In Bildern sprechen. Hugo Caviola

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rel="nofollow" href="#ueaa2ab08-d4f1-4fc4-bbed-9002af2766ce">«Dolly – die identische Kopie» behandelt.

      5. Metaphernreflexion und Interdisziplinarität

      Wissenschaftliche Begriffe schliessen ­Alltagsimplikationen aus

      Wissenschaftliche Metaphern sind janusköpfig. Aus der Innensicht eines Faches besitzen sie den Status von Fachbegriffen (Termini). Zu Fachbegriffen macht sie ihre explizite Definition. Diese verleiht ihnen transsubjektive Geltung und stabilisiert sie – zumindest weitgehend – in ihrem Gebrauch. Beispiel: Die Physik definiert Arbeit als Weg x Kraft. Alltagsimplikationen wie Anstrengung und Erwerbsmöglichkeit sind dabei ausgeblendet. Wissenschaftliche Metaphern bleiben aber – auch wenn sie zu Fachbegriffen geworden sind – in ihrem Kern an ihre Modellfunktion gebunden, die ursprünglich durch eine metaphorische Übertragung zustande kam. Die begriffliche «Abdichtung» wissenschaftlicher Begriffe gegen ihre Implikationen aus der Alltagssprache bereitet vor allem Lernenden oft Schwierig­keiten. Im Literaturunterricht ist ein «romantischer Roman» mehr als nur gefühlvoll, er ist ein Werk aus der Romantik. Ein «tragisches Stück» beschreibt den verhängnisvollen Konflikt zwischen dem Individuum und dem übermächtigen Schicksal, ist also mehr als «traurig». Die ökologische «Nische» der Biologie meint kein räumliches Phänomen, sondern den komplexen Zusammenhang zwischen Organismus und Umwelt.

      Ohne klare Fachbegriffe gibt es keine wissenschaftliche Rationalität. Fachbegriffe verleihen wissenschaftlichen Aussagen Klarheit und legen die Grenzen von Disziplinen fest. Die Verabsolutierung von Fachbegriffen kann aber auch Irrtümer und Mythen erzeugen. Geht vergessen, dass ein Terminus einen metaphorischen Kern enthält, entsteht der Glaube, dass man mit ihm direkt bei den Dingen sei, das heisst, auf eine vorgängig existierende Ordnung der Dinge zugreife. Eine Zelle ist dann wirklich ein Grund«baustein» des Lebens, das Gedächtnis ein «Speicher», ein Affe ein «höheres» Tier als ein Fisch. Die Gegenstände der Wissenschaft und ihrer Disziplinen erscheinen als naturgegeben, Dinge und Denkweisen sind ideologisch fixiert.

      Metaphernreflexion führt von der Wissenschaft in die Alltagswelt

      Fächerübergreifend im engeren Sinn wird Metaphernreflexion dann, wenn sie sich mit wissen­schaftlichen Termini metaphorischen Ursprungs befasst. Der Weg der Reflexion führt dann meist von der Wissenschaft in die Alltagssprache, von wo wissenschaftliche Metaphern Vorstellungen in die Wissenschaft importieren (Zell«bausteine» erinnern an ein Bauwerk, Gedäch­tnis«speicher» an einen Kornspeicher oder Computer). Diese anschauliche ­Alltagswelt, in der wir leben und handeln, bildet den Boden, von dem die Fach­wissenschaften ausgehen, wenn sie das Unbekannte metaphorisch erkunden. Die Alltagssprache bleibt also der verlässlichste Boden, der die verschiedenen Fachsprachen untereinander verbindet.

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      Fachliche Brillen

      austauschen

      Dies bedeutet, dass der Weg der Reflexion zunächst von den wissenschaftlichen Metaphern zurück in die Alltagssprache führt. Konkret ist dies folgendermassen zu verstehen: Interdisziplinär arbeitende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bzw. Lernende haben es bekanntlich mit mehreren disziplinären «Brillen» zu tun. Sie müssen sich erstens der eigenen bzw. der neu erlernten Perspektive (und durch Reflexion ihrer blinden Flecken) vergewissern, und sie müssen zweitens, zumindest was die ersten Schritte angeht, die eigene fachliche Brille nach Bedarf austauschen können. Das verlangt von ihnen, dass sie den Weg, der zur jeweiligen besonderen Perspektive führt, bildlich gesprochen, auch «rückwärts» gehen können, um sich aus der wiedergewonnenen Alltagssicht heraus eine andere Spezialperspektive anzueignen (vgl. Schneider 1993).

