Reine Nervensache. Martin Arz

Reine Nervensache - Martin Arz


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Ich? Das ist gut, das muss ich mir merken. Du denkst immer noch zu sehr in deinen Kategorien. Wieso sollte ich DIR böse sein?«

      »Ich weiß nicht. Ich habe alles getan, was du mir gesagt hast.«

      »Was ich dir gesagt habe? Habe ich dir gesagt, gehe hin und hacke ihm den Kopf ab? Das sollen meine Worte gewesen sein?«

      »Nein, natürlich nicht. So hast du es nicht gesagt.«

      »Gut, darauf lege ich doch einigen Wert.«

      »Doch für mich waren deine Worte unmissverständlich. Also habe ich es getan. Es war grauenhaft, aber ich habe es getan. Für dich.«

      »Meine Worte sind für gewöhnlich immer unmissverständlich. Und bettle nicht so sehr um Lob. Das stößt mich ab. Sieh her, schau mich an. Keine Angst. Sieh her. Es wird dir nichts passieren. Nicht jetzt und nicht später. Du bist sicher. Ich werde dich nun mit dir alleine lassen, aber du weißt, dass ich trotzdem immer bei dir bin.«

      »Nein, geht nicht. Lass mich jetzt nicht alleine! Ich brauche dich doch.«

      »Ich bin immer da. Doch du musst aufpassen. Konzentriere dich. Du muss ganz bei dir sein, damit sie nichts merken.«

      04 »Die Ereignisse von gestern Abend scheinen Sie am wenigsten mitgenommen zu haben.«

      »Finden Sie?« Jonas Wagenbrenner lehnte sich auf dem unbequemen Stuhl zurück und pustete vorsichtig in den Becher mit heißem Kaffee, den ihm Annabella Scholz gegeben hatte. Seine blasse Haut glänzte talgig im Sonnenlicht, das durch die Jalousien hereinfiel. »Das täuscht. Ich habe die ganze Nacht keine Auge zu getan. Vielleicht wirke ich nur so ruhig, weil ich so ziemlich als einziger nicht persönlich involviert war.«

      »Nicht persönlich involviert? Sie sind gut, Herr Wagenbrenner.« Max Pfeffer zog sich sein Jackett aus und hängte es sorgfältig über den Schreibtischstuhl, damit es keine Knitterfalten bekam. Als er heute früh das Büro betreten hatte, hatte Annabella Scholz laut gepfiffen und Pfeffer von oben bis unten gemustert. Pfeffer war bekannt dafür, dass er sich immer stilsicher kleidete, sommers wie winters, ohne overdressed zu sein. Neider im Büro hielten ihn deshalb für einen eitlen Fatzke und selbstverliebten Gecken. Es juckte Pfeffer herzlich wenig.

      Er strengte sich nicht einmal sonderlich an. Er überlegte nie groß, was er anziehen wollte, sondern entschied innerhalb von Sekunden. Er las selten Modemagazine und war kein Shoppingfreak, er hatte es einfach im Gespür und verfügte über einen kleinen Schrank voller klassischer Basics. Einmal im Halbjahr mistete er die Klamotten aus, die gewissen Trends unterworfen waren und durchforstete seine Lieblingsläden nach Aktuellem, Tragbarem. Gute Kleidung war eine seiner zwei Marotten, die er kultivierte – die andere Marotte war Jazz.

      Pfeffer hatte in der vergangenen Nacht nur zweieinhalb Stunden geschlafen, denn nachdem sie den Fundort der Kopfes verlassen hatten, waren er und Annabella Scholz schnurstracks mit einem Spurensicherungsteam zur Wohnung des Toten gefahren. Dass hier ebenfalls nicht der Tatort war, hatten sie schnell festgestellt. Die große Penthousewohnung im vornehmen Stadtteil Nymphenburg war erlesen möbliert und wirkte auf die Beamten irgendwie aseptisch. Zwei Ikonen, die einzigen Bilder im Wohnzimmer, waren Pfeffer aufgefallen. Und außer ein paar Unterlagen, Notizbüchern, Kalendern und dem Laptop schien ihnen wenig sicherstellenswert, denn sie wussten noch nicht, worauf sie ihr Augenmerk richten sollten. Als Pfeffer schließlich todmüde ins Bett gefallen war, wusste er, dass sich Annabella Scholz in den nächsten Tagen akribisch mit allem beschäftigen würde, was aus der Wohnung transportiert worden war.

