Schluss mit der Donut-Pädagogik! (E-Book). Klaus Oehmann
können sehr vielseitig konstruiert und durchlaufen werden. Sie sollten aber stets selbstgesteuertes Lernen der Schüler*innen fördern. Deswegen muss der Problemcharakter in jeder Lernaufgabe auffindbar sein, jedoch nicht immer in seiner vollen Komplexität, was wiederum vom Entwicklungsstand und Kompetenzniveau der Lernenden abhängt. Es wird deutlich, dass eine Lernaufgabe kein Puzzleteil des Unterrichts darstellt, sondern selbst den Rahmen bildet, in dem Lernen überhaupt erst stattfinden kann. Damit wird die Vorstellung überwunden, dass Lernaufgaben kleinschrittige Arbeitsabfolgen im Unterricht sind. Das Motto lautet: Think big, not small!
Es ist nicht unser Anspruch, alle Kriterien für die Qualität von Lernaufgaben allumfassend zu erheben, sondern wir konzentrieren uns mit dem Aufgabendidaktischen Kompass auf die fünf wesentlichen Merkmale, die eine qualitativ hochwertige Lernaufgabe kennzeichnen:
ein Problem, das neugierig macht,
eine Situation aus dem Leben,
eine Handlung, die einen mehrschrittigen Ablauf beinhaltet,
Kompetenzen, die mehrdimensional sind,
Lernende, die berücksichtigt werden und sich aktiv beteiligen können.
2.2 Eine Lernaufgabe ist keine Prüfungsaufgabe
Unter dem Begriff «Lernaufgabe» wird vieles subsumiert. Mittlerweile sind Lernaufgaben fast alles, bloß nicht das, was sie sein sollten − nämlich: qualitativ hochwertige Aufgaben, die Lernprozesse im Unterricht anstoßen und ermöglichen. Eine einheitliche Definition der Lernaufgabe existiert bis dato noch nicht, jedoch finden sich etliche Überschneidungen. Eine Gemeinsamkeit besteht in der Literatur allerdings darin, sie von Kontroll- bzw. Leistungsaufgaben abzugrenzen. Diese werden nach Abschluss einer Lernaufgabe und somit eines Lernprozesses durchgeführt und dienen der Leistungsermittlung und -bewertung. In unserem Verständnis sind Lernaufgaben grundsätzlich bewertungsfrei und unterscheiden sich damit von Prüfungsaufgaben. Nichtsdestotrotz sollten die Prüfungsanforderungen in Lernaufgaben ihre Berücksichtigung finden.
Lernaufgaben werden traditionell definiert als «Aufforderung an Lernende, eine bestimmte Handlung auszuführen, eine Frage zu beantworten, ein Problem zu lösen, eine Anweisung umzusetzen, einen Auftrag zu realisieren, aber auch eine Entscheidung zu fällen und selbst Fragen zu stellen, die helfen, ein Problemfeld zu erhellen» (Pahl 1998, 13, in Bloemen et al. 2011, 21).
Neulich in der S-Bahn: Zwei Lehrkräfte unterhalten sich über die Funktion von Lernaufgaben und kommen zu dem Ergebnis, dass diese hier und da zur Veranschaulichung und Übung dienen, wenn Lehrstoff durchgenommen wurde.
Kontrolleur: «Das ist zu wenig, bitte nachlösen, ähm nachlesen.»
Diese Aussagen der beiden Lehrkräfte führen in die Lernzieldiskussion der 1960er-Jahre zurück. Die leitende Frage zu dieser Zeit war, durch welche exakte Handlung zeigt ein Lernender, dass er oder sie ein spezifisches Lernziel erreicht hat. Daran anknüpfend wurden Unterrichtsaufgaben entwickelt, die sehr eng an Prüfungsaufgaben herankamen, z. B. Multiple-Choice-Aufgaben und Lückentexte. In diesem Sinne werden Lernaufgaben als Instrumente verstanden, die zur Lernzielerreichung führen und sich sehr eng an den Vorgaben für das gewünschte Verhalten orientieren. Die Folge einer solchen Unterrichts- und Aufgabenpraxis ist das sogenannte «teaching to the test».
