In Bildern sprechen. Hugo Caviola

In Bildern sprechen - Hugo Caviola


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einem Wort, reflexiv: Geschichte der Geschichtsschreibung, Philosophie der Philosophie etc.

       Mit einer kategorial neuen Art der Interdisziplinarität haben wir es zu tun, wenn das Problem, das in Angriff genommen werden soll, nicht aus der Wissenschaft selber stammt, sondern einen lebensweltlichen Ursprung hat. Probleme dieser Art sind in der Regel nicht Erkenntnisprobleme, sondern Handlungsprobleme: Unser Handeln ist blockiert, eine Diskrepanz entsteht zwischen dem, was sein sollte, und dem, was faktisch ist. Zum Beispiel: Wie kommt man dem Problem des Illetrismus bei? Wie ­können wir die CO2-Emissionen reduzieren? Die Anfrage ergeht an die für dieses Problem relevanten Wissenschaftsdisziplinen, was sie, aufgrund ihrer bisherigen Erkenntnisse, zu seiner Klärung oder Lösung beitragen können. Diese Form der Interdisziplinarität wird häufig Transdisziplinarität genannt.

      Interdisziplinarität im gymnasialen Unterricht und ihre Schwierigkeiten

      Soweit die Hauptformen der inhaltlich bestimmten Interdisziplinarität. Welches aber sind die für uns interessanten Formen des Interdisziplinären im Kontext des gymnasialen Unterrichts? Von dem in §5 MAR formulierten Bildungsziel her gesehen, ist die Antwort, meine ich, eindeutig: Die Interdisziplinarität, auf die es letztlich ankommt, ist die Transdisziplinarität: der transdisziplinäre Gebrauch der Disziplinen zur Orientierung der in der Lebenswelt stehenden jungen Menschen in ihrer Lebenswelt: zur Orientierung, Deutung, Erklärung ihrer Welt und als Grundlage von Entscheidungen und Handlungen. Eben darin liegt auch die paradoxe und Ratlosigkeit erzeugende Schwierigkeit des gymnasialen Unterrichts. Orientierung durch Wissenschaft bedeutet zum einen: aus lebensweltlichen Bezügen heraustreten, sich von subjektiver Befangenheit, sozialen Vorurteilen, überkommenen Meinungen und fraglich gewordenen Autoritäten befreien durch Eintritt in die Welt der Wissenschaften und durch das Sich-Disziplinieren-Lassen in den Disziplinen. Es bedeutet aber auf der anderen Seite wiederum: sich am Ende auch von den Disziplinen selber wieder zu befreien, zu ihnen Distanz zu gewinnen, um ihre Voraussetzungshaftigkeit und ihre Grenzen zu sehen und ihre relative Bedeutung für die Lebenswelt abschätzen zu können. Diese Distanz aber ist nicht dadurch zu erreichen, dass man zu sagen weiss, was die Disziplin sagt, sondern dass man Rechenschaft darüber abzulegen weiss, was man eigentlich tut, wenn man diese Disziplin betreibt. Gefragt also ist Reflexion. Diese Reflexion jedoch, wenn sie selber wieder wissenschaftsgestützt sein will, kann nur auf eine Art gewonnen werden: durch Metadisziplinarität, das heisst durch den Blick der reflexiven Disziplinen auf die anderen Disziplinen und auf sich selbst: philosophisch – in Bezug auf Logik, Methodologie und Argumentationsweise der Disziplinen, historisch – bezogen auf das Werden und Entstehen von Wissenschaft, soziologisch – im Hinblick auf den Stellenwert von Wissenschaft in unserer Gesellschaft, und nicht zuletzt eben auch literatur- und sprachwissenschaftlich – in Bezug auf die sprachliche Verfasstheit wissenschaftlicher Texte.

      Wie aber steht es mit dieser Reflexion, auf die es so sehr ankäme, im heutigen Gymnasialunterricht? Eine nicht unbegründete Vermutung: Metadisziplinäre Reflexion ist ein seltener Glücksfall. Es gibt dazu keine Unterrichtsgefässe, es fehlen die nötigen Lehrmittel und insbesondere mangelt es an einer auf dieses Bildungsziel hin orientierten Ausbildung der Lehrkräfte. Welche geistes-, sozial- oder literaturwissenschaftlich ausgebildete Lehrperson hat sich schon mit Naturwissenschaften oder den historischen oder philosophischen Grundlagen ihrer eigenen Wissenschaftsdisziplinen befassen müssen, welche Lehrperson der Naturwissenschaften mit einer philosophischen oder geisteswissenschaftlichen Betrachtungsweise ihrer Fächer? In diesem Brachland der gymnasialen Bildung ist jede noch so kleine unterrichtsbezogene Hilfestellung willkommen. Das hier vorliegende Lehrmittel kann für sich beanspruchen, auf exemplarische Weise zu zeigen, wie die postulierte metadisziplinäre Reflexion aussehen könnte. Dass diese Reflexion als Sprachreflexion am Beispiel der Metapher einsetzt, macht ihre besondere Attraktivität aus: Metaphern haben, wie die heute blühende Metaphernforschung beweist, eine Sogkraft, der sich auch Schülerinnen und Schüler nicht leicht werden entziehen können. Das Forschungsteam jedenfalls, das hinter diesem Lehrmittelprojekt steht, hat sich durch den stimulierenden Geist der Metaphern immer wieder beflügeln lassen, und ich kann mir nur wünschen, dass dieser Geist auch viele gymnasiale Klassen ergreifen wird.

