In Bildern sprechen. Hugo Caviola
Stufe II Abschlussjahr vor der Hochschulreife
Hier werden die wissenschaftspropädeutischen Aspekte der Metapher erschlossen («Metaphern in der Wissenschaft»). Dieser Zugang kann direkt erfolgen, indem man die Grundlagen der Metaphernreflexion rasch durchläuft und zur Behandlung der wissenschaftlichen Metaphern hinführt. Es ist aber auch möglich, die Grundlagen der gedankenleitenden Wirkung der Metapher früher einzuführen und die wissenschaftspropädeutische Ausweitung im 12. Schuljahr anzuschliessen.
Metaphern:
Stammbaum und Darwinismus
Genetik
Gedächtnis
Geschlechtsmetaphern
Ökologie
Metaphernreflexion wirkt am stärksten, wenn die Lernenden das Sachgebiet, aus dem die Metaphern stammen, aus dem Sachunterricht schon kennen. Sprachunterricht soll also nicht biologischen Stoff wie Darwinismus, Ökologie oder Genetik (in sachlich inkompetenter Weise) vermitteln, um ihn dann noch sprachlich zu reflektieren.
Der thematisch gebundene Einsatz in den Themen Ökologie, Darwinismus oder Ökonomie macht auch die punktuelle Zusammenarbeit mit einer Lehrperson aus den Fächern Biologie, Geschichte oder Wirtschaft möglich, die in Zweifelsfällen Sachwissen beisteuern kann. Das ausführliche Material zu diesen Themen lädt aber auch zu einem Einsatz in einem fächerübergreifenden Themenkurs, einer Studienwoche o. Ä. ein.
Bei der Auswahl der Metaphern wurde darauf geachtet, dass sie aus der Erfahrungswelt der Lernenden oder aus dem Wissenskanon der Sekundarstufe II stammen. Besonderes Gewicht wurde auf Metaphern gelegt, die eine Bedeutung für die Mensch-Umwelt-Beziehung besitzen.
Fächerübergreifendes Denken durch Metaphernreflexion: Einleitendes zur Methode
1. Metaphernreflexion im gymnasialen Deutschunterricht
Liest man Lehrbücher des Sachunterrichts mit sprachkritischem Blick, so tritt man in eine Welt der Metaphern ein: Da finden wir etwa in der Biologie «Stoffkreisläufe» und «Energieflüsse», «Nahrungsketten», ökologische «Nischen» und «Netze». Zellen sind «Grundbausteine», Gene «Texte», und die Geschichte des Lebens wird im Bild des Stammbaumes dargestellt. Im Wirtschaftslehrbuch stösst man auf Metaphern wie «Wachstum» und «Strategie», «Marktanteile», «Geldflüsse» und «Steuerfüsse»; Unternehmen sind «Schiffe», «Pflanzen» oder «Maschinen». Auch die Informatik baut ihre zentralen Begriffe auf Metaphern. Man denke nur an ihre «Netze», «Speicher» und «Viren».
Metaphernblindheit im Sachunterricht
Die Fähigkeit der Metapher, Ungegenständlichem plastische Gestalt zu verleihen, macht sie in allen abstrakten Sinnbereichen unverzichtbar. Beim Lesen von Sachtexten aber erweisen sich Lernende (und nicht nur sie!) als weitgehend blind für Metaphern. Durch häufigen Gebrauch verblassen Metaphern und geben einen trügerisch direkten Blick frei auf die Dinge. Diese Metaphernblindheit im Sachunterricht widerspiegelt die traditionelle Ausrichtung der schulischen Sprachbetrachtung. Der Deutschunterricht beschränkt sich meist auf die literarischen Aspekte der Metapher. Seltener gelangt auch die manipulative Funktion metaphorischer Rede, etwa in der politischen Rhetorik oder der Werbung, ins Blickfeld der Sprachbetrachtung.
Metaphernreflexion als Zugang zum fächerübergreifenden Denken
Dieses Lehrmittel geht über diese angestammte Wertung der Metapher hinaus. Es macht Lernende mit ihrer kognitiven, Erkenntnis schaffenden und lenkenden Funktion vertraut, wie sie in der Alltagssprache und in der Wissenschaft wirkt. Fachsprachenforschung, Wissenschaftsphilosophie und -soziologie der letzten Jahrzehnte haben der Einsicht Geltung verschafft, dass Metaphern für den Aufbau und die Vermittlung von Wissen unverzichtbar sind (Blumenberg 1971, Bono 1990, Danneberg 1995, Debatin 1996, Hesse 1995, Niederhauser 1995, Maasen u. Weingart 2000, Liebert 2002). Metaphernreflexion, wie sie dieses Lehrmittel vorschlägt, schliesst an diese Erkenntnisse an. Sie richtet sich auf nicht-literarische Metaphern und betrachtet diese, als ob sie literarische, also deutungsbedürftige rhetorische Figuren wären (z.B. Gedächtnis als Speicher, Gen als Text). Indirekt eröffnet sie damit auch einen Zugang zum fächerübergreifenden Denken.
