Ausbildung der Ausbildenden (E-Book, Neuauflage). Geri Thomann
Grafik zeigt Aspekte auf, welche für unsere Bildungsbiografie bedeutsam sein könnten, wobei ich hier – auch im Gegensatz zum Begriff «Lernen» – unter Bildung nicht (institutionell) geplante und organisierte Prozesse, sondern bewusste und unbewusste, umfassend prägende und gestaltete Erfahrungen und Erlebnisse verstehe.
BILDUNGSGESCHICHTEN IM KONTEXT
In der dreijährigen berufsbegleitenden Ausbildung zum/zur Erwachsenenbildner/in an der aeB Akademie für Erwachsenenbildung arbeiteten Teilnehmende mit Lehrenden zu Beginn der Ausbildung während sechs Tagen in folgenden Schritten an der eigenen Bildungsbiografie, deren Austausch und einem daraus resultierenden persönlichen Lernvertrag als Extrakt und Konglomerat. Sie formulierten Ziele zusätzlich zu den curricularen Ausbildungszielen und dem formalen Ausbildungsvertrag vor allem im Bereich personaler und sozialer Kompetenzen; diese Ziele evaluierten Lernende, Mitlernende und Kursleitende nach einer definierten Ausbildungsphase von Lernenden (u.a. durch einen Reflexionsbericht), was dann wiederum zu neuen Zielformulierungen führte.
Diese Art von Lernen könnte man auch als «Kontraktlernen» (vgl. Füglister 1997, S. 207) bezeichnen.
Schritte zur Erarbeitung der Bildungsbiografie
1.Erinnern an prägende Erfahrungen, Erlebnisse, Menschen, Orte und Institutionen
2.Individuelles Vorbereiten auf mündliche Präsentation der Biografie
3.Mündliches Präsentieren in Kleingruppen
4.Schreiben der Bildungsbiografie
5.Analysieren der Bildungsbiografie in Kleingruppe (Erkenntnisse ableiten)
6.Lernen in Institutionen – Reflexion
7.Erfassen der persönlichen subjektiven Lernkonzeption
8.Erstellen des Lernvertrags für das persönliche Lernen in der Ausbildung
9.Einführung ins Lerntagebuch
10.Verknüpfen der Bildungsbiografie mit psychologischen, soziologischen und didaktischen Erkenntnissen im Verlaufe der Ausbildung
Beispiel eines persönlichen Lernvertrages einer Studierenden eines aeB-Diplomkurses in Erwachsenenbildung:
Lernkonzeption
●Ich lerne, sobald die Richtung oder das Thema genügend klar definiert ist und ich – um den Überblick zu behalten – meine Sicht der Dinge nach meinem Dafürhalten verbessern und erweitern kann.
●Ich lerne, indem ich Neues mit meinem bestehenden Denken und meinen Erfahrungen verknüpfe. Gelingt dies nicht, löst dies oft Verwirrung oder gar Krisen aus.
●Bestehendes und zu erarbeitendes Wissen/Können anderen weiter zu vermitteln, motiviert mich sehr. In diesem Prozess lerne ich selber sogar mehr als die «Empfänger».
●Ohne realistische Zielvorgaben meinerseits (zur Verfügung stehende Zeit, Stofftiefe/Fertigkeit, die erreicht werden soll) besteht die Gefahr, dass ich mich in Details verliere oder die Lernarbeit vor mich hin schiebe.
●Erfolg motiviert mich stark.
Lernziele
Entwicklung meiner personalen Kompetenz
●Bei Meinungsdifferenzen will ich die Herausforderung annehmen, die Position des Gegenübers sachlich wahrzunehmen und meine eigene Position ebenso sachlich darzulegen.
●Betrifft mich eine bestimmte Situation emotional, will ich dies in angemessener Weise innerhalb der Gruppe und gegenüber Einzelnen kommunizieren.
Entwicklung meiner sozialen Kompetenz
●Ich will in der Lerngruppe rasch in eine «Mitkämpfer»-Rolle gelangen und transparent punktuelle Führungsverantwortung übernehmen, ohne dabei dominant zu wirken; d. h., mein Verhalten soll stets die Zusammenarbeit fördern und Beiträge anderer zum Tragen bringen.