      Eine gymnasiale Wissenschaftspropädeutik gewinnt ihre Bedeutung vor diesem Hintergrund. Ergebnisse der neueren Wissenschaftsforschung (z.B. Defila und di Guilio 1996 und Klein 1996, S. 216–25) und neuere Ansätze der Allgemein- und Fachdidaktik weisen darauf hin, dass erfolgreiche Interdisziplinarität nicht allein bei Fragen der äusseren Unterrichtsorganisation ansetzen sollte, sondern auch auf dem Wissen über die Grundlagen der eigenen Disziplin aufbaue (Bastian et al. 2000, S. 99ff; Golecki 1999, S. 26f; Huber 1998 und 1999). Interdisziplinarität setzt Disziplinarität voraus. Nur wer die spezifische Gerichtetheit des eigenen disziplinären Zugangs erkennt, wird sein Fachwissen reflektieren und den Perspektiven anderer Wissenschaften öffnen können. Dies bedeutet: Interdisziplinarität verlangt neben Disziplinarität auch «Distanz zur Disziplin» (Schneider 1993), eine Distanz, die den Blick frei gibt zu erkennen, in welcher Weise das eigene Fach seinen Untersuchungsgegenstand konstituiert und was es unter diesen Bedingungen nicht wissen kann (Mittelstrass 1987; Gudjons 1997).

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      Reflexion metaphorischer Fachbegriffe kann Lernende dazu befähigen, die begrifflich abgesteckten Reichweiten und Grenzen von Schulfächern zu erkennen. Auch bloss exemplarische Einsicht, dass Sachwissen durch Sprache vermittelt ist, kann im Bewusstsein der Lernenden eine prägende Transferwirkung auslösen.

      Eine didaktisch vermittelte Metaphernreflexion ersetzt nicht eine spätere universitäre Wissenschaftspropädeutik, löst aber die vielfach erhobene Forderung nach Sprachreflexion als eine der Voraussetzungen interdisziplinären Arbeitens ein (Huber 1996, S. 145; Tangemann 1980, S. 40; Tenbruck 1988, S. 18).

      Das Konzept von Interdisziplinarität, das diesem Lehrmittel zu Grunde liegt, lässt sich demnach – in Anlehnung an Mittelstrass – Interdisziplinarität von unten nennen. Wer nicht interdisziplinär gelernt hat, kann später auch nicht interdisziplinär forschen (Mittelstrass 1987).

      Literaturhinweise

       Bastian, Johannes und Arno Combe et. al. (2000). Profile in der Oberstufe. Fächerübergreifender Projektunterricht in der Max-Brauer-Schule Hamburg. Hamburg: Bergmann-Helbig.

       Black, Max (1954). Die Metapher. In: Haverkamp 1996. S. 55–79.

       Ders. (1977). Mehr über die Metapher. In: Haverkamp 1996. S. 379–413.

       Blumenberg, Hans (1960). Paradigmen zu einer Metaphorologie. In: Haverkamp 1996. S. 285–314.

       Ders. (1971). Beobachtungen an Metaphern. In: Archiv für Begriffsgeschichte (15). S. 161–214.

       Ders. (1980). Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

       Bono, James (1990). Science, Discourse and Literature: The Role/Rule of Metaphor in Science. In: Stuart Peterfreud Ed. Literature and Science: Theory and Practice. Boston: Northeastern University Press.

       Bühl, Walter L. (1984). Die Ordnung des Wissens. Berlin: Duncker und Humblot.

       Danneberger, Lutz et al. Hrsg. (1995). Metapher und Innovation. Bern: Haupt.

       Debatin, Bernhard (1996). Die Modellfunktion der Metapher und das Problem der «Metaphernkontrolle». In: Hans-Julius Schneider. Hrsg. Metapher, Kognition, Künstliche Intelligenz. München: Wilhelm Fink. S. 83–103.

       Defila, Reto und Antoinetta di Guilio (1996). Voraussetzungen zu interdisziplinärem Arbeiten und Grundlagen ihrer Vermittlung. In: Balsinger, Ph. W., R. Defila, A.di Guilio. Hrsg. (1996). Ökologie und Interdisziplinarität – eine Beziehung mit Zukunft? Basel [etc.]: Birkhäuser. S. 125–142.

       Donald Davidson (1976). Was Metaphern bedeuten. In: Ders.: Wahrheit und Interpretation. Frankfurt/M.: Suhrkamp. S. 343–371.

       Drewer, Petra (2003.Die kognitive Metapher als Werkzeug des Denkens. Zur Rolle der Analogie bei der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnis. Tübingen: Narr.

       Golecki, Reinhard (1999). Ziele und Formen fächerverbindenden Unterrichts auf der gymnasialen Oberstufe. In: Ders. Hrsg. Fächerverbindender Unterricht auf der gymnasialen Oberstufe. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. S. 19–40.

       Gessinger, Joachim (1992). Metaphern in der Wissenschaftssprache.


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