Partnerschaftliche Rollenteilung - ein Erfolgsmodell. Margret Bürgisser
kann mich noch gut daran erinnern, als ich schwanger war und wir unsere Zukunft planten. Wir haben miteinander vereinbart, dass wir Beruf und Familie teilen. Das haben wir ganz bewusst zusammen entschieden, und das haben wir auch durchgezogen.«
Zum Zeitpunkt der Familiengründung arbeiteten die beiden im Jobsharing (je 60 Prozent) als Typografen in einem grafischen Atelier. Sie machten damals im eigentlichen Sinne »halbe-halbe«. Urs arbeitete von Montag bis Mittwochmittag, Caroline von Mittwochnachmittag bis Freitagabend. Wer zu Hause war, war für Haushalt und Kinder verantwortlich. Am Mittwochnachmittag übernahmen die Großmütter die Kinderbetreuung, damit die Arbeit im Geschäft reibungslos übergeben werden konnte. So war es möglich, ohne institutionelle Kinderbetreuung auszukommen.
Urs fand seine Situation als Teilzeit arbeitender Vater nicht immer einfach. Im Geschäft nahm man eher die Nachteile als die Vorteile der Teilzeitarbeit zur Kenntnis (organisatorischer Mehraufwand usw.). Es erstaunte ihn auch, wenn Kollegen zu ihm sagten: »Oh, morgen hast du ja frei!« Als ob Familienarbeit bloße Freizeit wäre. Auf dem Spielplatz war er oft der einzige Mann; damals war das noch außergewöhnlich.
Caroline hingegen war mit der Rollenteilung sehr zufrieden. Nach der Geburt des ersten Kindes hatte sie es belastend gefunden, ausschließlich zu Hause zu sein. Schließlich hatte sie noch eine Zusatzausbildung absolviert und war deshalb an der Fortsetzung der Erwerbsarbeit sehr interessiert. Sie erkannte auch, dass es unmöglich ist, das volle Verständnis für die Arbeit des Partners zu entwickeln, wenn man selbst nicht berufstätig ist.
Gemeinsam kreativ tätig sein Zu einem späteren Zeitpunkt gründete Caroline eine eigene Firma – die Mendelin Grafik. Auch Urs gab nach einiger Zeit seine Festanstellung auf und engagierte sich im gemeinsamen Unternehmen. Innert Kürze arbeiteten beide Partner 100 Prozent. Caroline nannte es 2003 »die nachteilige Seite dieser Geschichte, die sonst nur Vorteile hat«. Obwohl viele Leute vermuteten, die große räumliche Nähe und die berufliche Zusammenarbeit müssten zu Konflikten führen, erlebte das Paar die Situation als konstruktiv und bereichernd. Caroline lernte in dieser Zeit, die Kinder loszulassen und Urs mehr Raum zu geben. Die Kundenkontakte liefen anfänglich stärker über sie, und so hatte Urs viel Zeit, sich um die Kinder zu kümmern.
Kinderbetreuung im Haus Ergänzend wurde die Kinderbetreuung nun durch eine Kinderfrau wahrgenommen. Diese kam ins Haus und betreute vor Ort vier bis sechs Kinder – jeden Tag in einer anderen Wohnung. Die Mendelins nutzten diesen Betreuungsservice, bis die Kinder älter waren und ihn nicht mehr benötigten.
Diese damals entstandenen Freundschaften waren für die Eltern wie auch für die Kinder sehr wichtig und haben heute noch Bestand. Gleichwohl würde Caroline heute mehr Fremdbetreuung in Anspruch nehmen und – ergänzend zu den Großeltern – auf eine Krippe zurückgreifen. Dieses System bietet ihres Erachtens eine höhere Verlässlichkeit als private Lösungen, wo sich terminlich immer wieder etwas ändern kann. In der Anfangszeit der Selbstständigkeit fand sie das oft problematisch. Urs betont, er würde es nicht anders machen. »Das mit der Belastung stimmt zwar, aber das gehörte in einem gewissen Sinne einfach dazu. Man hatte ja noch gar nicht das Geld, um eine Fremdbetreuung zu bezahlen. Daher waren gewisse Rahmenbedingungen gegeben. Nein, ich würde nichts anders machen.«
Entwicklung der Kinder Caroline und Urs scheinen sich auch jetzt zu ergänzen, berichten von keinerlei ernsthaften Krisen und freuen sich, dass ihre Kinder sich gut entwickelt haben. Beide haben das Gymnasium absolviert und nachher ein Zwischenjahr eingelegt. Meret (22) studiert nun im dritten Jahr Germanistik, kombiniert mit Filmwissenschaften, und wird in einem Jahr abschließen. Sie sieht ihre Zukunft im Journalismus und möchte sich nach dem Master am MAZ[5] weiterbilden. In den Semesterferien arbeitet sie schon seit drei Jahren regelmäßig bei einer Zeitschrift.
Oliver (25) hat in Genf internationale Beziehungen studiert und sein Studium 2014 abgeschlossen. Nach einem Praktikum hat er sich für den Master beworben, sodass sich seine Ausbildung um weitere zwei Jahre verlängert. Er sieht seine Zukunft in der Diplomatie, zum Beispiel als Botschafter.
