Das geschenkte Mädchen. Martin Arz

Das geschenkte Mädchen - Martin Arz


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Einfach rausgeschmissen.« Er schluchzte kurz. »Entschuldige. Sie sagt, dass sie es mit mir nicht mehr aushält. Dass ich ein verlogener Hallodri sei, der jedem Rock hinterherrennt. Dass ich sie gleichzeitig einenge, ihr die Luft zum Atmen nehme. Aber ich bin mir sicher, dass sie in Wahrheit einen Neuen hat. Da muss ein anderer Kerl dahinterstecken.«

      »Meine Güte!« Pfeffer legte seinem Kollegen die Hand auf die Schulter. »Sag ganz ehrlich: Hatte vielleicht dein Aufriss von neulich etwas damit zu tun?«

      »Da war doch nix! Man wird doch noch flirten dürfen. Verdammt, die Kleine neulich hat mir doch gar nichts bedeutet! Irene bauscht immer alles so auf! Sie wirft mir immer vor, dass ich sie mit meiner Eifersucht einenge, dabei ist sie auf jedes weibliche Wesen eifersüchtig, das irgendwo am Horizont auftaucht.«

      »Alles bedeutungslos, was du mit den Mädels machst. Und Irene hat dafür seltsamerweise kein Verständnis, hm? Und jetzt? Wo wohnst du?«

      »Nirgends«, sagte Freudensprung und schniefte. Er nahm Pfeffer unvermittelt die Zigarette aus der Hand, inhalierte lange und tief und gab seinem Chef den Glimmstengel zurück. Freudensprung, der Nichtraucher aus Passion, hustete erbärmlich. »Ich hatte noch keine Zeit, mir eine neue Wohnung zu suchen. Ich wollte nicht, dass jemand erfährt, dass ich … na ja, dass ich auf der Straße stehe. Meine Freunde und so, die sind alle so etabliert und gesetzt. Nein, Scheißspießer sind sie und eigentlich sind es alles Irenes Freunde. Wenn die erfahren, dass ich rausgeschmissen wurde, würden die nur sagen: ›Selbst schuld‹. Ich hab eine ganz passable Pension gefunden, wo ich zumindest ein Bett habe. Ist billig und sauber.«

      Pfeffer reichte Freudensprung eine Packung Tempos und fasste einen Entschluss. »Du kannst bei mir wohnen. Vorerst. Bis du was gefunden hast«, sagte er und startete den Wagen.

      »Nein, nein, schon okay.« Freudensprung winkte ab und schneuzte sich.

      »Stell dich nicht so an«, antwortete Pfeffer. »Wir fahren später bei der

      Pension vorbei, holen deine Sachen und dann kriegst du die Schlafcouch in meinem Gästezimmer. Du wohnst bei mir.«

      »Was sollen denn deine Jungs sagen?«

      »Die sind Männer im Haus gewohnt.« Die beiden Polizeibeamten lachten. »Und jetzt schau mich nicht so dankbar an, sonst nenne ich dich auch Gaudihupf. Sag mir lieber, ob wir an der nächsten Ampel rechts oder links müssen. Wieso muss diese Aische Demir auch ausgerechnet in Ramersdorf wohnen? Da kennt sich doch keine Sau aus.«

      Freudensprung holte das Filofax des Ermordeten aus seinem Rucksack und blätterte darin. »Glück gehabt, dass er so kurz nach dem Jahreswechsel noch den Vorjahreskalender drin hatte.« Freudensprung schlug die Seite mit Mitte Oktober auf, in der am Montag und am Donnerstag der Name Frese-Mayer eingetragen war, blätterte dann weiter zur zweiten Novemberwoche. Wieder Frese-Mayer, diesmal rot umringelt. Dazwischen kaum Einträge, überhaupt enthielt der ganze Kalender nur sehr wenig Einträge. Zwei Messetermine sowie ab und zu mal ein Name, hinter dem meistens Sotheby’s oder Christie’s oder der Name einer Universität stand, dreimal waren in den letzten Wochen des Jahres auch die Kürzel PU verzeichnet.

      Westphal hatte sein Filofax kaum genutzt. Vor allem der Adressenteil war regelrecht jungfräulich. Kein Stift schien seine Seiten je berührt zu haben. Sicherlich hatte der Tote ein gesondertes Adressbüchlein, das der oder die Täter hatten mitgehen lassen. Keine Visitenkarten befanden sich in den Taschen, nur eine Zeitungsseite war kleingefaltet hinter dem Kalenderteil eingeschoben. Freudensprung faltete sie zum x-ten Mal auf. Eine Seite aus der Süddeutschen Zeitung vom 24. August, Wirtschaftsteil auf der einen, ganzseitige Werbung vom Media Markt auf der anderen Seite. Freudensprung seufzte, er spürte ein Kratzen im Hals. Jetzt würde er bestimmt auch noch krank werden. Selbstmitleid stieg in ihm auf. Er fühlte sich elend. Sicherheitshalber warf er ein Hustenbonbon ein, als sie auf den gesichtslosen Wohnblock im Stadtteil Ramersdorf zugingen, in dem Aische Demir wohnte, die ehemalige Zugehfrau des Toten.

