Lehren und Lernen. Andreas Schubiger
Handlungsplanung
Die Phase nach der Vorsatzbildung besteht hauptsächlich aus Planungshandeln. Vielfach können Absichten und Vorsätze nicht unmittelbar in Handlungen umgesetzt werden oder begonnene Handlungen müssen unterbrochen werden. In dieser Phase werden Überlegungen gemacht, wie das gesetzte Ziel am besten erreicht werden kann. In dieser Phase werden das «Wann», «Wo», «Wie» und «Wie lange» eines Handlungsablaufs thematisiert (Gollwitzer, 1996).
Handlungsausführung
Abhängig von einer günstigen bzw. planbaren Situation und der individuellen Willensstärke kommt es zur Handlungsausführung.
Aus den obigen handlungspsychologischen Überlegungen leiten wir folgende didaktische Konsequenzen ab:
•Bedürfnisse und sich widersprechende Motive werden zu Beginn des Veränderungsprozesses ernst genommen und bewusst gemacht.
•Der Zielbildung wird im didaktischen Design Rechnung getragen.
•Die Lernenden werden in der Vorsatzbildung unterstützt und angeleitet.
•Die Lernenden werden in ihrer Vorsatzbildung und Selbstverpflichtung in kollegialen Tandems und Gruppen unterstützt. Dabei wird einerseits die Vorsatzbildung aufrechterhalten und andererseits gegen konkurrierende Absichten und Handlungen verteidigt.
Folgende Bedingungen begünstigen das Wollen der Lernenden:
•Ängste und Wünsche werden ernst genommen.
•Erfahrungen und Vorwissen werden gewürdigt, aufgenommen und anschlussfähig gemacht.
•Durch aktuelle Problemstellungen, die einen Bezug zur Alltagswelt resp. Praxis haben, werden Interesse und Anschlussfähigkeit erzeugt.
•Lernende werden an den Vorhaben des gemeinsamen Lernens beteiligt und haben ein Mitspracherecht.
•Die Lernziele sind für die Lernenden realistisch und realisierbar.
•Die Lernenden wissen, was sie zu tun haben, und sie erhalten viele sinnvolle und abwechslungsreiche Übungsmöglichkeiten.
•Die Aufgabenstellungen sind dem aktuellen Können angepasst, sie über- und unterfordern nicht.
•Die Lernenden erhalten durch kleine kontinuierliche Erfolge das Gefühl, es zu schaffen (Selbstwirksamkeit).
•Die Lernenden werden in der Arbeitswelt in der Umsetzung neuer Kompetenzen unterstützt.
Abbildung 9 Rubikonmodell und unterstützende Faktoren einer Lernumgebung
Diesen weiten Weg vom Wissen zum Handeln können wir durch verschiedene didaktische Arrangements unterstützen, aber nicht garantieren. Vielmehr müssen wir auch damit rechnen, dass Störungen wie «Giftpfeile» diesen Weg behindern. Solche Störungen sind u. a. Ablenkungen, andere Prioritäten, Frustrationen oder Veränderungen der Umweltbedingungen.
3.2 RITA – die Kubatur der Kompetenz
Das folgende Modell – wir nennen es nach den Anfangsbuchstaben seiner Ebenen RITA – versucht, die Erkenntnisse über das Wissen, Wollen und Können mit den Erkenntnissen über das Lernen in einem Stufen- und Lernprozessmodell zu vereinen.
Kompetenzentwicklung im Rahmen organisierter und institutioneller Bildung kann grob als ein Lernprozess in vier Schritten betrachtet werden:
•Ressourcen aktivieren: Vorwissen, Interesse, Vorerfahrungen und aktuelle Problemstellungen werden aktiviert.
•Informationen verarbeiten: Neues Wissen wird an vorhandenes angeknüpft, in die eigenen kognitiven Strukturen integriert, d. h. «verstanden», und in Übungen und auf aktuelle Problemstellungen angewandt.
