Vom seidenen Faden zum gemeinsamen Strang. Eberhard Schmidt
betreuten, kam es immer wieder zu phänomenalen Durchbrüchen. Was sind Durchbrüche in diesem Zusammenhang? Es sind Momente tiefer Erfahrungen, in denen die Entwicklung, die zuvor stillzustehen oder gar rückwärtsgewandt zu verlaufen scheint, plötzlich mit neuen, inspirierenden Erlebnissen einhergeht. In denen Menschen sich für andere öffnen und dadurch unmittelbar Mitgefühl, Verständnis und Hilfsbereitschaft ermöglichen. In denen Ängste und Ablehnungen überwunden und von zunehmendem Vertrauen abgelöst werden. In denen jede(r) Einzelne die Erfahrung des Einsseins mit sich, der Welt und eben sogar mit den KollegInnen macht und Entwicklung hin zu einer wahren, förderlichen Gemeinschaft möglich wird. Diese Momente führen immer zu einer größeren persönlichen Reife und zu einer erfolgreicheren und freudigeren Zusammenarbeit in Unternehmen, die sich nicht zuletzt auch in wirtschaftlichem Erfolg messen lässt.
Wir schätzen uns glücklich, solche Entwicklungen initiieren und begleiten zu dürfen. Mit unserem ganz besonderen Ansatz, der sich aus dem amerikanischen Growth-River-System entwickelt hat, ermöglichen wir wirtschaftliche Erfolge, von denen die Unternehmen vorher nicht zu träumen wagten. Sie tun dies mit Teams, die diesen Namen wirklich verdienen, für die – und wir erlauben uns, hier im Englischen zu bleiben – Trustfull Expansion to Advance Matters (vertrauensvolles Zusammenwachsen zur Förderung der Sache) die Grundlage ihrer Arbeit bildet. Der systematische Ansatz von Growth River wurde in den USA mit großem Erfolg erprobt und ist in Deutschland noch recht neu. Wir wollen ihn unseren LeserInnen in diesem Buch näherbringen. Da jede Teamentwicklung aber eben nicht nur eine gemeinschaftliche, sondern immer auch eine sehr persönliche ist, haben wir uns entschlossen, die gesammelten Erfahrungen in eine Geschichte zu packen – wohlwissend, dass Geschichten sich weit besser in Herz und Hirn bohren, als es jede noch so ausgeklügelte und locker präsentierte Theorie kann. Auch die wird mitgeliefert, damit die Zusammenhänge deutlich werden, aber die Auswirkungen sind am besten in ganz persönlichen Gedanken und Gefühlen nachzuerleben. Diese sind fiktiven Personen zugeschrieben und dennoch echt. Zum Schutz unserer Kunden haben wir Namen, Orte, Branche und Berufe geändert, aber ihre Entwicklungen haben wir so oder so ähnlich etliche Male miterlebt und verbürgen uns für ihre Wahrheit.
Wir erleben unsere Arbeit als ein Zusammenwirken von Menschen, das über die unmittelbaren Auswirkungen für das jeweilige Führungsteam hinaus eine Unternehmenskultur etabliert, in der Zusammenhänge sichtbar und Verbundenheit spürbar werden. Wenn Führungskräfte den Mut aufbringen, authentisch zu sein und zu handeln, anderen Wertschätzung entgegenbringen und keine Angst vor der Erkenntnis haben, dass sie selbst möglicherweise Teil des Problems sind, dann sind nachhaltige Veränderungen zum Besseren unvermeidbar. Die vertrauensvolle Verbundenheit in einem Team, das Verschiedenheit als Basis für kreative Reibung versteht und für alle Prozesse nutzbar macht, schafft neben dem wirtschaftlichen Erfolg eine Zufriedenheit, die sich weit über den Arbeitsalltag hinaus erstreckt. Dies wollen wir in diesem Buch erlebbar machen.
Note
1 1 Felber, Christian 2015.
1 Die Kündigung
»Chefin, haben Sie inzwischen entschieden, welchen Anbieter wir nehmen?« Jasper Kamensieg scharrte ungeduldig mit den Füßen. »Ich muss dringend bestellen. Färber macht mir schon seit Tagen die Hölle heiß wegen der fehlenden Werkzeuge.«
»Okay, ich schau mir das gleich noch mal …« Weiter kam ich nicht. Da platzte Bodo Beyer herein: »Sie müssen sofort mit Kohlbrenner sprechen! Der hat keine Leute zur Reha geschickt. Wenn die heute nicht mit dem Fundament fertig werden, können wir unsere Wandelemente vergessen.«
Das Telefon klingelte ununterbrochen und machte mich nervös. Wo war denn nur Frau von der Grube? Warum ging sie nicht ans Telefon? »Moment«, sagte ich zu Bodo Beyer und ging an den Apparat. »Jordan Seniorenbauten«, hatte ich mich kaum gemeldet, da schoss ein Schwall von Vorwürfen durch den Hörer. Ausgerechnet vom Abteilungsleiter Bau des Erzbistums Köln, auf den wir große Hoffnungen für Folgeaufträge in der Region setzten. Ich sank auf den Bürostuhl, hörte nur noch die erboste Stimme am anderen Ende, ohne wahrzunehmen, was sie denn sagte, sah Bodo Beyer mit den Armen fuchteln und Jasper Kamensieg bedrohlich nahekommen.
