Die Knochennäherin. Martin Arz

Die Knochennäherin - Martin Arz


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      Martin Arz

      Max Pfeffers 3. Fall

      Martin Arz, geboren 1963 in Würzburg, schrieb als freier Autor für zahlreiche Magazine und arbeitete als PR-Berater, bevor er sich ganz der Malerei und dem Schreiben widmete. Im Januar 2004 erschien »Das geschenkte Mädchen«, der erste Pfeffer-Krimi aus der Feder von Martin Arz. Es folgten »Reine Nervensache«, »Die Knochennäherin«, »Pechwinkel«, »Westend 17« und »Geldsack«. Kriminalrat Pfeffer ermittelte außerdem im Frühjahr 2010 in Deutschlands erstem Twitter-Krimi »Der Tote vom Glockenbach«, der über Twitter publiziert wurde. Martin Arz veröffentlichte zudem mehrere Sachbücher über die Stadt, in der er lebt und arbeitet: München.

      Pfeffer-Krimis im Hirschkäfer-Verlag:

       Das geschenkte Mädchen Max Pfeffers 1. Fall

       Reine Nervensache Max Pfeffers 2. Fall

       Die Knochennäherin Max Pfeffers 3. Fall

       Pechwinkel Max Pfeffers 4. Fall

       Westend 17 Max Pfeffers 5. Fall

       Geldsack Max Pfeffers 6. Fall

      Handlung und Personen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Ereignissen oder Personen wäre rein zufällig.

      E-Book-Ausgabe, Februar 2016

      Cover und grafische Gestaltung von Hirschkäfer Design/Coriander P.

      © Hirschkäfer Verlag, München 2016

      Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Verarbeitung in elektronischen Systemen.

      E-Book-ISBN 978-3-940839-47-3

      eBook-Herstellung und Auslieferung:

       HEROLD Auslieferung Service GmbH

       www.herold-va.de

       Besuchen Sie uns im Internet:

       www.hirschkaefer-verlag.de

      01

      Sie zitterte am ganzen Leib. Immer noch. Wie konnte sie es nur so weit kommen lassen? Es war ihre Schuld, ganz eindeutig, einzig und allein ihre Schuld. Sie wuchtete sich vom Bett auf und schlurfte schwer atmend ins Bad. Alles tat ihr weh. Sie verfluchte sich dafür, dass sie ihn immer noch liebte. Sie liebte ihn. Liebte sie ihn? Irgendwie jedenfalls. Sie blieb kurz stehen. Eigentlich hatte sie sich in der letzten Zeit nicht wirklich mit dieser Frage beschäftigt: Liebte sie ihn überhaupt noch?

      Sie zog den gelben Nylonvorhang zur Seite und stieg in die Wanne, um sich zu duschen. Als sie den Vorhang zuzog und das Wasser aufdrehte, klebte sich der Vorhang sofort an ihre Beinen und der Hüfte. Sie seufzte und ließ das Wasser an sich herunterprasseln. Sich gegen den anschmiegsamen Vorhang zu wehren, war sinnlos. Auch ohne die Sogwirkung des heißen Dampfs würde der Vorhang an ihr pappen – einfach weil sie so enorm viel Körper hatte.

      Fritz schaffte es immer wieder, dass sie in seinem Kosmos lebte, seine Spielchen mitmachte. Aber sie wollte keine Spielchen mehr spielen – raus aus seinem Kosmos.

      Als Fritz das erste Mal diesen Namen, als er das erste Mal ›Viola‹ gekeucht hatte, da hatte sie blanke Wut überkommen. Sie hatte sich aufgebäumt wie ein bockendes Pferd, ihn von sich geschubst und sich dann auf ihn gewälzt. Da hatte sie ihn das erste Mal gewürgt. Ganz spontan. Er nannte es später eine ›Offenbarung‹. Nives war anfangs erschrocken darüber, dass es ihr Spaß gemacht hatte. Herrin über Leben und Tod sein. Seit damals stöhnte er immer wieder ›Viola‹, wenn er ES brauchte. Er benannte es nie, es war immer ES. Nives hatte allerdings einige Zeit gebraucht, um zu durchschauen, dass er nicht deshalb den Namen ihrer Nebenbuhlerin keuchte, weil er in Wirklichkeit Viola begehrte, während er mit Nives schlief. Für Fritz war es nur ein Spiel, sein Signal für den Wunschorgasmus mit Sauerstoffmangel.

