Schluss mit der Donut-Pädagogik! (E-Book). Klaus Oehmann
Maier et al. (2014), G. Gerdsmeier und C. Köller (2008), J. Leisen (2010) sowie C. Arnes (1992), auf die wir nachfolgend kurz eingehen.
Im ersten Schritt stellen wir mit dem Kategorisierungsraster von U. Maier et al. (2014) ein allgemeindidaktisches Konzept zur Aufgabenkonstruktion und -analyse vor. Darüber kann bestimmt werden, ob eine Lernaufgabe auch tatsächlich das bewirkt, was von ihr verlangt wird.
Tabelle 1: Kategorisierungsraster (Quelle: Maier et al. 2014, 48)
Die vorgeschlagenen Dimensionen lassen sich in einer Lernaufgabe in verschiedenen Ausführungen realisieren und zeigen deren vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten auf. Dies kann mit einem Mischpult verglichen werden, bei dem die unterschiedlichen Einstellmöglichkeiten in der Folge zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Einen bedeutsamen Einfluss auf die Gestaltung von Lernaufgaben haben die Dimensionen Wissensart und kognitiver Prozess, wie Forschungsarbeiten hinreichend belegen (vgl. ebd. hier.). Diese wiederum korrelieren mit dem Umfang des in einer Lernaufgabe zu bearbeitenden Wissens, was U. Maier et al. als Wissenseinheiten bezeichnen und Einfluss auf die Komplexität einer Lernaufgabe hat.
Die Dimension Offenheit gibt an, wie viele Lösungswege zum Ziel führen und ob das Ziel eindeutig bestimmbar oder eher offen ist, also wie viele richtige Lösungen es geben kann. Mit der Dimension Lebensweltbezug wird ausgedrückt, wie realistisch das dargestellte Problem bzw. die Situation überhaupt ist. Ferner ist die Sprachkompetenz der Lernenden bei der Aufgabenstellung zu berücksichtigen. Eine sprachsensible Aufgabengestaltung zeigt sich in den sprachlichen Formulierungen und Ausführungen und eröffnet damit wieder die Möglichkeit, die Komplexität einer Aufgabe zu steuern. Die Dimension Repräsentationsform geht auf die Darstellung der in einer Aufgabe präsentierten Information ein, die symbolisch oder bildhaft gemacht werden. Damit ist auch gemeint, ob z. B. die Schüler*innen eine Grafik zum Text anfertigen, was wiederum einen Wechsel des Repräsentationsformates bedeutet und dadurch herausfordernder wird.
Das Kategorisierungsraster verdeutlicht, dass eine Lernaufgabe über eine inhärente Struktur verfügt und idealerweise auf die Lerngruppe hin ausgerichtet ist. Demzufolge wäre es also möglich, für jeden Lerner eine individuelle Lernaufgabe zu konstruieren. Bleiben wir beim Bild des Mischpults: Es geht darum, für jeden Lerner ein aufgabenspezifisches Feintuning vorzunehmen. Dieser Gedanke des Customizings von Lernaufgaben übertrugen wir auf den Aufgabendidaktischen Kompass. Wir sind der Überzeugung, dass Lernaufgaben nicht der 7-G-Logik[2] folgen sollten.
Die Bedeutung von selbstgesteuertem Lernen in Lernaufgaben untersuchten G. Gerdsmeier und C. Köller (2008). Sie sehen darin ein großes Potenzial zur Gestaltung von anregenden und kompetenzfördernden Lernumgebungen. Aus Gründen der Praktikabilität komprimierten sie die unzähligen Möglichkeiten von Lernaufgaben in fünf Aufgabentypen:
Aufgabentyp 1: Aufträge ohne Problemorientierung.
Einfache Zuordnungsaufgaben oder Lückentexte geben exakt vor, wie zu handeln ist, und zumeist gibt es auch nur eine gültige Lösung.
Aufgabentyp 2: Gegebene geschlossene Problemstellung.
Typisch hierfür sind Knobelaufgaben. Ein Sachverhalt wird vorgestellt und klare Anweisungen für die auszuführende Handlungsabfolge gegeben. Unter Zuhilfenahme von Denkwerkzeugen wie Skizzen, Berechnungen, Simulationen kann die Aufgabe erschlossen werden.
Aufgabentyp 3: Gegebene komplexe Problemstellung.
Hier liegt ein echtes Problem vor, wozu diverse weitere Fähigkeiten und Kenntnisse aus anderen Bereichen benötigt werden. Beispiel: Wenn Schüler*innen einen Handkarren bauen möchten, der 100-kg-Traglast hat, so muss dieser geplant, konstruiert und ggf. ein Modell angefertigt werden. Später muss vielleicht die Konstruktion zusammengeschweißt werden und das erfordert entsprechende handwerkliche Fertigkeiten.
Aufgabentyp 4: Kommunikativ erzeugte kognitive Störung, großer Suchraum für Lösungen.