»Was ist denn nun?«, fauchte er mir ins Gesicht.
Als ich den beiden Männern vor mir keine Antwort mehr gab, verschwanden sie fluchend aus dem Büro. Ich versuchte, den Mann am anderen Ende der Leitung zu beruhigen, und versicherte ihm, dass ich mich um die Schäden kümmern würde. Als ich endlich auflegen konnte, musste ich erst einmal tief durchatmen. Vor mir lag ein Stapel mit Briefen, Verträgen und Angeboten, die ich dringend anschauen und abzeichnen musste. Also: Nicht weiter nachdenken, alles durchgehen! Ich arbeitete bis spät in die Nacht und fiel nach Mitternacht erschöpft ins Bett.
Dieser Tag war genauso verlaufen wie viele andere zuvor. Wie die Tage bei uns seit Jahren verliefen. Immer mehr Kunden kamen zu mir und beschwerten sich über mangelnde Qualität oder weil wir die versprochenen Termine nicht einhielten. Dabei waren beide, Qualität und Termintreue, unsere Aushängeschilder. Für mich war das eine Katastrophe, eine persönliche Niederlage. Immer häufiger zahlten Kunden nicht mehr pünktlich oder wollten Rabatte. Die Zahlungsmoral war in den letzten zwei Jahren stark gesunken, inzwischen waren Mahnungen und Auseinandersetzungen um die Rechnung eher die Regel.
Und meine Mitarbeiter? Es war im Grunde genommen genau das Gleiche. Auch sie beschwerten sich ständig über irgendwelchen Kram, stritten miteinander, kamen zu mir und wollten irgendwas, um das ich mich am besten stante pede kümmern sollte. Am schlimmsten war Johannes Barth, der Betriebsleiter. Als hätte ich nicht genug Sorgen, nervte er mich ununterbrochen mit seinen Forderungen nach neuen Maschinen in der Schreinerei, nach größeren Fahrzeugen, nach mehr Leuten, die wir bräuchten und so weiter und so fort. Dabei sah unsere finanzielle Situation alles andere als rosig aus. Die Zahlen auf dem Konto sprachen für sich. Ganz besonders machte mir der Mangel an qualifizierten Leuten zu schaffen. Drei Mitarbeiter hatten in den vergangenen vier Monaten gekündigt. Jeden Tag aufs Neue sann ich darüber nach, wo ich noch sparen könnte, woher ich Fachkräfte bekäme, wie wir Liefertermine einhalten könnten, die einzuhalten längst nicht mehr möglich war. Wie konnte es so weit kommen?
Ende der 1990er-Jahre war ich ganz hoffnungsvoll gestartet. Zwar voller Trauer, denn kurz zuvor war mein Vater gestorben, aber ich war dennoch guten Mutes. Mutter und ich übernahmen die Firma. Die war schon lange Teil unseres Lebens, wir waren vertraut mit allem, was auch nur im Entferntesten mit seniorengerechtem Bauen zu tun hat. Mutter hatte in die Firma eingeheiratet. Ja, so kann man es wirklich sagen. Sie hatte nicht nur meinen Vater geheiratet, sondern die Firma, die mein Großvater ursprünglich als Schreinerei gegründet hatte, gleich mit. Ich selbst hatte zunächst Bauingenieurswesen, dann sogar Architektur studiert, mich auf das Thema Barrierefreiheit spezialisiert. Zusammen mit meinem Vater hatten wir uns etliche Nächte um die Ohren geschlagen, um die Firma zu dem zu machen, was sie heute ist. Nein, was sie gestern war: das führende Unternehmen für Entwicklung und Bau von Großimmobilien für Senioren. Die Firma war Vaters Lebenswerk und wir wollten sie fortführen. Mutter hatte das Heft in der Hand und sollte es noch einige Zeit behalten. Sie war eine resolute Frau, die wusste, was sie wollte, und die, ohne mit der Wimper zu zucken, Vaters Regiment übernommen hatte. Dann brachte das Alter einige gesundheitliche Einschränkungen für sie mit sich, und mehr und mehr übernahm ich die Verantwortung. Offiziell ging Jordan Seniorenbauten 2001 ganz in meine Hand über, aber Mutter wird wohl nie aufhören, sich einzumischen. Die Firma ist ihr Ein und Alles. Mutter war es auch, die uns durch ihre enge Beziehung zur Kirche die großen Aufträge brachte. Schon bald nach Großvaters Tod lebten wir von denen, die nicht nur ein einzelnes Einfamilienhaus, sondern gleich ganze Wohnanlagen, Reha-Zentren oder Altenheime planen und bauen lassen. Meine Eltern waren strenggläubige Katholiken, das heißt, Mutter ist es natürlich immer noch. In ihrer Familie gibt es seit Generationen einen engen Kontakt zur Kirche. »Die Kirche – das sind wir!«, hieß es immer. Wobei mich jedes Mal das seltsame Gefühl beschlich, dass meine Eltern dieses oft bemühte christliche Wort ganz anders