      Sie wusch sich die Haare und spülte das Schampoo gründlich aus. Dabei sah sie an sich hinunter. Wie widerlich fett sie war. Wütend drückte sie den klebenden Vorhang weg. Sie hasste diesen Körper. Alles ausschließlich für ihn. Nur weil er sie so üppig wollte. Sie hatte sich für ihn so fett gefressen. Wie schön sie einmal gewesen war … Männer, echte Männer hatten sich nach ihr verzehrt, hatten sich in Unkosten gestürzt, um sie zu beeindrucken … Nun, immerhin stürzte auch er sich immer noch in Unkosten, um sie zu beeindrucken. Das musste sie zugeben.

      Nives drehte das Wasser ab und trocknete sich ab. Sie wickelte das große Badetuch um ihren Körper und verknotete es über der Brust. Auf dem Weg zurück ins Zimmer bürstete sie sich die nassen, blondierten Haare. Wie strohig sie waren, Spülung vergessen. Egal.

      Ihr Blick fiel zufällig auf den Radiowecker. Ohne Kontaktlinsen konnte sie die Ziffern nicht deutlich erkennen. Mit zusammengekniffenen Augen erahnte sie, dass es kurz vor acht Uhr sein musste. Sie trat auf den Balkon hinaus und genoss die frühmorgendliche Hitze. Zwischen den Palmen und den üppig grünen Bäumen, deren Namen sie nicht kannte, sah sie hinunter auf den Strand. Wenig los in aller Herrgottsfrühe.

      Das Hotel, das er für sie ausgesucht hatte, um dem Weihnachtstrubel zu entgehen, gefiel ihr. Es war ein tropisches Paradies, eine luxuriöse Anlage aus Pfahlhütten auf einer kleinen Halbinsel. Die Hütten erreichte man über Holzstege, die hoch über dem Boden liefen. Unten samtiges Grün, dichte Vegetation. Dazwischen Palmen und riesige Bäume, die angenehm Schatten spendeten. Ständig wuselten Gärtner durch die Anlage und sorgten für wohlgeordneten Wildwuchs. Nachts, wenn Tausende von Lichterketten in den Bäumen die Anlage in einen glitzernden Märchenwald verwandelten, wollte sie am liebsten die ganze Zeit nur über die Holzstege laufen und Atmosphäre tanken. Sie freute sich auch an diesem Morgen, dass sie noch eine der wenigen Hütten in Strandnähe mit direktem Meerblick bekommen hatten. Ihr Bungalow lag hoch über dem Erdboden, etliche Meter von den Felsen und dem Meer entfernt, und war vom Wasser durch einen üppigen Grüngürtel getrennt.

      Nives atmete tief ein. Ihr Blick fiel auf den Mann, der unten am Strand stand und in die Ferne starrte. Das musste er sein. Er wollte vor dem Frühstück ein wenig schwimmen gehen. Sie erkannte zwar, dass der Mann wie Fritz eine blaue Badehose trug, auch die Statur stimmte – klein, untersetzt. Doch sie war sich nicht sicher. Nives ging zurück ins Zimmer und holte die Digitalvideokamera. Nicht ihr Weihnachtsgeschenk, sein jüngstes und liebstes Spielzeug, geballte Hightech sogar für Profiansprüche – nein, das Luxusgerät war für sie tabu. Sie hatte ihm hoch und heilig schwören müssen, dass sie die neue Kamera nicht anfassen würde. Sie nahm also die alte, die mit der niedrigen Auflösung und den seiner Meinung nach lächerlichen Pixeln. Auf dem Balkon klappte sie das Display zur Seite, hielt auf den Mann am Strand, der nun in Richtung Meer blickte. Nives kannte die wichtigsten Funktionen und zoomte so stark heran, wie es die Kamera zuließ. Ihre Hand zitterte, das Bild wackelte. Wo war noch mal der Knopf, der das Wackeln ausgleichen konnte?

      Der Zoom half nicht wirklich. Vielleicht stand da Fritz, vielleicht auch nicht. Sie rief seinen Namen, obwohl sie wusste, dass er zu weit weg war, um sie zu hören. Sie rief und winkte. Keine Reaktion.

      Dann ließ sie etwas aufhorchen. Sie konnte es nicht benennen und sah sich suchend um. Ein Tier? Ein Vogel?

      Es war kein Geräusch, wie ihr plötzlich klar wurde. Es war das Fehlen von Geräuschen. Kein Tier, kein Vogel. Nichts. Absolute, fast greifbare Stille, sogar die Wellen schwiegen. Die Wellen!

      Sie sah hinunter auf den Strand. Das war ihr so seltsam vorgekommen. Es gab keine Wellen. Es gab kein Wasser, es gab überhaupt kein Meer. Nur Sand, vom


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