Vom seidenen Faden zum gemeinsamen Strang. Eberhard Schmidt
jetzt für mich da sind.«
»Ach, Chefin«, Johannes Barth seufzte erschöpft, »das ist sicher gut gemeint, danke. Aber viel besser als bei Ihrem Vater ist es jetzt auch nicht. Okay, im Gegensatz zu ihm sagen Sie zwar ›bitte‹ und ›danke‹, aber bei ihm gab es wenigstens klare Ansagen und schnelle Entscheidungen. Er war eben kein Warmduscher.«
Das saß! So sah er mich also? Ich fühlte mich hilflos und alleingelassen. Dachten die anderen Mitarbeiter auch so über mich? Wir waren keinen Schritt weiter als am Anfang unseres Streits.
Am Abend rief ich meine Freundin Susi an. Ich musste unbedingt meine Sorgen loswerden und ihr auch von dem Traum erzählen. Er beschäftigte mich immer noch und auch das, was Johannes Barth dazu gesagt hatte. »Susi, ich weiß echt nicht weiter. So kann es nicht weitergehen«, klagte ich mein Leid. »Was soll ich tun?«
»Warum holst du dir nicht endlich mal Hilfe?«, erwiderte Susi. »Ich meine, professionelle Hilfe!«
»Ich weiß, was du meinst. Und du kennst meine Einstellung zu Unternehmensberatern. Wir haben oft genug darüber gesprochen. Ich will solche Rattenfänger nicht im Hause haben. Unternehmensberater! Allein bei dem Wort empfinde ich schon regelrechten Widerwillen.«
»Tja, dann wünsch' ich dir einen fröhlichen Untergang. Da kannst du dich ja zu Herrn Schlecker gesellen. Von dem heißt es auch, dass er bis zum Schluss keine Berater zulassen wollte.« Susis unverschämte Antwort traf mich wie ein Dolchstoß. Wenigstens von meiner Freundin hatte ich mir mehr Verständnis und Unterstützung erhofft. Ich schwieg verletzt. »Elke«, lenkte sie nach einer Pause ein, »pass auf, ich erzähle dir mal, was bei uns gerade passiert. Wie schon so oft fing sie an, von ihren beiden verfeindeten Abteilungsleiter-Kollegen zu erzählen, die die gesamte Belegschaft tyrannisierten. Ich machte mich schon auf eine weitere Episode gefasst, als sie plötzlich sagte: »Die beiden arbeiten jetzt zusammen an einem Projekt und sind richtig erfolgreich.«
»Und wie ist dieser plötzliche Sinneswandel zustande gekommen?«, erkundigte ich mich reserviert.
»Wir haben vor drei Wochen einen Workshop mit den UnternehmensBeatmern gemacht. Das hat's gebracht. Es musste jeder mit jedem reden. Da sind Sachen auf den Tisch gekommen, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Na ja, das führt jetzt zu weit, dir alles haarklein zu erzählen. Jedenfalls haben sich am Ende viele Streitigkeiten geklärt. Das war wie eine Erlösung. Wir haben erkannt, woran wir als Führungsteam gemeinsam arbeiten müssen, um die Firma nach vorne zu bringen. Und die beiden gehen jetzt zusammen daran, unseren Engpass zu lösen, der uns seit Jahren das Leben schwer macht. Es macht richtig Spaß zu sehen, wie kreativ sie miteinander sein können! Sieht so aus, als hätten die beiden das Kriegsbeil tatsächlich begraben.«
UnternehmensBeatmer! Der seltsame Name hallte in meinen Ohren ebenso wie Susis Geschichte nach. Es fühlte sich ja tatsächlich so an, als bekäme ich nicht mehr genug Sauerstoff, als ginge Jordan Seniorenbauten die Luft aus. War die Firma schon kollabiert, brauchten wir Beatmung? Zum ersten Mal in meinem Leben ließ ich den Gedanken zu, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen. Ob die UnternehmensBeatmer mir und meinem Unternehmen wohl so viel frischen Wind zuführen könnten, dass wir wieder aufatmen und überleben würden? Wieder spürte ich einen kurzen heftigen Stich im Herz.
2 Das Team bricht auf
»Mein Name ist Johannes Barth, ich bin 58 und seit meiner Lehre, also seit über 40 Jahren hier in der Firma. Als Betriebsleiter bin ich stolz darauf, für Jordan Seniorenbauten zu arbeiten, weil …« Johannes stockte einen Moment und suchte nach Worten. »Na ja, seniorengerechte Anlagen werden eben gebraucht«, beendete er seine Vorstellung etwas hilflos. Nach und nach stellten sich meine sechs Führungskräfte den beiden UnternehmensBeatmern, Eb Schmidt und Steffen Karneth, vor: Klaus Färber, 53, Leiter Holz- und Fertigteilebau, Wenke Schneider, 38, Planungsleiterin, Jasper Kamensieg, 42, Einkaufsleiter, Ali Ben Nasul, 50, Bauleiter und Urs Meckenrath, 31, der Marketing- und Verkaufsleiter.
