Es ist alles ganz einfach. Massimiiano Allegri

Es ist alles ganz einfach - Massimiiano Allegri


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erwähnen, dass sich dann auch noch Claudio Marchisio verletzte.

      Das Problem war, die richtige Kommunikationsweise zu finden. Sollte ich brüllen wie damals, als ich als Trainer des AC Mailand in Lecce vor drei in der ersten Halbzeit kassierten Toren stand, oder sollte ich den Spielern die Möglichkeit geben, sich abzureagieren. Viele denken, dass einem Trainer eine Viertelstunde zur Verfügung steht, um mit seiner Mannschaft zu sprechen. Doch ich sage euch aus Erfahrung, dass er nicht mehr als drei Minuten hat. Du kannst dich mit so vielen Tafeln dort hinstellen, wie du willst – man hat mir auch schon erzählt, dass manche Trainer bereits Videos parat haben, um die Megafehler zu zeigen –, doch es sind und bleiben drei Minuten.

      Ich blickte den Jungs in die Augen und sah dort mehr Frust als Hoffnungslosigkeit. Es war nicht dieser Pessimismus, der dich in der zweiten Halbzeit negativ beeinflussen kann. Ich verrate euch jetzt noch nicht, was genau damals in der Umkleide geschehen ist. Das will ich erst im Zusammenhang mit einer weiteren Regel tun, nämlich dass man sich bei Mitteilungen an die Spieler auf das Wesentliche beschränken sollte. Ich will nur erwähnen, dass ich ganz ruhig zu sprechen begann und dabei – wie ich das immer schon getan habe – einfache Konzepte zu vermitteln versuchte.

      In der zweiten Halbzeit eroberten wir nach und nach das Spielfeld zurück, doch nach einem Ballverlust gelang es der Mannschaft nicht, den Konter des FC Bayern zu stoppen, der dann mit dem zweiten Tor für die Bayern – von Arjen Robben – endete. Es war ein typisches Robben-Tor, von der Außenbahn nach innen gezogen: Im Laufe seiner Karriere hat er vermutlich schon Hunderte von Toren auf diese Weise geschossen. In diesen Momenten, in denen es im Stadion still wird und du spürst, wie die Stimmung unter den Gefrierpunkt sinkt, ist es sehr wichtig, den Jungs Mut zuzusprechen, denn vor einem 0:2 zu stehen gegen einen sichtlich stärkeren Gegner, ist nicht so ganz das, was man sich von einer Mannschaft erwartet, die im Jahr zuvor das Finale der Champions League bestritten hatte.

      Schon als Jugendlicher habe ich jedoch eine Entscheidung getroffen: Lass dich niemals von Negativität oder von Pessimisten beeinträchtigen, da sie dir nur Energie rauben und sich dies letztlich auf deine Arbeit auswirken wird. Als die Jungs das Mittelfeld zurückeroberten, habe ich genau „gesehen“, wie sich dieses Spiel entwickeln konnte. Ich hatte Vertrauen, da wir endlich den Ball halten konnten und vor allem die direkten Zweikämpfe gewannen. Und tatsächlich, nach etwa zehn Minuten kam der Ball in unsere Angriffszone, Mario Mandžukić gewann einen Zweikampf und lieferte Paulo Dybala die Vorlage zum 1:2. Paul Pogba gewann einen weiteren Zweikampf, und durch eine großartige Mannschaftsaktion kam es zum Ausgleich durch Stefano Sturaro.

       Lass dich niemals von Negativität oder von Pessimisten beeinträchtigen.

      Angesichts eines 2:2 gibt es sicherlich keinen Grund zum Jubeln, aber so, wie sich die Dinge entwickelt hatten, war es ein fantastisches Ergebnis für uns. Und ich war sehr zufrieden, da ich den Spielern ein Konzept vermitteln konnte und sie es nicht nur übernommen, sondern auch während der gesamten zweiten Halbzeit in die Tat umgesetzt hatten. Wenn ich heute daran zurückdenke, was damals beim Rückspiel geschah, kann ich sagen, dass es, egal welche Anweisung du gibst, keine Garantie dafür gibt, dass dies automatisch auch zum erhofften Ergebnis führt – selbst dann, wenn die Mannschaft diese Anweisung verstanden und in die Tat umgesetzt hat. Denn im Fußball gibt es auch die Variable eines unvorhergesehenen Fehlers, den sogar ein erfahrener Spieler wie Patrice Evra machen kann – und der kostet dich dann unter Umständen die Qualifikation.

      All dies bestätigt die Theorie dieses Arztes. Fußball ist also keine exakte Wissenschaft. Das war die Schlussfolgerung, die ich aus diesem Achtelfinale gegen Bayern München zog.

