Vom seidenen Faden zum gemeinsamen Strang. Eberhard Schmidt

Vom seidenen Faden zum gemeinsamen Strang - Eberhard Schmidt


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»Unter meinen Mitarbeitern sind Spannungen so gut wie ausgeräumt. Es steht Ihnen doch frei, das auch einzuführen.«

      Klaus Färber verdrehte nur die Augen bei diesen Worten. Ich staunte. Das, was Herr Meckenrath da aufzählte, war mir noch gar nicht aufgefallen. Ich nahm mir vor, das bei Gelegenheit mal direkt im Büro anzuschauen und dann auch gebührend zu würdigen.

      »Solche Diskussionen und Rückmeldungen sind wichtig«, ermunterte Steffen Karneth die Anwesenden. »Aber ich möchte Ihnen eine Methode vorstellen, mit der wir das auf eine geregelte und sehr wertschätzende Art und Weise tun: die Feedbackrunde. Dafür gibt es feste Regeln.« Herr Karneth griff nach seinem Stift und begann an das Whiteboard zu schreiben. »Sie verfahren in dieser Reihenfolge:

      1 Was schätze ich an Ihnen als Mensch und Kollege?

      2 Wie erlebe ich die Zusammenarbeit mit Ihnen?

      3 Was brauche/erwarte ich von Ihnen in Zukunft?

      Eine unangenehme Pause entstand. Was nun? Wer sollte anfangen? Als die Stille unerträglich wurde, sagte Steffen Karneth nur: »Einer von Ihnen muss einladen.«

      »Dann fange ich mal an.« Johannes Barth erhob sich. »Ich bitte Sie, Herr Färber, um Feedback.«

      Heute denke ich, dass mit diesem Satz eine grundlegende Wende eingeleitet wurde. Denn was folgte, waren zwei unbeschreibliche Stunden, die ich so mit meinen Mitarbeitern noch nie erlebt hatte. Statt sich wie bisher mit Vorwürfen und Klagen zu überhäufen, äußerten manche von ihnen vermutlich das erste Mal in ihrer Mitarbeiterlaufbahn wertschätzende Worte über Kollegen. Und auch mir gingen die Augen auf. Hatte ich nicht selbst immer nur die Fehler und Unzulänglichkeiten bei allen wahrgenommen? Jetzt zeigten mir die Teammitglieder, welche positiven Seiten sie sehen konnten. Da schätzten Klaus Färber, Wenke Schneider und Ali Ben Nasul den Antreiber Johannes Barth, weil er so auf Qualität bedacht war. Und Jasper Kamensieg, der noch nie ein gutes Wort über Klaus Färber hatte verlauten lassen, sagte ihm, dass er seine Ordnungsliebe bewundere. Färber war so berührt von diesem Lob, dass dem knurrigen Mann die Tränen in den Augen standen. Er wischte sie verstohlen weg, aber mir und wohl einigen anderen auch, war es nicht verborgen geblieben.

      »Ich schätze an Ihnen, dass Sie so offen und ehrlich Ihre Meinung sagen«, war das allgemeine Credo zu Klaus Färber. Urs Meckenrath wurde wegen seines Humors und seiner lockeren Art geschätzt und Ali Ben Nasul wegen seiner Kompetenz am Bau, wo er immer den Überblick behielt. Auch er schien nicht vorbereitet auf Lob.

      Als Letzter war dieser mit seinem Feedback an Klaus Färber an der Reihe. Ich sah, wie er allen Mut zusammennahm und ihm schließlich sagte: »Ich wünsche mir, dass Sie mich als Deutschen wahrnehmen. Ich bin hier geboren, auch wenn ich arabische Eltern und eine dunklere Hautfarbe als Sie habe. Ich wünsche mir, dass Sie mir den gleichen Respekt entgegenbringen wie den anderen Kollegen.« Wieder herrschte einen Moment lang Stille.

      Klaus Färber schaute auf seine Unterlagen auf dem Tisch und reagierte fast tonlos mit einem knappen »Danke«.

      War allein diese Feedbackrunde schon für die meisten ein Feuerwerk an Offenbarungen, setzte die nun folgende Runde der Rückmeldungen noch eine Schippe drauf. Jetzt sollten alle der Reihe nach wiedergeben, was sie verstanden hatten, also sowohl die wertschätzenden Äußerungen als auch die Wünsche der Kollegen an ihre Person. Ohne dass es jemand von ihnen verlangt hätte, formten manche die an sie gerichteten Wünsche in eigene Ansprüche an sich selbst um.

      »Ich will versuchen, offener auf andere zuzugehen und transparenter zu werden«, sagte Wenke Schneider.

      »Ich habe verstanden, dass die meisten meinen Humor schätzen«, sagte Urs Meckenrath.

      »Können Sie noch wiedergeben, was sich andere von Ihnen wünschen?«, bat ihn Steffen Karneth. Urs Meckenrath schien etwas irritiert und wusste keine Antwort. »Vielleicht kann jemand aushelfen und einen oder mehrere Wünsche an Herrn Meckenrath wiederholen«, bat Herr Karneth die Runde.

      »Mehrere haben gesagt, sie wünschen sich, dass du mehr Aufgaben übernimmst, Urs«, meldete sich Wenke Schneider.

      »Ach ja, stimmt.« Urs Meckenrath nickte.

      »Dann mach ich gleich weiter«, sagte Jasper Kamensieg. »Ich möchte lernen, meine Meinung klarer zu äußern und offener allen gegenüber zu werden.«

      Einzig Klaus Färber formulierte etwas zurückhaltender: »Ich werde daran arbeiten, besser zuzuhören und andere im Gespräch nicht direkt anzugreifen. Ich habe verstanden, dass ich allen Kolleginnen und Kollegen respektvoll begegnen soll.«

      Das letzte Wort hatte Johannes Barth: »Ich möchte mehr Aufgaben delegieren und lernen, die Meinungen anderer einzuholen und zu bedenken, bevor ich entscheide«, sagte er. »Und ich will mich mehr den Argumenten von Frau Jordan und den Kollegen öffnen. Sie haben es verdient.«

      »Vertrauen finden« – diese Worte von ihm ließen mir keine Ruhe. Sie hatten mich irritiert. Ging es denn um Vertrauen? Ging es nicht vielmehr darum, Mittel und Wege zu finden, Fachkräfte zu bekommen, Qualitätsmängel zu beheben, Termintreue wiederherzustellen? Stattdessen hatten die Herren UnternehmensBeatmer im Kick-off, in den Einzelgesprächen und im Workshop unterschiedliche vertrauensbildende Maßnahmen ergriffen, die allesamt dazu führten, dass die Stimmung am Ende fast euphorisch war. Diese Feedbackrunde war aber auch ein geschickter Schachzug. Nicht nur als vertrauensbildende Maßnahme. Denn so wurde sehr deutlich, wo noch Verbesserungspotenzial war, ohne dass auch nur ein kritisches oder gar verletzendes Wort gefallen wäre. Fast unbemerkt war im Laufe des Tages aus dem Haufen keilender Kollegen ein Team geworden, in dem sich jeder Einzelne wertschätzend über die anderen geäußert hatte. Auch über mich. Ich sei freundlich, hilfsbereit und ehrlich, hatten sie gesagt. Aber fast alle wünschten sich, dass ich mehr Zeit für sie hätte, dass ich nicht immer in Eile wäre und nicht so vieles liegen ließe oder Fragen unbeantwortet blieben. Sie wünschten sich, ich möge mehr delegieren. Aber wie


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