Es war das erste Treffen, das die UnternehmensBeatmer Kick-off nannten und das dem gegenseitigen Kennenlernen diente. Die Vorstellungsrunde hatten sie verknüpft mit der Anforderung, dass jeder einen Grund nennen sollte, warum er stolz war, für Jordan Seniorenbauten zu arbeiten. Doch was die anderen Fünf da anschließend rausbrachten, war auch nicht viel besser. Bei allen nur Gestammel oder sie plapperten einfach nach, was schon gesagt wurde. Das fing ja gut an. Klar, dass diese Aufgabe mir als Inhaberin leichter fiel, aber identifizierte sich denn keiner meiner engsten Mitarbeiter mit dem Unternehmen?
Eb Schmidt schien das anders zu sehen. Er bedankte sich ausdrücklich für die Mühe, die sich jeder bei der Beantwortung der Frage gegeben habe, gerade weil sie wohl nicht so einfach zu beantworten war. Dann stellte er sich selbst vor. »Ich trage in unserem Team den Beinamen ›der Gelassene‹«, begann er. Er war der Ältere der beiden, hatte Maschinenbau studiert und viele Jahre bei Miele gearbeitet, was ihm offensichtlich ein gewisses Wohlwollen bei meinen Führungskräften einbrachte.
Ich schmunzelte insgeheim. Manche aus meiner Führungsriege hatten offenbar Bedenken gehabt, insbesondere gegenüber »Studierten«, wie sie Akademiker manchmal etwas abschätzig nannten, weil sie ihrer Meinung nach die »wahre« Praxis gar nicht kannten und die Arbeitswelt nach Lehrbuch zu verändern suchten. Was aber auch ich nicht wusste und was mich einigermaßen erstaunte, da ich Eb Schmidt als recht konservativ einschätzte: Er hatte Indien bereist und sich ausgiebig mit Meditation befasst. Mit Mitte 40 kündigte er bei Miele, um mit Frau und zwei Kindern in die USA zu ziehen und dort zehn Jahre in einer spirituellen Gemeinschaft zu leben. Gleichzeitig arbeitete er als COO eines weltbekannten Flötenherstellers, machte sich dann als Berater für Zeitmanagement selbstständig und kehrte anschließend nach Deutschland zurück. Das war eine Menge ›Welt-Erfahrung‹ gegenüber einer Riege, die größtenteils aus Handwerkern hier aus der Gegend bestand. Ich war gespannt, wie das bei den Leuten ankommen würde.
Auch Steffen Karneth, der Jüngere, erzählte eine ungewöhnliche Geschichte. Er war in Ostdeutschland aufgewachsen, wo er es zur Meisterschaft in Gewichtheben gebracht hatte. »Ich bin der Flexible in unserer Runde«, stellte er sich vor, »was nicht nur dafür steht, dass ich seit vielen Jahren Yoga praktiziere. Ich gehe gerne ungewöhnliche Wege«, fügte er mit einem Zwinkern hinzu. Steffen Karneth hatte ein Jurastudium abgebrochen und als Kellner und Serviceleiter in verschiedenen Hotels und Restaurants gearbeitet, bis er sein Verkaufstalent entdeckte und bei Cisco Systems in Amsterdam und Frankfurt Karriere machte. Karneth und Schmidt hatten sich 1994 auf einer Indienreise kennengelernt und kurze Zeit später gemeinsam mit ihren Frauen ein Zentrum für eine weltweite spirituelle Bewegung in Köln ins Leben gerufen. Richard Hawkes, den Gründer von Growth River, lernten beide über ein Beratungsprojekt für diese Bewegung kennen. Er inspirierte sie, sich mit seiner Methode selbstständig zu machen und so gründeten die beiden Freunde 2011 Growth River Deutschland und haben seitdem das amerikanische System für den deutschen Markt angepasst und weiterentwickelt.
Diese doch recht persönlichen Vorstellungen der beiden weckten offensichtlich schon eine gewisse Sympathie bei meinen Leuten. Und lag nicht auch ein Funken Hoffnung in ihren Augen, als Steffen Karneth nun den Sinn des Workshops erläuterte?
»Unsere Arbeit zielt darauf, dass alle in einem Führungsteam verbundenen Menschen vertrauensvoll und erfolgreich zusammenwirken. Das hat nicht nur Auswirkungen auf das Team selbst, sondern es ermöglicht, im gesamten Unternehmen eine Kultur zu etablieren, in der Zusammenhänge verständlich werden und eine Verbundenheit aller spürbar wird. Das ist nur möglich, wenn Sie als Führungskräfte den Mut aufbringen, authentisch zu handeln, auf ihre Intuition zu hören, sie selbst zu sein und anderen Wertschätzung entgegenzubringen.« Ein leichtes Räuspern und Hüsteln machte sich bemerkbar.
Steffen Karneth fuhr unbeirrt fort: »Wir verstehen diese vertrauensvolle Verbundenheit in einem Team als Basis für die notwendige kreative Reibung. Die Verschiedenheit aller Charaktere und beruflichen Interessen kann so für alle Prozesse im Unternehmen nutzbar gemacht werden. Und sie schafft neben dem wirtschaftlichen Erfolg eine Zufriedenheit, die sich weit über den Arbeitsalltag hinaus erstreckt.«
›Vertrauensvolle