Der holistische Mensch. Johannes Huber
alle unzähligen Bestandteile aufgelistet werden, die für die unterschiedlichsten Aufgaben zuständig sind. Die Spermien brauchen Energie, ein Navigationssystem, fremde Spermien sollen nach Möglichkeit ausgeschaltet werden. Und die eigenen Spermien müssen natürlich geschützt werden, gegen Krankheitserreger und Fressfeinde, denen sie begegnen könnten, aber auch gegen die Abwehrkräfte der Frau.
Da ist eine magische Mischung unterwegs. Magie, was für ein großes Wort für die kleinen Dinger, höre ich es von den hinteren Rängen unseres Ich-Theaters raunen. Aber ich bleibe dabei. Was diese Proteine bewirken, ist tatsächlich Magie. Denn mit ihnen bereitet der Mann die Frau auf die Fortpflanzung und letzten Endes auf das gemeinsame Kind vor.
Daher ist einmal eine gute Portion von Glückshormonen dabei, zum Beispiel Endorphin und Oxytocin. Oxytocin ist auch als Kuschel- und Treuehormon bekannt, wir werden darauf noch zu sprechen kommen. Endorphin ist ein körpereigenes Opiat. Es fehlen natürlich auch die Pheromone nicht, also die Duftstoffe, die der Körper in Liebesbereitschaft gleichsam aus allen Poren aussondert, um attraktiv zu sein.
Außerdem haben wir gesagt, dass das Immunsystem der Frau ausgetrickst werden muss, damit es die Spermien nicht zerstört. Die weißen Blutkörperchen müssen abgelenkt werden. Dafür sind Stoffe wie Prostaglandin, Spermidin und Spermin zuständig. Spermin ist nebenbei gesagt der Stoff, der für den Geruch des Spermas verantwortlich ist. Und auf das Spermidin werden wir im dritten Akt ausführlich zu sprechen kommen. Unzählige andere Stoffe, darunter auch Opiate, sind dazu da, das Immunsystem der Frau herunterzufahren. Aber ganz ausgeschaltet werden soll es auch nicht, das wäre gefährlich, es muss an das des Mannes angepasst werden. Dafür werden im Sperma von männlicher Seite verschiedene Stoffe wie zum Beispiel Adrenalin mitgeschickt, aber vor allem eigene Abwehrkräfte, eigene Immunfaktoren.
Das ist eine Nachricht, die sich nicht so leicht verdauen lässt. Vor allem für die Frau. Macht sie die Natur etwa zur Blaupause des Mannes? Der Gedanke ist unangenehm, wenn nicht unheimlich.
Schauen wir uns die Gründe an.
Durch die Ejakulation bekommt die Frau quasi eine Infusion. Es dringt Flüssigkeit in ihren Körper ein. Normalerweise ist so etwas für den Organismus ein Grund, Alarm zu schlagen. Ein körperfremder Stoff bahnt sich seinen Weg ins Innere. Wer weiß, was da alles mit hereingeschwemmt wird. Und schon blinken die Warnleuchten, und die Sirenen heulen, um die Eindringlinge schnellstens wieder loszuwerden. Normalerweise.
Passierte das bei jedem Geschlechtsakt, wäre das nicht nur ausgesprochen unbequem, es hätte unseren Fortbestand wohl verhindert. Das Ejakulat dient der Fortpflanzung, es darf nicht abgestoßen werden wie ein Parasit oder Krankheitserreger. Es muss eine Sondererlaubnis bekommen. Eine Art Passierschein, der zur Zeugung notwendig ist und die Pforten in den Organismus öffnet.
Gleich beim Eintritt ins weibliche Territorium weisen die männlichen Besucher diesen Passierschein vor. Der besteht unter anderem aus den Abwehrkräften, den Immunfaktoren des Mannes. Diese Immunfaktoren drängen sofort in die dendritischen Zellen der Frau, die für das Immunsystem tätig sind und rennen von dort aus zu den Lymphknoten weiter.
Die schauen sich das an und entschlüsseln die Botschaft an das weibliche Immunsystem. Gegen diesen Eindringling keine Feindseligkeiten. Hier sind die Codes, mit denen seine Abwehrkräfte arbeiten, die übernehmen wir jetzt.
Da die Samenflüssigkeit alles tut, um ihre Samen zu beschützen, beinhaltet sie auch viele antibakterielle, antimykotische und antivirale Stoffe, zum Beispiel Laktoferrin und Zytokin. Die beiden sind sonst auch für Zellteilung und Regulierung der Zellspezialisierung zuständig. In unserem Fall der körperlichen Liebe schützen sie neben den Spermien auch die Frau.
Über den Muttermund geht es dann für alle Bestandteile weiter. Die Operation Fortpflanzung ist angelaufen.
Ein hochgenialer Mechanismus.
Es sind also nicht nur Spermien, die da aus Jux und Tollerei hineingeschossen werden. Das ist nicht nur ein erfreulicher Geschlechtsverkehr. Es ist fast eine Parabiose. Die beiden Organismen sind zwar nicht miteinander verwachsen, aber sie vereinigen sich, und damit sind sie verschränkt.