      Nachdem ihn der Wecker aus einer Tiefschlafphase gerissen hatte, war Pfeffer wie jeden Tag eine Stunde gejoggt, hatte hundert Sit-ups und fünfzig Liegestütze gemacht. Der Kriminalrat ging stramm auf die Vierzig zu, doch sein Körper mit den breiten Schultern und der schmalen Taille konnte sich mit jedem jungen Sportler messen. Hüftspeck kannte er nur vom Hörensagen oder wenn er seinen Kollegen Paul Freudensprung ansah, denn der hatte sich in den letzten Monaten einen respektablen Rettungsring angefuttert, genährt von den türkischen Kochkünsten seiner Freundin Aische. Max Pfeffer jedoch legte Wert auf seinen Körper, nicht nur der Fitness wegen. An diesem Tag hatte er beim Laufen die noch herrlich kühle Luft eines sonnendurchfluteten frühen morgens genossen, der einen erneut hitzerekordverdächtigen Tag ankündigte. Er hatte kalt geduscht und den naturfarbenen federleichten Leinenanzug gewählt, dessen Hose seinen Hintern knackig zur Geltung brachte. Pfeffer wusste, was er zu bieten hatte und wie er es betonen konnte. Auch wenn er nicht der allerhübscheste war und seine Haare längst ergraut waren. Für seine Geschlechtsgenossen, die der Meinung waren, Körperpflege und -bewusstsein seien nicht maskulin, hatte er nur ein müdes Lächeln übrig. Und er vertrat die Ansicht, dass man die ultimative Geheimwaffe, die ihre Wirkung auch dann nicht verfehlte, wenn Intelligenz und Esprit nicht mehr weiterkamen – titts and ass –, einfach nicht allein den Frauen überlassen dürfe.

      Annabella Scholz hatte ihm am Morgen mit »Chef, ich könnte mich auf der Stelle in dich verlieben!« begrüßt, das allein hatte alles schon gerechtfertigt. Es half Pfeffer auch deshalb, weil er sich zu Hause kaum noch begehrt fühlte. Nun setzte sich Pfeffer lässig auf die Schreibtischkante und nippte an seinem Kaffee.

      »Nicht persönlich involviert ist vielleicht der falsche Ausdruck«, sagte Jo Wagenbrenner und rieb sich das stoppelige Kinn. Er sah verlegen zu Boden. Die Nacht in Polizeigewahrsam hatte er offensichtlich schlaflos verbracht, die dunkelvioletten Ringe unter seinen tiefliegenden Augen verrieten es. Seine wirren braunen Haare hingen ihm in die Stirn und klebten fettig an den Schläfen. »Ich meine nur, dass ich niemanden persönlich kannte.«

      »Sie sind Schauspieler?«

      »Nein, das nicht. Ich studiere Informatik. Für Veicht-Productions habe ich ab und an gearbeitet. Nur ein Job, verstehen Sie? Ich habe da mal ein Praktikum gemacht und seitdem immer wieder verschiedene Jobs übernommen. Bei den Reality-Formaten braucht man öfter einen Allrounder, der kleine Rollen spielt oder so. Mein Gesicht ist nicht sehr markant, da lässt sich viel draus machen mit etwas Schminke. Mal ein Gigolo, mal ein Kellner, und mal …«

      »… ein gestörter Mörder«, ergänzte Kommissarin Scholz mit ätzendem Unterton.

      »Ja, gestern auch das.« Jo spielte verlegen mit einer Haarsträhne. »Es tut mir so wahnsinnig leid. Das Mädchen vor allem. Ich meine, da sind wir sicherlich zu weit gegangen, auch ohne den Kopf und so … Aber wir dachten, die würden relaxter reagieren, wenn wir das aufklären.«

      »Sie wissen, dass der Junge, also Frank Jobst, zur Beobachtung in die Psychiatrie eingewiesen wurde, weil Sie so hübsche Spielchen getrieben haben?«, sagte Annabella Scholz.

      »Ich sagte doch, dass es mir wahnsinnig leid tut!« Jo Wagenbrenner zog eine verlegene Grimasse und wand sich auf seinem Stuhl. »Wenn Sie mir die Telefonnummern von ihm und dem Mädchen geben, werde ich mich gerne persönlich entschuldigen. Das habe ich nie gewollt.«

      »Wir werden Ihnen selbstverständlich keine Telefonnummern von irgendwem geben. Das verstehen Sie sicher«, sagte Pfeffer emotionslos und gab seiner Kollegin ein Zeichen, dass sie es gut sein lassen solle. »Und wir sind nicht hier, um Ihr Handeln moralisch zu beurteilen. Sie werden sich irgendwann und irgendwie für ihr Tun rechtfertigen müssen, auch wenn es nicht vor Gericht ist.«

      »Ich weiß, ich weiß. Sind Sie gläubig, Herr Kriminalrat?«

      »Das steht hier nicht zur Debatte. Und Sie sollten meine Worte nicht so einseitig auslegen.«

      »Entschuldigen Sie. Ich dachte nur. Ich bin es nicht. Nun ja, eigentlich nicht. Man weiß ja nie, was da noch alles zwischen Himmel und Erde ist.« Jo trank seinen Kaffee in einem Zug aus. »Veicht ist seicht – das ist so ein geflügelter Spruch in der Fernsehszene, ich weiß. Stimmt ja auch, Veicht-Productions setzt auf absoluten Flachsinn und macht damit Quote. Was solls, mir hat das immer Spaß gemacht. Gucken würde ich so was eh nie, aber mitmachen ist lustig und bringt Geld.« Er kratzte sich wieder am Kinn. »Entschuldigung, aber der Stoppelbart juckt so, ich rasiere mich normalerweise täglich. Das ganze Outfit hier …«, er sah an sich herunter und zupfte an dem ausgeleierten, mit Kunstblut verschmierten T-Shirt und der abgewetzten Jeans,


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