Sprachkritik als Ideologiekritik und als Hermeneutik der Fachsprachen
Metaphernreflexion dieser Art hat ihren Ort im Deutsch- oder Philosophieunterricht. Sie verfährt interdisziplinär, indem sie die geisteswissenschaftliche Methode der Sprachbetrachtung (Hermeneutik) auf Sachtexte und Alltagsfelder ausdehnt, die gewöhnlich von sprach- und ideologiekritischer Betrachtung ausgeschlossen bleiben.
Diese Ausweitung der Zuständigkeit des Fachs Deutsch (und Philosophie) kann bei Lernenden zunächst Irritation und Widerstand auslösen, der kulturell eingespielte Wahrnehmungsgewohnheiten zum Ausdruck bringt («Was haben Sachtexte im Sprachfach zu suchen?»). Ihre Überwindung aber gewinnt in der Metaphernreflexion ein Verfahren, das auf alle Fachsprachen übertragbar ist. Im Unterschied zu anderen Formen des fächerübergreifenden Unterrichts, etwa dem Projektunterricht oder dem Teamteaching, bedarf Metaphernreflexion keiner besonderen schulischen Organisationsformen (obwohl Teamteaching von Fall zu Fall als Ergänzung möglich ist). Ihre Interdisziplinarität ist vorab Interdisziplinarität «im Kopf».
2. Metaphern schlagen Brücken und erhellen das Disziplinendenken
a. Analogien erkennen
Metaphern sind diskursübergreifend
Metaphern schlagen Brücken zwischen Gegenstandsbereichen, die im gewohnten Sprachgebrauch getrennten Kategorien angehören, aber durch Ähnlichkeits- oder Analogiebezüge verbunden sind. Beispiele: «Das Vermögen wächst» verbindet Geld mit der Welt der Pflanzen, die Standardmetapher «Der Mensch ist ein Wolf» schlägt eine Brücke zwischen Mensch und Tier. Metaphernreflexion folgt der Übertragungsfunktion, die der Metapher ihren Namen verleiht (metaphorá geht zurück auf: metá=herüber und phérein=tragen). Der bewusste Umgang mit Metaphern leitet Lernende dazu an, Analogien zwischen getrennten Wissensgebieten zu erkennen, aber auch die Unterschiede zwischen ihnen (Dysanalogien) wahrzunehmen.
Metaphernreflexion eröffnet einen anderen Umgang mit Begriffen, als ihn die auf Aristoteles zurückgehende Begriffslogik vorgibt, die für die neuzeitliche Wissensform bestimmend ist (Satz der Identität, Satz des auszuschliessenden Widerspruchs und Satz vom ausgeschlossenen Dritten). Während die neuzeitliche Wissenschaft distinkte Gegenstände festhält (z.B. Tiere, Pflanzen, Menschen, Steine) und sie nach Gattungen, Arten, Unterarten etc. ordnet – und damit auch für die Ausbildung von Disziplinen verantwortlich ist – vollzieht das Analogiedenken die Zuordnung quer durch die Gattungen bzw. Arten, indem sie ihre Ähnlichkeiten festhält. Analogiedenken ist heute nicht nur in der Sprachform der Metapher präsent, es hat sich in den letzten Jahrzehnten auch in der Theorie der fuzzy logic (Mengenlehre) und der Selbstähnlichkeit (Fraktale in der Mathematik und Physik) etabliert, ebenso wie in der Mehrweltentheorie der Quantenphysik (Licht besitzt sowohl Teilchen- als auch Wellennatur) (Gloy 2001).
Anleitung zum «analogen und vernetzten Denken»
Schulische Sprachreflexion bietet eine Chance, die «kalkulierte Absurdität» der Metapher zu durchschauen und eine «geregelte Identifikation von Verschiedenem» zu erlernen (Gloy 2001, S. 323). Sie nimmt damit die Ansprüche des heutigen Bildungswesens auf, die, wie z.B. das Schweizerische Maturitätsreglement (MAR 5.2.), eine Schulung des «analogen und vernetzen Denkens» fordern.
b. Wissenschaftspropädeutik
Der gedankliche Vollzug der Metapher setzt eine diskursübergreifende Denkbewegung in Gang, die man – wenn man sie sich bewusst macht – auch zum Erlernen fächerübergreifenden Denkens nützen kann. Der Weg dazu führt über eine stufengerechte Form der Wissenschaftspropädeutik.
Wissenschaftspropädeutik