      Ziel, Konzept und didaktischer Aufbau

      Das vorliegende Lehrmittel geht neue Wege in der Sprachbetrachtung, indem es die Metapher aus ihrer traditionellen Zuordnung zur literarischen Sprache herauslöst. Neuere Erkenntnisse der Linguistik, Wissenschaftsphilosophie und -soziologie weisen darauf hin, dass «sprachliche Bilder» nicht nur die Konzepte unseres Wahrnehmens, Erlebens und Handelns strukturieren, sondern auch für Bildung und Wissenschaft von grundlegender Bedeutung sind. Das vorliegende Lehrmittel geht von dieser neuen Gewichtung der Metapher aus und lädt Lernende der Sekundarstufe II dazu ein, die Kreativität und Suggestionskraft, die der Metapher eigen sind, in ausserliterarischen und wissenschaftlichen Sachgebieten aufzu­spüren.

      Was kann Metaphernreflexion dieser Ausrichtung im Deutsch- oder Philosophieunterricht leisten?

       Sie macht Lernenden bewusst, dass Sachwissen in hohem Mass durch Sprachbilder erschlossen wird, die neben Erkenntnis auch Irrtümer, Ideologien und Mythen transportieren. Die Auseinandersetzung mit Metaphern trägt nicht nur zur Aufklärung über Sprache bei, sie bietet auch einen Beitrag zur Allgemeinbildung, indem sie ins Bewusstsein rückt, dass Wissen weitgehend durch Sprache vermittelt wird.

       Metaphernreflexion kann aber auch zum fächerübergreifenden Denken anleiten. Indem sie reflektierend der Übertragungsfunktion folgt, die den metaphorischen Sprachgebrauch kennzeichnet, schärft sie die Wahrnehmung von Analogien zwischen inhaltlich getrennten Bereichen.

       Der kritische Umgang mit Metaphern aus ihren Sachfächern hilft Lernenden, die Wahrnehmungsweisen einzelner Fachsprachen, ihre Realitätsauffassung und ihre blinden Flecken zu erkennen. Reflexion wissenschaftlicher Metaphern eröffnet somit einen Zugang zu einer gymnasialen Wissenschaftspropädeutik, die Voraussetzungen zum fächerübergreifenden Denken und Handeln schafft.

      Einsatz im Unterricht

       Das Lehrmittel versammelt Material zu unterschiedlichen Themen (z.B. Zeit, Körper, Natur, Gedächtnis, Wirtschaft, Gesundheit, Krieg, Computer), die zum exemplarischen Einsatz im Unterricht einladen. Ihre Behandlung kann sich etwa aus einer Klassenlektüre ergeben oder an ein Thema aus der Literaturgeschichte anschliessen.

       Macht man die Metapher zum eigentlichen Unterrichtsthema, so bietet der praktische Teil Material für Arbeit in Gruppen, die in der Wahl eines Themas ihren eigenen Interessen folgen können. Die Texte zu den Arbeitsanregungen sind mit Absicht knapp gehalten, so dass sie die Klasse in kurzer Zeit bewältigen kann.

       Der Einleitungsteil bietet Theorie- und Übungsmaterial, das in wenigen Lektionenschritten auf die Arbeit am nachfolgenden praktischen Teil vorbereitet. (In der Minimalform genügt das Kapitel «Was ist eine Metapher? Ihre gedankenleitende Wirkung».)

       Einzelne Kapitel eignen sich auch zum Einsatz im Fach Geschichte (Metaphern zur Beschreibung von Gesundheit und Krankheit, Gesundheit und Krieg, Metaphern des Holocaust, Metaphern des Darwinismus).

      Das Lehrmittel bietet Material in zwei Schwierigkeitsstufen

      Stufe I Sekundarstufe II ab dem 11. Schuljahr

      Eine knappe Einführung in die gedankenleitende Wirkung der Metapher schärft die Sensibilität der Lernenden für Metaphern in der Alltagssprache und zeigt exemplarisch auf, wie die durch Metaphern vermittelte Optik durchschaut werden kann.

      Metaphern:

       Stammbaum und Darwinismus

       Genetik

       Gedächtnis


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