      Ich schließe mit dem Gedanken ab, mit dem ich angefangen habe: Je schlechter der Tabellenplatz einer Mannschaft, desto eher findet man einen Spieler, der für sich allein spielt, um zu beweisen, dass er besser als seine Mitspieler ist. Das geht vollkommen gegen meine Philosophie der Einfachheit, denn, wer einfach spielt, stellt sich automatisch in den Dienst seiner Mannschaft. Mein Talent sollte mir dazu dienen, die Leistung des ganzen Teams zu verbessern, und nicht, um mich von ihm abzuheben. Und genau dadurch wird aus einem Champion ein echter Ausnahmespieler. Da die Einfachheit, wie schon mehrfach erwähnt, ein Konzept ist, das man sich nicht so leicht aneignet, ist es auch klar, dass es einem begabteren Spieler leichter fällt, „einfach zu spielen“, gerade weil es für ihn eher machbar ist. Ein schlechterer Spieler verliert sich jedoch häufig in egoistischen Aktionen, was kontraproduktiv für das Endergebnis sein kann.

      An welchem Wochentag ist es gut, sich dieses Konzept in Erinnerung zu rufen? Instinktiv würde ich sagen: ständig und täglich. Wenn man jedoch einen speziellen Zeitpunkt nennen wollte, denke ich, dass man es an den beiden letzten Trainingstagen vor dem nächsten Spiel tun sollte. Genau in diesen sensiblen Momenten sollten Trainer und Mannschaft ihre Aufmerksamkeit besonders darauf richten, sich nicht in nutzlosen und sogar kontraproduktiven narzisstischen Aktionen zu verlieren. Die Perfektion einer Bewegung, eines Spielzugs oder einer konzertierten Mannschaftsaktion liegt in ihrer Natürlichkeit und sicher nicht in einer ununterbrochenen, oberflächlichen Suche nach Schönheit.

      Was ich über andere sage

       Über Carlo Ancelotti

       „Er konnte aufgrund seiner großen Intelligenz auf der Trainerbank des SSC Neapel die Arbeit von Maurizio Sarri fortführen. Wir sprechen von einem der größten Trainer der letzten Jahre: Heute morgen habe ich begonnen, die Liste seiner Erfolge zu lesen, um sie dann irgendwann zur Seite zu legen, weil sie unendlich lang war. Es wäre an der Zeit, dass er endlich mal mit dem Gewinnen aufhören würde!“

       Über Fabio Capello

       „Von den Trainern der alten Schule sind Fabio Capello und Marcello Lippi diejenigen, die ich stets am meisten bewundert habe. Mir gefällt die Vorstellung, dass es nicht nur einen Weg zum Gipfel gibt. Es können ein paar enge Kurven kommen, dann geht man weiter. Was zählt, ist, dass man durch die richtige Einschätzung der jeweiligen Situation ans Ziel gelangen kann.“

       Über Antonio Cassano

       „Als ich Trainer beim AC Mailand war, war er mit seinen Vorlagen und Toren ein sehr wichtiger Spieler, zumindest bis er Herzprobleme bekam. Der AC Mailand stand ihm bei, und dank der Rossoneri („Rotschwarzen“) konnte er an der Europameisterschaft teilnehmen. Ich bin glücklich, ihn trainiert zu haben. Mit mir hat er viel und häufig gespielt.“

       Regel Nr.

       4

       „Ich möchte denkende Spieler und keine hirnlosen ‚Zuchthühner‘ haben.“

      Als Kind hörte ich des Öfteren von einem großen Künstler reden, einem italienischen Liedermacher, der ein neues Genre der Canzone Italiana erfunden hatte: Er verband die Musik mit Monologen über soziale Themen, die er zwischen den einzelnen Songs rezitierte. Erst einige Jahre später erfuhr ich seinen Namen: Giorgio Gaber. Durch seine populären Auftritte mit Enzo Jannacci, dem Duo „Cochi e Renato“ und mit Teo Teocoli in den Mailänder Clubs wurde er sehr bekannt.

      Gaber wusste sich durch diese Kunstform, die er selbst teatro canzone (Liedtheater) nannte, von allen anderen Liedermachern abzuheben. Worin bestand sie? Ganz einfach: In seinen Songs formulierte er sein politisch-soziales Credo, er zeigte in ihnen die Widersprüche unserer Gesellschaft auf. Beinahe jedes Jahr hatte Gaber eine neue Show im Programm, mit der er durch viele Theater Italiens tourte. Die Vorstellungen waren überall ausverkauft. Jedes Mal wählte er andere Inhalte, er beschäftigte sich stets mit neuen, spannenden Themen. Eine seiner Shows, die sich dann zu einer außergewöhnlich erfolgreichen Langspielplatte entwickeln sollte (damals gab es noch Schallplatten), hatte den Titel Polli d’allevamento (Zuchthühner). Es war das Jahr 1978 … Auf der gleichnamigen Platte ging es um junge Menschen, die den eigenen Kopf zum Denken einsetzten, und um solche, die sich im Gegensatz dazu vom Kollektiv


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