Der holistische Mensch. Johannes Huber

Der holistische Mensch - Johannes Huber


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Beziehungen ist, braucht es einen Kitt, der nicht so leicht abgeht. Das Oxytocin wurde zum Bindungshormon.

      Die Neurone, die es dazu bildet, verschränken die beiden Partner. Sie bekommen ein Naheverhältnis, sie fassen Zutrauen. Da steckt nichts Mystisches dahinter, sondern Neurogenese und wunderbarer Holismus.

      Solidarität und Gesichtserkenntnis. Darauf hat sich die Schulmedizin konzentriert, um herauszufinden, wie genau das Oxytocin in die Neurogenese eingreift. Ein Mechanismus scheint dabei besonders wichtig zu sein: Im Gehirn wird normalerweise vieles blockiert, was der Regeneration dient.

      Im ersten Moment hält man das für absurd. Regeneration zu verhindern, kann nicht im Sinn der Natur sein. Etwas weitergedacht, sind Hemmungen allerdings extrem wichtig. Ohne sie würden sich überall und wie wild neue Neurone bilden, und mit neuen Neuronen würden unweigerlich neue Bewusstseinsinhalte entstehen.

      Auch nicht schlimm, könnten wir jetzt meinen, und wir hätten schon wieder zu kurz gedacht. Mit neuen Nervenzellen würde sich nämlich auch der Bewusstseinszustand dauernd ändern. Mit ein bisschen Fantasie kann man sich gut vorstellen, wie einen das durchschütteln würde. Deswegen ist das Hirn auf diesem Gebiet stark eingeschränkt und kann sich nicht so hemmungslos erneuern wie ein Muskel, ein Knochen oder die Wirbelsäule nach einer Querschnittslähmung.

      Neue Therapien versuchen, diese Hemmungen aufzuheben, falls aus welchem Grund auch immer eine Regeneration des Gehirns vonnöten ist. Zum Beispiel mit Oxytocin. Denn das Hormon ist in der Lage, die Bremsen zu lockern.

      Oxytocin ist also ein Hemmungslöser, und das ist nicht nur im medizinischen Sinn zu verstehen. Oxytocin enthemmt generell. Im positiven Sinn, manchmal aber auch im negativen. Deswegen nannte es der Neuroökonom Paul Zak auch »Moralmolekül«.

      Es gab da ein paar verblüffende Versuche, die weit über die Belange der Fortpflanzung hinausgehen.

      In Zürich verabreichte der Verhaltensökonom Ernst Fehr mit dem Oxytocin-Experten Markus Heinrichs Testpersonen ein paar Spritzer des Hormons über ein Nasenspray. Es ging ihm darum, die Vertrauensseligkeit im Hinblick auf die Risikobereitschaft auszuloten. In einem vorgetäuschten Szenario mit einem ebenso vorgetäuschten Banker sollten die Probanden Geld in eine Transaktion investieren. Je nachdem, wie wagemutig sie waren, konnten sie entweder ihr Geld samt Profit zurückbekommen, oder der Banker behielt Kapital samt Gewinn ein. Fehr wollte wissen, inwieweit das Oxytocin das Vertrauen selbst zu Bankern erhöhte, die üblicherweise nicht als Heilige betrachtet werden.

      Das Ergebnis lässt sich schon riechen: Die Testpersonen mit dem Oxytocin in der Nase riskierten größere Summen als die Placebo-Gruppe.

      Interessant war, dass das Hormon ausschließlich auf das Vertrauen Einfluss nahm und nicht auf die Risikofreudigkeit. Bei derselben Transaktion mit einem herzlosen Computer investierten die Versuchspersonen nichts oder weniger. Das Oxytocin wirkt nur in der Interaktion mit einem Menschen, und sei es ein Banker.

      Auch bei Mediationen wurde der Hormon-Spray eingesetzt, und mit einigem Erfolg. Denn während das Oxytocin das Vertrauen vergrößert, senkt es gleichzeitig den Spiegel des Stresshormons Cortisol. Mehr Verständnis, weniger Stress. Ideale Voraussetzungen, um einander wieder näherzukommen. Insbesondere, wenn aus zwei drei werden.

      Der Dritte im Familienbund kommt derart unreif auf die Welt, dass die Bindung zwischen den Eltern existenziell ist. Das Baby braucht Nahrung, Schutz, Pflege, Zuneigung, Aufmerksamkeit, Förderung, Zärtlichkeit, und die Liste könnte noch ein paar Seiten weitergehen. Wir sind keine Pferde, die nach der Geburt schon aufstehen und herumlaufen.

      Beim Homo sapiens dauert es, bis das Kind flügge ist. Dem Plan der Natur nach sollten beide Elternteile die gesamte Brutpflegezeit über für das Kind da sein. Offenbar ahnte die Natur, dass Mann und Frau nicht automatisch über so lange Zeit zusammenpassen würden, und steuert das Bindungshormon auch abseits des Sexualakts bei.