•Transfer anbahnen: Know-how wird mit Transferaufgaben, Vorsatzbildungen und eigentlicher Praxisumsetzung aufgebaut.
•Auswerten: Ressourcen werden klassisch geprüft, eine Kompetenzbilanz wird erstellt, es wird zur Reflexion angeregt, kontinuierliche Verbesserungsprozesse werden angebahnt und die Performanz wird beurteilt (Erfolg in der Praxis).
Abbildung 10 RITA Modell
Es gelten folgende Gesetzmässigkeiten:
•Ein vollständiger Lernprozess durchläuft alle Stufen von RITA.
•Auf jeder Stufe werden, wenn möglich, Wissen, Wollen und Können aktiviert.
•Der Königsweg auf allen Stufen ist die Orientierung an einer Problemstellung.
•Die nächsthöhere Stufe kann umso erfolgreicher bewältigt werden, je besser die unteren Stufen aus- und aufgebaut sind.
Wissen ist immer auch an konkrete Erfahrungen gebunden. Weil bereits auf Vorwissen und Vorerfahrungen aufgebaut werden kann, entsteht ein Selbstwirksamkeitsgefühl: «Ich kann und weiss schon etwas.» Die Problemorientierung stellt den Bezug zur Praxis her und leitet zur nächsthöheren Ebene über. Es entstehen Betroffenheit und Sinnhaftigkeit (Wollen), die zu individuellen Absichten und Vorsätzen führen.
Jeder Schritt im Lernprozess kann folglich in vier Bereiche eingeteilt werden, die ihrerseits in Abhängigkeit zueinander stehen:
Wissen (Wi) | Können (Kö) |
---|---|
Wollen (Wo) | Problemorientierung (Pr) |
In folgenden Abschnitten werden die vier Ebenen des Lernprozessmodells RITA im Detail beschrieben.
3.2.1 Ressourcen aktivieren
Vorwissen (Wi)
Sowohl Lernende der Grundbildung wie auch Studierende der höheren Berufsbildung verfügen über ein mehr oder weniger grosses Vorwissen. Dieses kann aus Vorbildungen, beruflichen Situationen wie auch aus dem Alltag stammen. Wissen, das an vorhandenes Wissen anknüpft, wird schneller und nachhaltiger gespeichert. Es kann daher im Nachhinein besser darauf zurückgegriffen werden. Darüber hinaus vermittelt die Reaktivierung der Ressourcen das Gefühl, bereits etwas zu wissen. Es ermöglicht den Lernenden ein erstes Kompetenzerlebnis, das sich wiederum auf ihr persönliches Interesse auswirkt.
Erfahrungen (Kö)
In beruflichen Aus- und Weiterbildungen bringen die Teilnehmenden bereits einen reichen Schatz an Erfahrungen mit. Diese Erfahrungen basieren auf direkten und indirekten Beobachtungen oder auf eigenem professionellem Handeln. Es kann auch sein, dass sie bereits Verhaltensroutinen entwickelt haben, die sich ihrem Bewusstsein entziehen. Die Beachtung dieser Vorerfahrungen hat zwei wesentliche Bedeutungen:
Erstens werden vorhandene Ressourcen im Bereich des Know-how, der Fertigkeiten und Haltungen sichtbar und anschlussfähig gemacht. Zweitens werden bereits vorhandene Verhaltensroutinen bewusst und bearbeitbar gemacht. Das heisst, es wird überprüft, ob sie funktional sind und inwiefern es von Interesse ist, sie weiterzuentwickeln.
Interesse (Wo)
Die Erfahrung des Lernenden, bereits Kompetenzen zu besitzen, lässt ihn Selbstwirksamkeit erleben und steigert Wollen und Interesse an der Weiterentwicklung und Optimierung dieser Kompetenzen. Selbstwirksamkeit bedeutet die Erfahrung von Autonomie, sozialer Eingebundenheit und Kompetenz.
Problemstellung