Nur, warum genügt nicht schon der Passierschein? Wozu muss sich die Frau auch noch zur Blaupause ummodeln?
Die Antwort hat etwas Epochales. Der Mann deponiert mit der Ejakulation seine DNA in den Schleimhäuten der Frau, damit sein Sperma von ihr akzeptiert wird. Denn dieses Sperma ist nichts anderes als ein möglicher halber Embryo.
Die Programmierung, die das Immunprofil der Frau verändert, bereitet sie auf das Einnisten des neuen Lebens vor wie auf ein Geschenk. Das ist etwas anderes, als sich einen Splitter einzuziehen. Ein Splitter ist kein Geschenk, er bohrt sich seinen Weg, ohne eingeladen worden zu sein. Da versteht das Immunsystem keinen Spaß und ist sofort in Aktion. Beim Sperma hält es sich zurück, obwohl es genauso ein Fremdkörper ist, der zu hundert Prozent nicht von der Frau stammt.
Schaut man sich an, was sich daraufhin alles im weiblichen Körper tut, schreien Vernunft und Gefühle wild durcheinander. Wenn der Verstand die Informationen verarbeitet, findet er den Plan der Natur völlig logisch.
Anders die Psyche. Blaupause. Umprogrammierung. Neues Immunprofil. Was muss man als Frau nicht noch alles über sich ergehen lassen? Genügt es nicht, die Umwälzungen auf sich nehmen zu müssen, die die Schwangerschaft erfordert? Genügt es nicht, für den schmerzhaften Part der Reproduktion zuständig zu sein? Muss man vorher auch noch so umgekrempelt werden?
Bedeutet das alles nicht eigentlich, dass die Frau nicht sie selbst bleiben darf? So ziemlich alle Frauen, mit denen ich über diese neue Entdeckung der Wissenschaft rede, sind zumindest entsetzt, die meisten schockiert. Wäre ich kein Mediziner, ginge es mir nicht anders.
Als Mediziner kann ich auf ein unfassbar durchdachtes Ganzes verweisen. Ein Zusammenspiel zweier verschiedener Organismen, die nur gemeinsam fähig sind, sich zu vermehren. Nur miteinander gelingt die Reproduktion. Da ist kein Organismus besser als der andere, weil keiner ohne den anderen handlungsfähig wäre. Sie ergänzen sich in einer Perfektion, wie sie nur die Evolution zuwege bringt.
Und, was nicht unter den Tisch gekehrt werden darf: Auch für das Glück und die Freude und die Liebe braucht man zwei.
Der Mann tut sich auf den ersten Blick nur in seiner evolutionären Ausrichtung leichter. Er hat den Auftrag, seine Gene zu streuen, so viele Kinder zu zeugen wie nur möglich. Darauf ist er gepolt. Er sieht eine Frau, er riecht die Geschlechtsreife, er möchte zur Sache kommen. Allerdings versucht nicht nur das sechste Gebot, sondern auch die höher entwickelte Natur ihn zu domestizieren. Das Oxytocin ist zum Beispiel so ein Domestizierungshormon.
Es ist natürlich die Frage, inwieweit Statistiken von Dating-Seiten über die gesamte Bevölkerung aussagekräftig sind, die Zahlen einer Münchner Studie sind jedenfalls interessant. Dabei wurden die Daten von 10.000 Benutzerinnen und Benutzern von Partner-Vermittlungsseiten im Internet ausgewertet.
Von den untersuchten Männern waren rund 40 Prozent auf Seiten unterwegs, die unverbindlichen Sex vermitteln. Von den untersuchten Frauen waren es nur rund 19 Prozent. Umgekehrt waren 60 Prozent männlicher Online-Dater auf Singlebörsen oder Partnervermittlungen unterwegs. Von den Frauen waren es 81 Prozent.
So simpel wie bei ihm ist die Sache bei ihr also nicht. Wenn sich die Frau mit einem Mann einlässt, und dabei kein Kondom verwendet wird, lässt sie sich von ihm verändern.
In der modernen Gesellschaft hat man von Einschränkungen genug. Seit Emanzipation und Pille schienen Frauen doch einen hohen Grad an Selbstbestimmung gewonnen zu haben.
Und jetzt das: Überleg dir, mit wem du ins Bett steigst. Ohne Kondom drohen nicht nur Krankheiten, sondern auch noch eine Umprogrammierung durch die männliche DNA.
Da die Umprogrammierung das Immunsystem betrifft, ist die Frau anfälliger für Viren oder Allergien. Vor allem die viel besprochenen Humanen Papillomviren, man kennt sie unter dem Kürzel HPV, übertragen sich mit höherer Chance.
Sex ist die intimste Kommunikation der Welt. Ist ein Mann sehr kommunikativ, früher hätte man gesagt: ein Hallodri, öffnet die Frau ihm durch die Immunanpassung