      In Wahrheit beginnt es mit einem tiefen Blick. Der genügt als erste Kommunikation, und schon geht es los. Wenn sich Liebespaare in die Augen schauen, steigt der Oxytocin-Spiegel.

      Dieser Mechanismus ist in der Natur derart zementiert, dass sich dasselbe sogar zwischen Mensch und Hund abspielt. Schauen Mensch und Hund einander tief in die Augen, setzt das in beiden Oxytocin frei, und irgendwann wird der eine für den anderen als Gefährte alternativlos.

      Alles Schöne hat aber auch seine Schattenseiten. So hat etwa Carsten De Dreu die Frage aufgeworfen, ob das Oxytocin neben seiner Tätigkeit als »Moralhormon« nicht zugleich im Auftrag des Gegenteils der Moral unterwegs ist. Es hebt nämlich das Vertrauen und die Ergebenheit vor allem der eigenen Gruppe gegenüber. Das könnte umgekehrt zu einer ähnlichen Wirkung führen, die auch das Vasopressin hat. Zu einer Feindseligkeit gegen alle möglichen Eindringlinge. Fremdenhass und Neid könnten also auch mit dem Oxytocin assoziiert sein.

      Am höchsten steigt der Oxytocinspiegel im Menschen trotzdem beim Geschlechtsverkehr. Lange Zeit war das nur eine Hypothese, weil die Ausschüttung in der Hitze des Liebesaktes schwer zu überprüfen ist. Auch danach bleibt nicht sonderlich viel Gelegenheit. Oxytocin hat nur eine kurze Halbwertszeit von drei Minuten. Will man messen, wie hoch der Spiegel gerade ist, muss man sich tummeln.

      Wolfgang Knogler und meiner Gruppe ist es gelungen. Wir haben das Oxytocin an unserer Klinik an seinem Höchststand gemessen. Innerhalb von 180 Sekunden nach dem Orgasmus haben wir Blut abgenommen, es zentrifugiert und sofort tiefgefroren. Vor 15 Jahren ging das um die Welt.

      So eine Dosis triggert dann im Körper eine wahre Kaskade der positiven Gefühle und gesunder Mechanismen. Der Geschlechtsverkehr kann sogar den Eisprung auslösen. Die Frau hat mit einem Mann einen Orgasmus und wird schwanger. Hört man immer wieder.

      Was man weithin aber noch nicht gehört hat:

      Das Oxytocin ist nicht nur in der Lage, neue Neurone zu bilden, sondern auch das Herz zu stärken, zu regenerieren und neues Muskelgewebe zu bauen. Das Hormon ist also auch eine Art Herzmittel.

      In jüngster Zeit gab es schon Versuche, ein krankes Herz mit pharmazeutischer Anwendung von Oxytocin zu behandeln.

      Überhaupt forscht die Medizin auf diesem Gebiet nach Kräften. Bevor etwas publiziert wird, wird schon das Patent angemeldet. Es ist verblüffend, wie viele Oxytocin-Patente es in der Kardiologie gibt.

      Um dem Herzen unter die Arterien zu greifen, hat das Oxytocin noch einen eifrigen Helfer. Das Stickmonoxid, das die Blutgefäße erweitert. Es wird auch freigesetzt, um die Erektion auszulösen.

      Kann der Körper es selbst nicht mehr herstellen, setzt die Medizin Nitroglycerin ein, das das Stickmonoxid im Körper abgibt.

      So nebenbei ist der Forschung auf diesem Gebiet übrigens etwas Seltsames passiert. Ein Biochemiker war vor zwanzig Jahren auf der Suche nach einem Mittel, das mit einer Nitroverbindung die Blutgefäße erweitern könnte. Wenn die Gefäße auseinandergehen, so seine Überlegung, müsste sich gleichzeitig auch der Blutdruck senken lassen. Er behielt Recht. Tatsächlich sank der Blutdruck. Mit dem Wissen ging man in klinische Studien und wollte das Präparat schon anmelden, da kamen unerwartete Rückmeldungen von den Testpersonen. Männer, die das Mittel genommen hatten, bekamen zum niedrigeren Blutdruck eine Dauererektion. Das war die Geburtsstunde von Viagra.

      Auch der Geschlechtsverkehr senkt den Blutdruck.

      Dritter Akt: die Verjüngung.

      Es ist ein Ein-Personen-Stück, sein Hauptdarsteller: das Spermidin.

      Kurzinhalt: Um sich für die Reproduktion jung und fit zu halten, ist der Körper in der Lage, sich selbst ab und zu aufzuessen.

      Nach dem Liebesakt schauen Menschen aus, als hätte sie die Natur gerade frisch gestrichen. In der Schwangerschaft wirken Frauen, als wären sie von innen her aufgestrahlt. Die Reproduktion ist besser als jeder Schönheitssalon.

      Die schnöde äußerliche Schönheit ist dabei allerdings nicht die einzige Absicht der Natur gewesen. Schönheit ist ein Magnet, der den einen Partner für den anderen attraktiv macht, das schon. Aber das allein genügt der Natur nicht. So eitel ist sie nicht. Sie hat immer einen praktischen Grund für alles,


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