Wenn beispielsweise über den Bau neuer Windkraftanlagen auf einem Berg diskutiert wird, sind die Meinungen dazu sehr unterschiedlich. Die dahinterliegenden Interessen auch, Lösungen sind demzufolge mehrere in Sicht. Eine genaue Arbeitsanweisung gibt es nicht, das Problem muss diskursiv erschlossen werden. Oft sind viele Informationen verdeckt oder müssen in ihrer Wichtigkeit zuerst bestimmt werden.
Aufgabentyp 5: Partizipative Entwicklung eines komplexen Problems mit vielfältigen Implikationen und affektiver Involviertheit.
Das Thema «Klimaschutz» und die politischen Diskussionen darüber verdeutlichen die Komplexität dieses Aufgabentyps. Konkrete Arbeitsanweisungen gibt es nicht, ebenso wenig muss hier eine Regel gefunden werden, um das Problem zu lösen. Wohl aber wird das Problem erst durch Diskussion mit verschiedenen Interessenvertretern erschlossen, denn es ist nicht direkt ersichtlich. Es gibt zudem mehrere Lösungswege und vielseitige Probleme. Eine Lösung ist schließlich nur durch gemeinsames Handeln möglich. In diesem Aufgabentyp spiegelt sich die größtmögliche Komplexität wider.
G. Gerdsmeier und C. Köller weisen darauf hin, dass eine echte Lernaufgabe die Aufgabentypen 3 bis 5 umfasst und die Aufgabentypen 1 und 2 keine wirklichen Lernaufgaben darstellen. Dieser Auffassung können wir uns anschließen und sehen deutliche Parallelen zum Kategorisierungsraster von U. Maier et al. und zum Verständnis einer Lernaufgabe nach A. Müller. Er verwendet drei Aufgabentypen: Lernstep, Lernjob und Lernunit. Lernsteps sind kleinschrittig und fachbezogen, Lernjobs komplex und themenübergreifend, Lernunits projektartig mit Weltbezug. Analog zu G. Gerdsmeier und C. Köhler können die Aufgabentypen 1 bis 2 als Lernstep, die Aufgabentypen 3 bis 4 als Lernjob und der Aufgabentyp 5 als Lernunit bezeichnet werden.
Letztendlich ist die Bezeichnung einer Lernaufgabe, z. B. ob als Aufgabentyp 3 oder Lernjob, nicht entscheidend. Relevant ist das zugrunde gelegte Aufgabenverständnis, was eine Lernaufgabe kennzeichnet und wie sie sich von Nichtlernaufgaben unterscheidet. Der Aufgabendidaktische Kompass hilft sozusagen, Äpfel von Birnen zu trennen, d. h. ein Verständnis der Lernaufgabe zu erlangen, ihren Einsatz und ihre Wirkungsweise zu erfassen und sie von Nichtlernaufgaben abzugrenzen.
Für den naturwissenschaftlichen Unterricht hat J. Leisen (2010) ein kompetenzbasiertes Konzept für Lernaufgaben entwickelt, das an die vorherigen Ausführungen gut anschließt. Im Kern einer Lernaufgabe steht für J. Leisen eine Problemstellung, von der aus sich die Entwicklung der Kompetenzen bei den Lernenden vollzieht. Für ihn ergänzt eine Lernaufgabe nicht den Unterricht, sondern wird selbst zur Lernumgebung, indem sie die Steuerung des Lernprozesses übernimmt und die Lernenden aktiv mit einbezieht. Demzufolge muss eine Lernaufgabe nachfolgende vier Bestandteile aufweisen:
1.Aufgabenstellung
2.Lernmaterialien und Methoden
3.Gesprächsführung und Moderation
4.Diagnose, Rückmeldung und Reflexion
Die ersten beiden Bereiche weisen materialen Charakter auf und finden verstärkt in der Planungsphase statt. Die letzten beiden Bereiche haben personalen Charakter und steuern die Interaktionen zwischen allen am Lernprozess Beteiligten. Das von J. Leisen vorgelegte Aufgabenkonzept knüpft an reformpädagogische Ideen zur Konstruktion von Lernaufgaben an.
Ein weiteres Modell, das die Bedeutung einer Lernaufgabe für motivierendes Lernen herausstellt, ist das TARGET-Modell von C. Arnes (1992). TARGET steht für:
Twie Task oder Aufgabe, die herausfordert, aber nicht unter- oder überfordert
Awie Autonomie, die Selbststeuerung und -wertgefühl fördert
Rwie recognition oder Anerkennung
Gwie Gruppenfokus, gemeinsam geht es besser
Ewie Evaluation, Lernen braucht Feedback
Twie time oder Zeit, es muss genügend Zeit zur Verfügung stehen beim Lernen.
Eine erfolgreiche Lehr-Lern-Strategie baut auf diesen Postulaten auf und hat als Ausgangspunkt eine problemhaltige Lernaufgabe. Diese fördert die Kollaboration, lässt Individualität zu und ist fehlertolerant. Die Fehlertoleranz