Bezogen auf die Aufgabenpraxis, die überwiegend heutzutage praktiziert wird, bedeutet dies, dass Unterricht und Lernaufgaben auf die Prüfung hin ausgerichtet sind. Das Ergebnis einer solchen Unterrichts- und Aufgabenpraxis ist für Lernende frustrierend und demotivierend. Mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag hat dies beileibe nichts zu tun, und der angesammelte Haufen Wissen ist größtenteils nutzlos, da es kaum Bezüge zur Praxis gibt und auch keine Anwendung stattfindet, was wir als isoliertes Wissen bezeichnen.
Dies veranschaulicht folgender Post einer Schülerin im Internet, die ihren Unmut über das für sie nutzlos angehäufte Schulwissen kundtut.
«Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ‘ne Gedichtanalyse schreiben. In 4 Sprachen.»
User @nainablabla auf Twitter
Die von B. Bloom vorgelegte Taxonomie kognitiver Lernziele berücksichtigt nicht ausschließlich das Wissen rund um das Auswendiglernen und Erinnern, sondern auch das Verstehen, Anwenden oder gar Analysieren, Entwickeln und Bewerten. Somit bewegen wir uns also weg von rein mechanischen Prinzipien hin zu eher selbststeuernden Tätigkeiten und dem Lösen von Problemen durch die Lernenden selbst. Das Problemlösen ist dabei ein individueller Vorgang. Um diesen Problemlöseprozess besser zu verstehen und ihn sinnvoll unterstützen zu können, wird zunächst das typische Expertenhandeln analysiert und versucht, die dahinter liegenden kognitiven Prozesse abzubilden. Zudem ist es ebenso wichtig, die Wissensstruktur der Novizen bzw. Anfänger zu analysieren, denn erst aus dem Abgleich von Experten und Novizen lassen sich letztendlich Konsequenzen für die Entwicklung von sinnstiftenden und gehaltvollen Lernaufgaben ableiten. So gibt es für viele Probleme zumeist mehrere richtige Lösungswege, und oftmals sind diese mit unterschiedlichen Inhalten realisierbar. Ein Businessplan kann für jede Art von Geschäft erstellt werden, egal ob für den Verkauf von Fahrrädern, Computern oder Kaffee. Interessant sind natürlich inhaltsspezifische Besonderheiten, aber auch hier gilt es, Unterschiede zu erkennen und zu berücksichtigen. Außerdem ist wichtig, die individuellen Unterschiede der Lernenden zu berücksichtigen, zum Beispiel in Bezug auf ihr Vorwissen, Arbeitstempo oder ihre Motivation. Zudem ist es sinnvoll, dass bestimmte Arbeitsaufgaben eher allein oder in Kleingruppen bearbeitet werden. Diese Überlegungen zeigen, dass die Anforderungen an eine Lernaufgabe recht bald komplex werden.
2.3 Alles Lernen ist Problemlösen − Ansätze aus der Forschung
Seit den großen Schulleistungstests wurde erkannt, dass der problemlösende Zugang zu einer Aufgabe viel stärker beachtet werden muss. Zentrale Fragen sind:
Was muss der Lernende können?
Wie zeigt sich das in der Performanz bzw. im Outcome?
Wie muss eine Lernaufgabe gestaltet sein, damit der Lernende seine Kompetenzen entsprechend der gesetzten Ziele entwickeln oder verändern kann?
Wie können wir Lernaufgaben gestalten, die für Nutzer*innen mit unterschiedlichen Fähigkeiten sinnvoll bearbeitbar sind?
Wie können Lernende aus Fehlern lernen?
Wie lernen Schüler*innen eigentlich das Lernen, damit sie auch nach der Schule und Ausbildung eigenständig weiterlernen können?
Mit Hilfe des Aufgabendidaktischen Kompasses ist es möglich, komplexe Lernaufgaben zu konzipieren, die eine Antwort auf die oben aufgeworfenen Fragestellungen geben. Somit erleben Schüler*innen ihre Anwesenheit im Unterricht als sinnvoll und gewinnbringend. Infolge der Befassung mit den zu bearbeitenden Lernaufgaben können sie ihre Ressourcen entfalten und neue erschließen, was zu einer Stärkung ihres Selbstkonzepts führt. Der Lernaufgabe kommt somit eine Schlüsselfunktion für erfolgreichen Unterricht zu. Um diesen Schlüssel auch nutzen zu können, gilt es, zu erfassen und zu verstehen, was eine Lernaufgabe überhaupt ist und wie diese sich von den üblichen,