      »Meine Tante hat mir schon alles erzählt«, begrüßte Aische die Polizisten an der Wohnungstür. Sie war eine hübsche junge Frau mit dunklen ernsten Augen und frecher Kurzhaarfrisur. Sie entsprach überhaupt nicht dem, was Pfeffer erwartet hatte. Statt Kopftuch und Kittel wie ihre Tante trug sie modische schwarze Hosen und ein enges grasgrünes Oberteil aus flauschigem Kunststoff. In ihrem Einzimmerappartement sah es aus wie in der Wohnung einer Studentin. Ein wenig Design, ein wenig Ramsch, aber weit und breit kein orientalischer Kitsch. Dann hörte Pfeffer leise türkische Musik. Also doch.

      »Entschuldigen Sie«, sagte Aische. »Aber meine Nachbarn haben immer so laute Musik. Es ist ziemlich hellhörig hier. Wie kann ich Ihnen helfen? Ich muss gleich zur Uni.«

      Statt »Was studieren Sie?« zu fragen, rief Freudensprung erstaunt: »Sie studieren?!«

      »Natürlich«, entgegnete die junge Frau gelassen. »Hat Ihnen das meine Tante nicht erzählt? Kommunikationswissenschaft im fünften Semester, wenn Sie es genau wissen wollen.«

      »Und da finden Sie keinen besseren Job als putzen?«, fragte Pfeffer ungläubig.

      »Putzen? Das habe ich nur nebenbei gemacht. Und auch nur für Doktor Westphal. Leicht verdientes Geld. Da musste man nur jeden Tag rauswischen und ab und zu die Regale entstauben. Für die Schaufenster kam immer ein anderes Putzteam.«

      »Hört sich nicht nach einem tollen Job an.«

      »Ich habe ja auch hauptsächlich im Laden gearbeitet. Zwei halbe Tage pro Woche als Mädchen für alles. Verkaufen, Ware katalogisieren und so weiter. War ganz interessant. Er hatte schöne Ware.«

      »Interessieren Sie sich für Afrikanika?«

      »Anfangs nicht besonders.« Aische lachte kurz. »Ich habe den Job durch eine Freundin bekommen. Mittlerweile kenne ich mich auch ganz gut damit aus.« Sie nahm einen kleinen Nagelfetisch vom Bücherregal. »Den hat er mir mal geschenkt. Völliger Ramsch. Aber ein Verkaufsschlager.«

      »Hatte Doktor Westphal auch sehr wertvolle Ware? Ware, die eventuell einen Raubmord rechtfertigen würde?«

      Die junge Türkin zog die Stirn kraus. »Natürlich, was denken Sie denn. Er hat antike Kunst der Benin und Nok sowie einige Kostbarkeiten der Ife. Exquisite Arbeiten, echte Museumsstücke, für die Sammler ein Vermögen hinlegen würden. Aber mit Afrikanika ist es mittlerweile wie mit europäischer Kunst. Gestohlene Arbeiten lassen sich nur sehr schwer auf dem Markt veräußern, wenn sie bekannt sind. Da gab es doch vor kurzem diesen Vorfall mit den gestohlenen Nok-Figuren in Frankreich …«

      »Sie meinen die Geschichte mit Jacques Chirac und dem Ankauf für den Louvre?«, unterbrach Pfeffer und nötigte Aische damit ein bewunderndes Lächeln ab.

      »Eine Blamage für den französischen Präsidenten. Ich sehe, Sie kennen sich auch aus«, sagte die Frau.

      Pfeffer tat verlegen, dann holte er aus seiner Tragetasche die Holzfigur, die in Westphals Blutlache gestanden hatte. »Kennen Sie diese Figur, Frau Demir? Können Sie mir darüber etwas sagen?«

      Aische Demir zuckte mit den Schultern. »Nein, keine Ahnung. Nie gesehen. Könnte vom Stil her Bamun oder Ndjamele sein. Aber da hätte Ihnen Doktor Westphal sicher genauere Auskunft geben können. Wenn es antikes Ndjamele ist, ist sie einiges wert.« Die Frau nahm die Figur in die Hände, drehte und wendete sie. »Ich kann mich, wie gesagt, täuschen, aber ich glaube, dass dieses Teil ziemlicher Ramsch ist. Kein halbes Jahr alt. Künstlich patiniert. Also ein paar Monate irgendwo vergraben und schon siehts echt antik aus. Wert gleich Null. Obwohl – na ja, ach, keine Ahnung!« Sie roch an der Figur, drehte sie herum und strich mit dem Daumen zart über die äußeren Unterkanten der Füße. »Hmm, vielleicht doch echt. Sehen Sie, Fälschungen erkennt man meist daran, dass die Unterseite noch recht scharfkantig ist. Bei echt alten Figuren sind die Unterkanten durch Witterung, Beopferung oder einfach durch Gebrauch immer weich abgeschliffen. Diese hier sind weich abgeschliffen. Wenn es eine Fälschung ist, dann hat der Fälscher selbst auf solche Kleinigkeiten geachtet. Ein Top-Profi.«

      »Und welches Interesse sollte jemand haben, so eine Figur zu fälschen?« Pfeffer nahm die Statuette wieder an sich. »Ist die besonders selten?«


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