Vom seidenen Faden zum gemeinsamen Strang. Eberhard Schmidt
will, wie es sich entwickelt, um zu sehen, ob er sich einbringt, der stelle sich bitte an die gegenüberliegende Abwarten-Wand und wer schon jetzt weiß, dass er nicht daran interessiert ist und sich nicht einbringen wird, der stelle sich bitte an die Pessimistenwand hinten.« Bis auf Klaus Färber, der an der Pessimistenwand stehen blieb, bewegten sich alle zur Optimistenseite.
Statt das Bild, das sich nun bot, zu kommentieren, fragte Steffen Karneth nach. »Warum glauben Sie, Herr Färber, dass weder das Team noch Sie selbst sich in diesem Workshop engagieren werden?«
»Das kann ich Ihnen sagen«, erwiderte Klaus Färber. »Hier hat sich noch nie jemand wirklich engagiert. Ich arbeite seit acht Jahren in diesem Laden, und immer, wenn es darum ging, etwas für die Gruppe oder für eine gemeinsame Sache zu tun, haben sich alle zurückgezogen. Denken Sie nur mal an die Aktion »Ein Baumhaus für die Kita ›Bunte Maus‹«, wandte er sich den Kollegen zu, »da hatte plötzlich keiner mehr Zeit, etwas für die Kinder zu tun. Und mit denen gab es noch nicht einmal Streit oder schlechte Erfahrungen. Warum sollte es hier besser sein, wo im Grunde keiner den anderen leiden kann? Ich habe selbst jedenfalls auch keine große Lust mehr, mich einzubringen.« Er machte eine kurze Pause. »Und schon gar nicht, wenn andere sich derweil auf ihre Gebetsteppiche werfen und auf Allahs Hilfe hoffen«, fügte er dann mit finsterem Blick auf Ali Ben Nasul hinzu. Das waren harte Worte.
Steffen Karneth bedankte sich bei Herrn Färber und würdigte überraschenderweise seine Einschätzung, ohne auf die Beleidigung darin einzugehen: »Es erfordert einigen Mut, sich allein auf diese Seite zu stellen und ehrlich zu seiner Haltung zu bekennen. Was sagen denn die anderen? Wenn Sie sich selbst als engagiert einschätzen, wie erklären Sie sich, dass bei der Einschätzung des gesamten Teams die Mehrzahl von Ihnen an der Abwarten-Wand stand?«
Es folgten mehr oder weniger hilflose Erklärungsversuche, bei denen meine Gedanken abschweiften. Es war ja klar: Jeder hatte eine schlechtere Meinung vom Team als von sich selbst. Ich hatte mich ja selbst bei der ersten Frage an die Abwarten- und bei der zweiten Frage an die Optimistenwand gestellt und kramte jetzt in meinem Kopf nach Gründen. Im Grunde sprach Klaus Färber das aus, was auch ich glaubte: Die hier versammelte Truppe war im Grunde kein Team, sie hatte noch nie an einem Strang gezogen.
Die UnternehmensBeatmer nahmen das zum Anlass für die nächste Übung. Jeder sollte zunächst einmal eine Art Momentaufnahme bei sich vornehmen. Wie geht es mir? So lautete die Frage, die jeder für sich auf einem Zettel beantwortete. Was da an Antworten zusammen kam, passte zum bisherigen Eindruck: Die meisten hatten gar keine klare Antwort auf diese Frage, waren indifferent oder konnten es einfach nicht sagen. Einer fühlte sich unsicher, ein anderer immerhin neugierig. Nur Johannes Barth schrieb, dass er froh sei, dass jetzt endlich was getan werde, um die Probleme in den Griff zu kriegen.
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass dieser Mann nur darauf wartete, dass mir endlich jemand Feuer unterm Hintern machte. Wenn er sich da mal nicht täuschte. Er musste endlich lernen, sich zurückzunehmen und nicht immer nur zu fordern. Schließlich raubte er mir dadurch eine Menge Zeit und Kraft.
»Jeder von Ihnen hat seine eigenen Empfindungen in Bezug auf den Workshop und die Teilnehmer«, beendete Steffen Karneth die entstandene Stille. »Was brauchen Sie oder was muss passieren, damit Sie am Ende sagen können: Der Workshop war ein Erfolg?« Die Antworten kamen zögerlich.
»Ich muss mich am Ende sicherer fühlen als jetzt«, sagte Ali Ben Nasul, unser hypernervöser Bauleiter.
»Ich brauche ehrliche Aussagen meiner Kollegen«, meinte Klaus Färber, »kein Wischiwaschi-Gerede.«
»Ich wünsche mir Klarheit über unsere Engpässe und Ansätze zu ihrer Lösung«, meldete sich Johannes Barth zu Wort.
