Neubayern. Florian F. Scherzer

Neubayern - Florian F. Scherzer


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gelassen. Weil der Sailler so aufgelöst gewesen ist. So fertig, wie er ausgesehen hat, habe ich mich bei der Beerdigung meines Bruders, meiner Eltern und der Großmutter gefühlt. Nach dem Unglück. Also richtig am Ende, gefühlsmäßig. Ich riss mich zusammen, schüttelte meinen Rausch ab, so gut es ging und erzählte ihr alles. Vom Benno Sailler, vom Schwarzhansi, vom Gendarm, vom Viechfieber und vom roten Teufel.

      »Der Saillerbub hat geheult, wie ein kleines Kind. Vollkommen aufgelöst. Und der Schwarz hat nicht gewusst, wie er seinem Freund helfen kann.«

      Elsi trank einen großen Schluck Bier. Sie wirkte nicht wirklich interessiert, aber ich schien ihr lieber zu sein, als die beiden übrig gebliebenen Besoffenen am anderen Tisch.

      »Vielleicht hat der ja einen Fliegenpilz gegessen da oben. Ein Schwammerlrausch! Da sieht man auch alles Mögliche und am nächsten Tag hat man die Hälfte wieder vergessen. Wir haben die doch auch gefressen, in dem Alter. Und sind in der Sonne gelegen wie besoffen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich immer ganz gefesselt davon gewesen bin, wie perfekt sich das Moos plötzlich an den Handflächen anfühlt.«

      »Blödsinn, der Benno und einen Schwammerl fressen.«, sagte ich und dann: »Der Bub war so verängstigt. Nicht wie wenn einer Angst vor einer Watschn hat, weil er was angestellt hat oder dem Vater das Bier weggesoffen hat oder nicht zur Stallarbeit gekommen ist. So richtig Angst hat der gehabt.«

      Elsi wirkte jetzt etwas interessierter und nüchterner. »Das mit dem Teufel ist schon komisch. Ich glaub nicht, dass der kleine Sailler die Vorstellungskraft hat, sich sowas auszudenken. Die Saillers waren noch nie die Hellsten, oder? Denk nur an die Geschichte, als der alte Sailler den Ochsen kastrieren wollte …« Elsi lachte. Ich nicht.

      Ich fragte lieber etwas anderes: »Und die Sache mit dem Viechfieber …?«

      Elsi war schnell auf Krawall aus. Wie immer wenn sie ein Seidel zuviel getrunken hatte. »Ach, die Leute. Die sollen sich nicht so anstellen. Nur weil ein Bub eine Woche beim Doktor gelegen hat, heißt das doch nicht gleich, dass er krank ist und alle gleich das Viechfieber bekommen und ihnen die Viecher verrecken. Oder die Mutter oder der Vater oder die Kinder. Haben eh genug davon, alle miteinander.«

      Elsi trank ihr restliches Bier in einem Zug aus. »Ans echte Viechfieber kann sich doch eh keiner von uns erinnern. Als das gewütet hat, war mein Großvater noch ein Kind. Das Meiste sind eh nur Schauergeschichten. Als wir Kinder waren, haben die uns sogar noch ernsthaft erzählt, dass das Viechfieber von den Perchtln kommt.« Elsi versuchte die Stimme ihres Vaters nachzuahmen: »Über den Wachten kommen die Perchtln und bringen das Viechfieber.« Dann wieder in normal: »Aber das haben die nur erzählt, damit wir Kinder nicht auf den Wachten gehen. Damit wir ordentlich Angst haben. Lauter Lügengeschichten.«

      Elsi rückte näher an mich heran. Sogar mit meinen drei Bier und dem Schnaps konnte ich riechen, dass sie mehr getrunken hatte als ich. Wenn man trotz der eigenen Fahne die Fahne von jemand anderem riecht, ist das nicht nur ein Zeichen für eine besonders feine Nase.

      Elsi fuhr fort. Für die Stärke ihres Rausches lallte sie wenig. »Die Großmutter war wie besessen von den Perchtln. Stundenlang hat sie davon erzählt. Ganz klein und ledrig sollen die gewesen sein. Und mit ihren Hexensprüchen sollen sie die Rinder und Schweine verzaubert haben, hat sie erzählt. So dass die Viecher einfach nur noch gebrüllt haben und dann tot umgekippt sind. Und dass sich die Menschen bei den Perchtln oder bei den Viechern angesteckt haben und auch verreckt sind. Dass es sogar welche gegeben hat, die mit den Perchtln unzüchtig waren und Dämonenkinder bekommen haben. Und dass man die geopfert hat oder sich selber, oder so. Der ganze Blödsinn halt. Und wir Kinder haben uns eingeschissen vor Angst. Die Leute brauchen solche Ausreden.« Elsi sprach jetzt mit einer lustigen Stimme, die so klingen sollte, wie die Bauern im Dorf reden: »Oh, meine Kuh gibt weniger Milch. Das Viechfieber. Meine Frau ist so frigide. Das Viechfieber. Meine Kinder sind hässlich. Das Viechfieber. Mein Schwanz ist so klein. Das Viechfieber. Die Suppe schmeckt meinem Mann nicht. Das Viechfieber. Kommt in die Stube Kinder. Die Perchtln kommen euch sonst holen. Wenn ihr nicht fleißig seid in der Schule, verhexen euch die Perchtln. Ich bin schwanger. Nein, nicht vom Toni, ein Perchtl hat mich überfallen. Ich geh lieber zur Engelmacherin, damit es kein Dämon wird.« Elsi holte Luft und redete dann wieder mit normaler Stimme weiter: »Und wir scheißen uns alle immer noch in die Hosen vor Angst und rennen noch mehr in die Scheißkirche, als wir es eh schon tun. Sonntag, Maiandacht, Osternacht, Rosenkranz. Pfarrer, Jesus, Jungfrau Maria, Gnade und Gebenedeit. Alles frömmelnde Arschlöcher. Nur weil die selber nicht weiter wissen und die Leute im Zaum halten müssen, erzählen die denen so einen Mist. Und die Leute glauben alles. Und als würde die Kirche nicht reichen, rennen die Leute jetzt auch noch zum Heiligen Andreas und zu den Andreasfeuern.«

