ein grundlegendes Umdenken in Bezug auf die Organisation der schulergänzenden Betreuung voraus. Qualifiziertes Personal braucht Entwicklungsmöglichkeiten und die Option, Vollzeit oder in einem hohen Anstellungspensum zu arbeiten. Grundsätzlich ist eine Arbeitsorganisation, bei der eine Vollzeitanstellung faktisch ausgeschlossen ist und die Minijobs im Stundenlohn fördert, aus gesellschaftlicher und gleichstellungspolitischer Perspektive nicht akzeptabel. Mittelfristig sollte daher die strikte Trennung von Schule und Betreuung abgebaut werden. Das Betreuungspersonal sollte schulische Funktionen übernehmen können, sodass ein Vollzeitpensum oder ein Lohn möglich ist, der zum Leben reicht.

      Diese notwendige Entwicklung der schulergänzenden Betreuung drängt sich keineswegs nur aus Sicht der Anstellungsbedingungen auf, sondern genauso aus grundsätzlichen Erwägungen zur Schulqualität und wird von Fachleuten schon lange gefordert.

      2.3 Kooperation zwischen Schule und Betreuung

      Schule und Betreuung sind unterschiedliche Systeme, mit unterschiedlichen Berufskulturen, die keinen Bereich unberührt lassen.

      Schon formal sind die Unterschiede gross: Die öffentliche Schule hat klare nationale und kantonale Gesetzesgrundlagen, definierte und kontrollierte Ausbildungsgänge, ausgearbeitete öffentlich-rechtliche Anstellungsbedingungen, klare Lohnsysteme mit umfassenden Sozialleistungen, definierten Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten und systematischen Lohnentwicklungen. Sie verfügt über einen präzise definierten, öffentlich anerkannten und regelmässig diskutierten Berufsauftrag.

      Für die schulergänzende Betreuung steht all dies nicht zur Verfügung. Die Personen, die in der Betreuung arbeiten, haben sehr unterschiedliche Werdegänge und, wie oben gezeigt, unterschiedliche, meistens ungünstigere Anstellungsverhältnisse. Zur Gruppe der Lehrpersonen bestehen aufgrund von Ausbildung, Honorierung und Anstellungsart klare Statusunterschiede.

      Die Kooperation der beiden Systeme steht also schon aufgrund der unterschiedlichen Kulturen vor grossen Hürden, selbst dort, wo eine grundlegende Einsicht in die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit besteht. So ist es nicht verwunderlich, dass die Formen der Kooperation von Ort zu Ort unterschiedlich sind und weit auseinanderklaffen. Das Spektrum reicht von systematisch etabliertem täglichem Austausch bis hin zu ausschliesslich zufällig entstehenden gemeinsamen Diskussionen ohne Verbindlichkeit.

      Windlinger hat in ihrem Literaturbericht zum Zusammenwachsen von Schule und Betreuung diskutiert, welche Faktoren in der Forschung als förderlich und welche als Hindernisse in der Zusammenarbeit zwischen Schule und Betreuung identifiziert wurden (Windlinger, 2016).10

      Die Forschung zeigt, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen der Pensenverteilung und der Kooperation besteht. Ein hoher Anteil an Betreuungspersonal mit kleinem Pensum und ohne einschlägige Ausbildung erschwert die Kooperation deutlich: «Offensichtlich behindert der geringe zeitliche Umfang, mit dem das PP [pädagogisches Personal] im Ganztag ist, die Zusammenarbeit mit den LK [Lehrkräften]. Aber auch die dadurch grössere Anzahl an einzubindenden Personen scheint problematisch zu sein. Ein weiterer Faktor für eine ungünstigere Ausprägung der Kooperation an diesen Schulen ist offenbar das Fehlen pädagogischer Qualifikationen beim PP. Ein höherer Anteil an PP ohne pädagogischen beruflichen Hintergrund scheint die Etablierung von funktionierenden interdisziplinären Kooperationsbeziehungen zu erschweren» (Rollett & Tillmann, 2009, S. 141). Dagegen berichtet hauptberuflich beschäftigtes Betreuungspersonal über mehr Abstimmung mit den Lehrpersonen, zum Beispiel bei sozial-erzieherischen Problemen, den Hausaufgaben oder der Durchführung gemeinsamer Projekte. Dadurch findet eine bessere Einbindung ins Schulsystem statt.