»Ich weiß es noch nicht«, fuhr Wenke Schneider fort, »vielleicht, wenn wir morgen anders miteinander kommunizieren.« Das wunderte mich nicht. Die Planungsleiterin wirkte zwischen den Handwerkern immer ein wenig zu fein und sprach auch viel gewählter als die teils sehr hemdsärmeligen Kollegen.
»Ich wäre froh, wenn wir alle mal an einem Strang ziehen und uns auf klare Maßnahmen einigen können«, sagte Jasper Kamensieg, unser Einkaufsleiter.
»Was ich brauche? Also ich brauch ein Bier«, schloss Urs Meckenrath den Reigen und hatte damit mal wieder die Lacher auf seiner Seite.
Aber dann wurde es schnell wieder ernst. Fast feierlich verpflichtete sich jeder Einzelne von uns in einem Statement, an der eigenen wie auch an der Teamentwicklung zu arbeiten. Jeder hatte es also vom anderen gehört, es gab keine Ausrede mehr. Nachdem wir uns außerdem auf einige Regeln für den Workshop und auf eine vertrauliche Behandlung aller Angelegenheiten, die zur Sprache kommen sollten, geeinigt hatten, konnte es losgehen. Wir hatten das Ticket für unsere gemeinsame Reise in der Tasche.
3 Inspirierender Sinn
Der Betriebszweck
»Ich denke, wir sind bereit, den nächsten Schritt zugehen«, startete Steffen Karneth die nächste Phase. »Es geht darum, eine Art Leitgedanken zu entwickeln: Warum wir tun, was wir tun. Und mit welchem Anspruch. Welche Ziele wir gemeinsam verfolgen und welche Werte wir uns selbst und anderen gegenüber vertreten. Das bedeutet konkret, dass wir ein Leitbild entwickeln.« Um uns die Arbeit ein wenig zu erleichtern, und wohl auch schon in eine bestimmte Richtung zu lenken, gab er uns ein Grundgerüst mit. »Beim Leitbild orientieren wir uns an diesen vier Koordinaten«, sagte er und wies auf ein weiteres Flipchart (Abbildung 3.1).
Abb. 3.1: Das Unternehmensleitbild
»Dazu zählen:
1 Betriebszweck: Dieser Punkt beantwortet die Frage: Was genau machen wir tagtäglich?
2 Mission: Sie beantwortet die Frage: Warum gibt es uns und was macht uns besonders?
3 Vision: Hier beantworten wir die Frage: Wonach streben wir mit allen unseren Aktivitäten?
4 Werte: Damit beantworten wir die Frage: Für welche Art von Gemeinschaft, Tugenden und Prinzipien stehen wir?
In diesem Koordinatenkreuz ist alles auf die Kundenerfahrung ausgerichtet. Es beschreibt das Spannungsfeld zwischen den eigenen Fähigkeiten und den Ergebnissen, die der Kunde erwarten kann, sowie den Nutzen, den man den Kunden liefert und die Beziehungen, die sich durch eine erfolgreiche Zusammenarbeit ergeben.
Beginnen wir mit Punkt 1, dem Betriebszweck der Firma Jordan. Wie würden Sie den definieren? Den Betriebszweck werden Sie übrigens nur intern zur eigenen Klärung nutzen, der ist nicht zur Kommunikation an die Kunden gedacht. Um Ihnen ein Beispiel zu geben, nehme ich einmal unser eigenes Unternehmen. Für unsere Growth River GmbH lautet der Betriebszweck: ›Wir entwickeln, verkaufen und liefern Change Leadership Werkzeuge für Unternehmensleiter und ihre Führungsteams.‹ Was würden Sie sagen, wie lautet der Betriebszweck für Jordan Seniorenbauten?«
»Wir bauen Altenheime«, antwortete Ali Ben Nasul spontan.
»Sie können doch nicht nur auf das momentane Projekt gucken«, erwiderte Johannes Barth. »In anderen Jahren bauen wir auch Rehakliniken oder Wohnanlagen.«
»Das Wort ›Betriebszweck‹ – die Betonung liegt auf ›Zweck‹ – beinhaltet doch ein ›Wozu‹, sagte Wenke Schneider. »Das heißt, wir müssen mitdenken, dass wir Anlagen bauen, die für alte Menschen gedacht sind.«
»Nein, nein, Herr Karneth hat doch deutlich gesagt, es geht darum, was wir machen. Von ›für wen‹ war nicht die Rede.«
»Ja, aber wir bauen doch nicht für irgendwen. Wir bauen doch ausschließlich Wohnanlagen für Senioren«, schaltete sich Jasper Kamensieg ein.
»Ja, gehört denn das ›für wen‹ zum Betriebszweck?«,