      Elsi war vielleicht noch besoffener, als ich gedacht hatte. Sie redete weiter: »Oder glaubst du etwa, dass der Benno Sailler von einem Perchtl gepackt worden ist und deshalb das Viechfieber bekommen hat?« Ich schwieg. Ich wusste, dass man Elsi bei so einer Rede besser nicht unterbrach. »Oder dass er in Echt einen Teufel gesehen hat oben auf dem Wachten? Das wollen die doch nur, dass wir das glauben. Die steuern uns mit ihren Angstgeschichten und wir merken das nicht einmal. Der Bub hat wahrscheinlich seinem Vater das Bier heimlich weggesoffen, dann ein Schwammerl gefressen, ist gegen einen Baum gestolpert und hat eine Kuh für einen Teufel gehalten.«

      Elsi war wie losgelassen. »Mich haben die als Zwölfjährige noch dazu gebracht, wieder ins Bett zu pieseln mit ihren Perchtlgeschichten. ›Nimm dich in Acht, dass dich kein Perchtl packt und dir einen Perchtlbastard macht. So wie du rumläufst, packt dich gleich der nächste Perchtl und du bringst uns das Viechfieber ins Dorf.‹ Und wenn ich heimlich versucht habe, mein Bettzeug zu waschen oder meinen Strohsack auszutauschen und ich dabei erwischt worden bin, bin ich verhauen worden und sie haben mir wieder mit noch mehr Perchtln gedroht. ›Wer ins Bett bieselt, wird von den Perchtln verhext.‹ Als ob man die Angst vor den Perchtln mit noch mehr Angst vor den Perchtln vertreiben kann. ›Scheiß dich nicht so ein vor den Perchtln, sonst holen dich die Perchtln.‹ Quasi.«

      Elsi hatte sich in Rage geredet und ich war auch nicht nüchterner geworden. Ich zapfte mir selber noch ein Bier am verlassenen Tresen und brachte ihr einen Schnaps mit.

      Der Schnaps machte Elsi ruhiger. Fast nüchtern und nachdenklich. »Weisst du, Kiener, ich wäre längst weg von hier, wenn der Vater mich nicht brauchen würde. Die Frömmelei und die Engherzigkeit und alles. Ich kann das nur aushalten, weil ich manchmal nach Rieding und in die Stadt und ganz woanders hin kann.« Sie lachte in sich hinein. »Das hier ist nichts mehr für mich, Kiener.«

      »Aber wo willst du hin?«

      »Ich wüsste schon was.«

      »Für immer in die Stadt?«

      »Ruckzuck wär ich weg. Meistens denk ich mir auch, dass ich das alte Arschloch auch einfach hier lassen könnte. Einfach so. Verrecken lassen oben in seiner Stube. Aber dann hat er wieder einen Anfall. Dann liegt er da im Bett und ihm ist so schlecht. Dann erbarmt er mich. Wenn ich ihn sehe, wie er weint und jammert und sich am Bettkasten festhält, weil er das Gefühl hat, dass alles in der Kammer schwankt und wackelt und er es nur aushalten kann, wenn ich die Fenster aufreiße, damit er den Horizont sehen kann, egal wie kalt es draußen ist. Dann tut er mir so leid, dass ich ihn einfach nicht alleine lassen kann. Und dann bleibe ich doch hier.«

      Jetzt wirkte die Elsi wieder vollkommen nüchtern und nachdenklich. Und dann auf einmal ungehalten und grob.

      »Jetzt schleich dich Kiener. Ich muss noch zusammenräumen.«

      Später im Bett schämte ich mich ein bisschen für den Abend. Viechfieber. Roter Teufel. Perchtln. Scheißdreck. Warum kümmerte ich mich überhaupt um solche Kindereien?

      In der Nacht musste ich drei Mal raus. Drehwurm, volle Blase und Kotzreiz im Hals. Jedes Mal versuchte ich, etwas hoch zu würgen, um den Drehwurm endlich loszuwerden. Kein einziges Mal konnte ich tatsächlich kotzen. Was für ein sensationeller Säufer ich doch war! Die Riedinger Brauerei konnte wirklich stolz auf mich sein. Ihr bester Kunde. Auf der Riedinger Dult sollte man mich ausstellen: ›Sehen Sie den Mann, der fast ohne mit der Wimper zu zucken dreieinhalb Bier und einen Schnaps trinken kann. Und das in nur vier Stunden. Für nur zwei


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