Lernmethoden
●Indem ich für mich konkrete Lernzielkontrollen durchführe und sowohl von der Lerngruppe als auch von ausgewählten Mitlernenden ein konkretes Feedback verlange, schaffe ich Klarheit über meinen Lernfortschritt.
●Für grössere Lerneinheiten will ich mir einen Lernplan erarbeiten und überprüfbare Zwischenziele formulieren.
●Wenn ich Informationen vermittle, soll dies kurz, klar und prägnant geschehen. Wann immer möglich, will ich meine Aussagen mit visuellen Mitteln unterstützen.
●Im eigenen Berufsfeld will ich ein grösseres Lernprojekt realisieren (z. B. ein Ausbildungs- oder Weiterbildungskonzept).
Die Grundlagen der biografischen Methode entstammen einer Lebensphilosophie, die anfangs des 20. Jahrhunderts «der Vernunft» «das Leben» entgegengestellt hatte. Die Erwachsenenbildung strebte damit die Rekonstruktion sozialer und politischer Wirklichkeit aus Sicht des Individuums an.
Im austauschenden Nachvollzug der Biografien anderer spiegelt sich gemäss diesem Konzept stets auch die eigene Erfahrung. Erinnerungen sind persönliche Mythen, die sich in Lebensgeschichten äussern. Die Verbalisierung dieser Geschichten durch Erzählen oder Verschriftlichen ordnet die Erinnerungen und löst in einem Gestaltungsakt reflexive Prozesse aus. Dafür braucht es selbstverständlich interessierte und aktive Zuhörer/innen und Leser/innen.
Im Zuge der aufkommenden Kognitionspsychologie wurde bildungsbiografische Arbeit zusehends von metakognitiven Modellen abgelöst, die mehr das individuelle Lernen als die Bildung im Kontext der Gesellschaft fokussieren.
Trotzdem scheint mir der bildungsbiografische Zugang nach wie vor gültig und relevant angesichts der Zunahme gesellschaftlich bedingter individueller Risikolagen, etwa bei Statuswechseln als sogenannte «critical life events», angesichts der grossen Verschiedenheit Lernender und der sich schnell verändernden gesellschaftlichen Sozialisationsbedingungen.
Der Umgang mit wachsender Parallelität von unterschiedlichen Lebensmilieus könnte zu einer unserer grossen zukünftigen Herausforderungen werden.
Für Lehrende mit ihren annähernd 15 000 Stunden Unterrichtserfahrung als Schüler/innen (ohne Studienzeit) ist es meiner Ansicht nach unerlässlich, die institutionelle Bildungsbiografie zu bearbeiten (vgl. Forneck 1987, S. 100).
Ich mag mich gut an die Erkenntnisse und Erfahrungen einer äusserst altersheterogenen Biografiegruppe innerhalb eines Ausbildungsganges erinnern, in welcher sich durch die erzählten und geschriebenen Geschichten (von «Kindheit im 2.Weltkrieg» über «68-er-Erfahrungen» bis zum «lebensästhetischen Individualismus der 90-er Jahre») individuelle Lebensbedingungen mit historischen Bezügen mischten und einzelne Menschen damit sozusagen zu wandelnden Zeitdokumenten wurden.
Am stärksten zeigte sich dieses Phänomen anhand des Vergleichs von weiblichen Biografien.
Die diesbezügliche Auseinandersetzung der Kursteilnehmer/innen hat gemäss ihren eigenen Aussagen ihren Horizont und ihr Verständnis für menschliche Geschichten in ihrer historisch-politischen Dimension erweitert.
Freilich braucht biografische Arbeit Zeit, die in schnell abrufbaren Ausbildungsmodulen eher fehlt.
Innerhalb neuerer didaktischer Ansätze (z. B. der subjektiven Didaktik nach Kösel, 1997) taucht der Begriff «biographische Selbstreflexion» wieder als Möglichkeit auf, «die eigenen Realitätstheorien kennenzulernen» (Kösel 1997, S. 273).
«Ich untersuche also, wie ich den Lehrstoff selbst konstruiere, welche Muster in mir meine Wahrnehmung steuern und welche Konstruktionen und Beschreibungen von Erkenntnis und im Vergleich zu Lernenden und auch zu anderen Lehrenden ich anfertige» (Kösel 1997, S. 273).
Dieser Zugang erinnert an metagkognitive Modelle, an Senges Definition der «mentalen Modelle» oder das Konzept subjektiver Theorien