      Statusunterschiede und unterschiedliche Anstellungsbedingungen wirken sich nicht nur auf die Zusammenarbeit aus, sondern führen konkret zu Ungleichbehandlungen. Die Beteiligung der Lehrpersonen am Mittagessen oder anderen Betreuungsaufgaben wie der Hausaufgabenbetreuung kann pädagogisch erwünscht und sinnvoll sein. Für die Lehrpersonen sind diese Stunden in der Regel jedoch schlechter bezahlt als ihre sonstige Arbeit, da die für Unterrichtsstunden angerechnete Vorbereitungszeit entfällt. Die Arbeit in der Betreuung ist unter finanziellen Gesichtspunkten unattraktiv. Das Betreuungspersonal erhält dennoch für die gleiche Arbeit aufgrund des tieferen Lohnniveaus weniger Lohn, selbst wenn es sich um tertiär ausgebildete Personen handelt, die für den jeweiligen Dienst die Verantwortung tragen. Hierbei stellen sich zwei zentrale Fragen – einerseits, wie unter diesen Voraussetzungen vorbehaltlose und ebenbürtige Arbeitsbeziehungen etabliert werden können, und andererseits, ob diese Ungleichbehandlung mit dem Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit zu vereinbaren ist.11

      So zeigt sich schon an der einfachen Frage der Mittagstischbetreuung deutlich, dass es bei der Frage der Kooperation nicht nur um unterschiedliche fachliche Kulturen geht, sondern um handfeste Anstellungsfragen, die es zu lösen gilt.

      Handlungsbedarf in Bezug auf Arbeits- und Anstellungsbedingungen besteht in einer Optimierung der Kooperation. Empfehlenswert wäre die Verteilung der vorhandenen Pensen beim nichtschulischen Personal auf weniger Personen mit höheren Anstellungsprozenten. Mittelfristig sollten zwingend, wie oben ausgeführt, Vollzeitstellen geschaffen werden. Ausserdem muss das Personal zur Verbesserung der Kooperation qualifiziert sein oder entsprechend fortgebildet werden. Ferner sollten die Lohnstrukturen in der Betreuung angepasst werden. Die Löhne müssen in einem begründeten Verhältnis zu den Löhnen der Lehrpersonen stehen.

      Im Kontext der Tagesschulentwicklung stehen auch die Lehrkräfte und Schulen vor neuen Anforderungen. Dabei geht es um die grundlegende Frage, wie das Arbeitszeitmodell der Lehrkräfte zu gestalten ist. Eine Tagesschule mit pädagogischem Mehrwert (also eine Schule, die mehr sein will als die bisherige Schule mit anschliessendem Betreuungsangebot) führt zwangsläufig zu neuen Arbeits- und Präsenzzeiten der Lehrpersonen. Für die Einbindung der Lehrpersonen in die Betreuung müssen daher neue Arbeits- und Anstellungsmodelle entwickelt werden, die auch in die Ausbildung einfliessen.12 Die Aufgaben der Lehrpersonen in der Betreuung müssen zeitlich und inhaltlich klar definiert und diskutiert werden. Wenn es über konkrete Betreuungsaufgaben hinaus eine Präsenzpflicht für Lehrpersonen im Schulhaus gibt, braucht es zudem ruhige Arbeitsplätze für die Lehrpersonen in Räumlichkeiten, die für die Kinder nicht zugänglich sind.

      2.4 Professionalität, Berufsauftrag und Anerkennung

      In der Einleitung zum vorherigen Abschnitt wurde darauf hingewiesen, dass es für die Betreuung keinen präzise definierten Berufsauftrag gibt. Aus Perspektive der Schule wird die Betreuung mehrheitlich als eine Art Reparaturbetrieb angesehen. Sie soll auffangen, was in der Schule aus institutionellen Gründen zu kurz kommt und von den Familien nicht (mehr) geleistet wird. Sprachförderung, Hausaufgabenhilfe und Integration oder Unterstützung von «schwierigen» Kindern sind die Anforderungen, die in diesem Kontext häufig genannt werden. Betreuung wird in dieser Sichtweise als Verlängerung der Schule in unterrichtsfreie Randstunden interpretiert.

      Aus Perspektive einer sozialpädagogisch fundierten Betreuung sind die genannten Aufgaben Teil eines viel umfassenderen Auftrags. Während der Schwerpunkt der Schule bei der formalen (und gesetzlich stark geregelten) Bildung liegt, stehen in der Betreuung die nonformalen Bildungsprozesse und -ziele im Vordergrund. Kinder sollen lernen, Eigenverantwortung


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