Die Knochennäherin. Martin Arz

Die Knochennäherin - Martin Arz


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auf Englisch. Es war so ewig lange her, dass sie völlig aus der Übung war. Sie starrte auf den Jungen und versuchte sich nicht auszumalen, durch welche Hölle er ging. Sie blickte zu dem Mann auf und unterdrückte ein kleines Schluchzen. Sie nahm ihre Sonnebrille und setzte sie so demonstrativ auf, dass der Mann die kleine Träne, die sie zustande brachte, noch erkennen konnte. »Ich bin … fassungslos, I am stunned, speachless.« Sie spielte gut. Als wäre ein Schalter umgelegt worden, fand sie in ihre Rolle. Sie konnte es immer noch. »Excuse me, Geoff, but I …« Sie machte eine unbestimmte Handbewegung und biss sich auf die bebende Unterlippe.

      »I see.« Der Mann schüttelte ihr noch einmal die Hand. »I’m so sorry. I didn’t want to disturb. I’m so sorry. If I can do anything for you, let me know. You’ve still got your hotel room?«

      Nives Marell nickte mit zusammengekniffenen Lippen, brachte ein schiefes Lächeln zustande und ließ ihre Hand zu Fritz wandern. Sie tätschelte seinen Oberschenkel. Fritz nahm ihre Hand und drückte sie fest. Geoff aus Boston grinste unsicher, verabschiedete sich und zog schließlich den Thaijungen hinter sich her.

      »Those old German ones. Der Arsch. Die sind von mir, those old German ones. Du bist aber immer noch scheißgut, Nives Marell. Ich sage doch, unser nächster Film wird wieder ein Knaller«, sagte Fritz Roloff grinsend. »Er hat mich übrigens nicht erkannt.«

      »Da kannst du dir bei einem Amerikaner was drauf einbilden. Mit diesem Fusselbart und der riesen Sonnenbrille erkennt dich sowieso keiner. Mich hingegen erkennt man seit Jahren nur noch an meinen Augen! Ich war mal schön.«

      »Du bist noch schön, Maus. Für mich.«

      »Ich will für niemanden schön sein, der Katastrophen schön findet!«

      Fritz brach in schallendes Gelächter aus.

      Nives Marell stand von dem Palmstrunk auf, zog das Elefäntchen am rechten Ohr und sagte im Weggehen: »Fick dich, Fritz Roloff, fick dich doch einfach.«

      »Bleib hier, du blöde Kuh.« Fritz sprang auf und lief hinter ihr her. Er packte ihr Handgelenk.

      »Lass mich los. Ich rufe jetzt Rocco an. In Deutschland müsste jetzt Tag sein. Vielleicht hat er auch schon versucht, mich zu erreichen«, sagte Nives und legte ihre Handtasche auf den Rücken des kleinen Elefanten. Sie wühlte umständlich darin herum, bis sie das gesuchte Mobiltelefon endlich zu Tage förderte. Es war noch ausgeschaltet.

      »Nix wirst du!« Fritz entriss ihr das Handy.

      »Gib es her. Rocco wird sich Sorgen machen. Alle werden sich Sorgen machen! Das ist bestimmt längst auch in Deutschland in den Nachrichten. Die Toten hier, das wird auch bei uns eine Nachricht sein! Wenn es stimmt, dass nicht nur die Bucht hier, sondern die ganze Insel betroffen ist …«

      »Sollen sie sich doch Sorgen machen! Lass sie ein wenig zappeln.« Fritz schleuderte ihr Mobiltelefon in weitem Bogen quer über den Strand ins Meer.

      Nives bebte vor Zorn und krallte ihre Finger in den Nacken des kleinen Elefanten. »Du bist ein Schwein, Fritz Roloff, ein erbärmliches Schwein.«

      »Und? Deshalb liebst du mich doch, oder?«

      Als sie den Mund aufmachte, um ihm zu antworten, kam ein Klingeln dazwischen. Ein Klingeln aus ihrer Tasche. Sie wühlte erneut und zog nach einer Weile ein zweites Handy hervor. Fritz’ Handy. Er warf gerne seine Sachen in ihre Handtasche: Schlüssel, Papiere, Telefone, Drehbücher, Post, MP3-Player, Filofax et cetera, damit er Platz für seine Hände in den Hosentaschen hatte. Einmal hatte sie sich über das Gewicht ihrer Tasche gewundert und festgestellt, dass er sein Notebook in ihre Tasche gesteckt hatte. Sie hatte es herausgeholt und vor seine Füße geschleudert. Zu ihrer beider Überraschung war es heil geblieben.

      Das Display des Mobiltelefons zeigte ›Viola privat‹ an. Natürlich, sie hatte es immer gewusst. Die Geschichte mit Viola war entgegen seiner Beteuerungen keineswegs beendet. Nives fixierte Fritz, der sie abschätzig ansah. Sein Blick sagte ›Trau dich!‹.