Bezüglich Hausarbeit ist es bei den Mendelins so, dass sich die Familie als Team versteht. Bereits früher wurden die Kinder – ohne festgelegten Aufgabenplan – bei allen Dingen einbezogen. Auch heute müssen sie sich an der Hausarbeit beteiligen, wenn sie bei den Eltern sind. Alle müssen ihren Teil beitragen, aber alle haben ja auch ein großes Arbeitspensum. Caroline betont, es gehe dann wie in einer Wohngemeinschaft zu und her.
Eltern-Kind-Beziehungen Die Beziehung zu ihren Kindern bezeichnen die Eltern als lebendig und offen. Urs betont: »Ich glaube, beide sind sehr selbstständig – waren es von Anfang an – und haben ihren Weg selbst gefunden. Sie wussten und haben gespürt, wo sie hinwollen. Beide haben eine gute Entwicklung gemacht.« Doch kaum brauchten die Kinder weniger Zuwendung, wurde diese von den eigenen Eltern gefordert. »Es gab eigentlich einen fließenden Übergang«, erzählt Caroline. »Als die Kinder weg waren, fing es mit der Betreuung der Eltern an. Diese war in den letzten Jahren sehr intensiv, es sind in dieser Zeit drei Elternteile gestorben. Das beanspruchte einen großen Anteil der Freizeit. Die Kinder hatten natürlich durch die Betreuung zu allen Großeltern ein sehr enges Verhältnis. Sie waren nicht sehr aktiv in der Betreuung der Großeltern, ihnen aber emotional schon sehr nah.«
Impulse für die Partnerschaft Die Mendelins haben auch als Paar von ihrer Rollenteilung und der gemeinsamen Arbeit profitiert. Urs betont: »Man hat mehr Verständnis füreinander, weil man nicht in zwei verschiedenen Welten lebt. Das Zusammenarbeiten und die Selbstständigkeit haben das noch verstärkt.« Caroline ergänzt: »Wir haben beide gesagt, wir ziehen am gleichen Strick und haben das gleiche Ziel vor Augen. Eigentlich haben wir das immer als sehr positiv erlebt. Wir haben gemeinsame Interessen – und sogar die neuen Freiheiten können wir zusammen genießen. Unsere Beziehung würde ich nach wie vor als gut, lebendig und aktiv beurteilen.«
Zukunftsperspektiven In Bezug auf die Zukunft sind die beiden flexibel. Die Arbeitszufriedenheit von Caroline lässt aktuell einige Wünsche offen. Es ist eine Überführung des Unternehmens in eine AG geplant. Je nachdem, wie sich das entwickelt, wird sie eventuell wieder in die Firma zurückkehren. Urs denkt, dass er bis zur Pensionierung so weitermachen wird wie bisher. Er hat keine Mühe, sich technologisch weiterzuentwickeln, doch ist er auch äußeren Einflüssen ausgesetzt. »Wir arbeiten relativ stark im Internetbereich«, erklärt er. »Man weiß deshalb nie, wie lange man mit den Jungen noch mithalten kann. Die Kunden werden auch alt, und dann kommen neue Leute an diese Stellen. Es wäre mein Wunschtraum, dass jemand Junges in die Firma kommt und Zugkraft übernimmt, wenn ich älter bin. Dann könnte ich mich etwas zurücknehmen.«
ROCHELLE ALLEBES UND RONNIE GUNDELFINGER
»Ich konnte es mir nur mit dieser Rollenteilung vorstellen, Kinder zu haben«
Mein Besuch führt mich nach Bäch am Zürichsee, wo Rochelle Allebes (64) und Ronnie Gundelfinger (61) ihre Sommerferien verbringen. Rochelle holt mich am Bahnhof ab und fährt mich zu dem kleinen Haus am See, das sie – zusammen mit ihrem Schwager – ganzjährig gemietet haben. Jetzt, zur heißesten Jahreszeit, ist es mit seinem lauschig-schattigen Garten und dem direkten Seeanstoß eine wahre Idylle. Im Gespräch mit den beiden erfahre ich, was sich in den letzten Jahren in ihrem Leben alles ereignet und verändert hat.
Entwicklung der beruflichen Situationen Rochelle hat noch eine Weile beim Elternnotruf gearbeitet, dann aber – nach 22 Jahren – gekündigt. »Seit 2006 habe ich eine Stelle im Team des Ausbildungsinstituts für systemische Therapie und Beratung in Meilen. Seither gebe ich dort Kurse und mache Supervisionen. Und in meiner Praxis arbeite ich mit Paaren und Familien.« Auf freiberuflicher Basis ist Rochelle in verschiedenen Projekten engagiert und arbeitet insgesamt etwa 70 Prozent. Sie wird die Tätigkeit in Meilen 2019 allerdings aufgeben. »Das Vorbereiten der Kurse ist eine stressige Arbeit. Ich finde auch, dass man irgendwann zu alt und zu weit weg ist von allen neuen Entwicklungen. Die Praxis würde ich langsam abbauen.« Nachher möchte sie vermehrt in Amsterdam weilen, wo sie ursprünglich herkommt und wo sie jetzt eine Wohnung gekauft hat.
Ronnie ist nach wie vor, seit annähernd dreißig Jahren, beim kinder- und jugendpsychiatrischen Dienst des Kantons Zürich tätig. Als leitender Arzt ist er in diesem Umfeld quasi der »Silberrücken«,