      »Gib her«, sagte er dann und griff nach dem Telefon.

      Nives drehte sich abrupt weg, drückte die grüne Taste, hielt sich das Telefon ans Ohr und sagte laut: »Hallo?«

      Am anderen Ende der Leitung herrschte kurz irritiertes Schweigen. Dann sagte die Frauenstimme: »Hallo, hier ist Viola. Nives, Liebes, bist du das? Was für eine Frage, natürlich bist du das. Du, ich habe eben in den Morgennachrichten … nun, bei euch scheint etwas passiert zu sein … diese Monsterwelle …«

      »Richtig«, unterbrach Nives. »Eine Monsterwelle. Eine Katastrophe. Angeblich soll es ganz Phuket erwischt haben.«

      »Phuket? Nives, Liebes, die Welle ist bis nach Afrika geschwappt! Halb Thailand, Indien, Sri Lanka – angeblich alles zerstört! Die Seychellen sollen komplett unter Wasser sein! Es gibt aber noch kaum Bilder.«

      Nives brauchte einen Moment, um die Neuigkeiten zu verdauen. »Alles zerstört«, wiederholte sie tonlos, und ihr Hirn spielte Karussell. Langsam kristallisierte sich ein Gedanke aus dem Strudel. Fritz wollte seine Inszenierung, sie würde wieder seine Spielchen mitmachen. Auch wegen dieser Viola.

      »Hallo, Nives?«, kam es aus dem Hörer.

      »Ja, alles kaputt hier, so viele Leichen.« Nives schluchzte kurz und sah dabei mit kalten Augen zu Fritz hinüber, der schmunzelte. Nives Marell begann zu spielen. »Du kannst es dir nicht vorstellen, Viola, Liebes. Es ist so … so … grauenvoll …« Sie brach in Schluchzen aus. Fritz applaudierte ihr pantomimisch. »All die Toten, all das Leid! Und dann der arme kleine Elefant …«, stammelte sie stakkatoartig.

      »Nives, Schätzchen.« Viola schien deutlich mitgenommen und vor allem durch die Erwähnung eines kleinen Elefanten schwer irritiert. »Sicher, auch die Tiere … Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist. Was ist mit Fritz … mit euch, meine ich! Was ist mit euch?«

      »Ich weiß nicht, was mit Fritz ist. Unser Hotel …«, log Nives mit bebender Stimme und machte eine Pause. Sie wollte nicht gleich zu viel bieten. Erst abwarten, was Viola wollte, was sie im Fernsehen gesehen hatte.

      »Was soll das heißen?« Violas Stimme schrillte panisch durch das Handy. »Ich habe eben im Internet recherchiert, und euer Hotel ist nicht vom Tsunami betroffen. Das haben die da geschrieben! Euer Hotel ist nicht betroffen!« Die Stimme überschlug sich. »Das schreiben sie auf der Hotelwebsite. Nur eine Notiz: Don’t worry about our guests. The hotel is still standing. More news soon. Vor einer halben Stunde aktualisiert. Ich war eben noch online. Du lügst doch.«

      »Viola, Liebes. Beruhige dich.« Nives biss sich auf die Lippe. »Ja, es stimmt, dass unser Hotel verschont wurde. Ich selbst war im Bungalow, als es passierte. Die Welle hat uns nicht erreicht. Aber Fritz … nun, er wollte an den Strand gehen. Fünf Minuten bevor es passierte. Er wollte schwimmen, du weißt doch, wie gerne er früh schwimmen geht.«

      »Nein! Das weiß ich nicht.«

      »Dann weißt du es eben jetzt. Ich habe auf der Terrasse gestanden und ihn am Strand gesehen, als die Welle kam. Er war auf einmal nicht mehr da. Verstehst du, Viola?« Sie weinte überzeugend, zumindest für eine Ohrenzeugin im fernen Deutschland, denn ihre Augen blieben trocken.

      »Wie nicht mehr da?« Violas Stimme war nur ein fernes Flüstern.

      »Nicht mehr da. Als die Welle zurückging, war er nicht mehr da. Mehr kann ich dir nicht sagen. Ich laufe den Strand auf und ab und rufe ihn … aber … Fritz, rufe ich, Fritz!« Ihre Stimme schallte über den Strand. Sie übertrieb, das merkte sie selbst. Unnötig, dass Fritz ihr Handzeichen gab, weniger dick aufzutragen.

      »Dann geh noch mal!«, herrschte Viola sie an. »Such ihn.«

      »Viola, Liebes, wir sollten nicht unnötig die Akkuleistung verschwenden. Ich melde mich, sobald ich etwas Neues weiß.« Nives legte schnell auf.

      »Du bist klasse«, sagte Fritz und küsste sie auf den Mund. »Siehst du, das war der erste Schritt zu meinem Verschwinden. Den nächsten planen wir jetzt. Bald bin ich mausetot!«

      »Ja,


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