Handbuch Gender und Religion. Группа авторов

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Grundlagen des Ökofeminismus geschrieben worden. Die von Platon verkündete Vorstellung von der dualistischen Natur der Welt ist ein relevanter Ausgangspunkt für die weiteren Betrachtungen: Die Reise der Seele von der irdischen Realität zurück in den göttlichen Bereich wird geschlechtsspezifisch gedacht:9 Die gereinigte Seele, die zu ihrem Heimatstern zurückkehrt, ist männlich. Diejenigen dagegen, die ein schlechtes Leben führen, werden als Frauen oder Tiere wiedergeboren. Diese Weltanschauung hat die westlichen Ansichten über die dualistische und hierarchische Verbindung von Frau mit der natürlichen Welt beeinflusst. Die Moderne hat diese Dichotomien10 verstärkt. Erst die postmodernen Ansätze haben die großen Erzählungen des Patriarchats und des Kapitalismus benannt und dekonstruiert.11 Befreiungstheologische und feministisch-theologische Ansätze, die aus dieser Neubewertung hervorgegangen sind, haben dazu beigetragen, dem Ökofeminismus einen Rahmen zu geben, der es ermöglicht, den Zusammenhang zwischen der Unterdrückung von Frauen und der Schädigung der Natur zu analysieren. Solche dichotomen Vorstellungen gehören zwar zu einem westlichen Denkprozess, sie haben aber, vom Christentum getragen, durch die Kolonialherrschaft exponentielle Macht erhalten.

      Obwohl es eine große Bandbreite an Ansätzen und Positionen gibt, ist es hilfreich, die gemeinsame Ausgangslage des Ökofeminismus zu erfassen sowie die Frage zu beantworten, was allen ökofeministischen Perspektiven gemeinsam ist. Ökofeminist*innen haben die Notwendigkeit erkannt, die anthropozentrische Hülle unserer Theologie und Philosophie abzuwerfen – natürlich je nach religiöser Tradition unterschiedlich. Dieser neue Rahmen bringt Denker*innen dazu, sich selbst als Teil eines komplexen »Existenznetzes« zu verstehen, ein Gedanke, der vom norwegischen Philosophen Arne Naess12 eingeführt, aber seither auf die feministische Theorie13 und unser breiteres ökologisches Bewusstsein angewandt und erweitert wurde.14

      Obwohl es eine reiche Vielfalt von Ökofeminismen gibt, möchte ich mich hier auf ihre Verbindung mit Religion konzentrieren und versuchen herauszufinden, wie Ökofeminismus in verschiedenen religiösen Bewegungen und Perspektiven gestaltet wird.

       2 Eine christliche Perspektive auf Ökofeminismus in religiösen Traditionen

      Obwohl der Ökofeminismus in vielen religiösen Traditionen einen Beitrag leistet, haben vor allem christliche Ökofeminist*innen sowohl in der Theorie als auch in der Praxis einen bedeutenden Einfluss ausgeübt. Primavesi,15 Radford Ruether16 und Gebara standen im Vordergrund des ökofeministischen Denkens in religiösen Traditionen, insbesondere im Christentum. Radford Ruethers Analyse konzentriert sich auf die Mechanismen von Ungleichheit und Unterdrückung, die auf kulturellsymbolischer und sozio-ökonomischer Ebene existieren und sich in der Art und Weise widerspiegeln, wie die Umwelt und der Status von Frauen berücksichtigt und behandelt wurden. Verinnerlichte Dichotomien findet man im Christentum in den fortdauernden Assoziationen Frau/Körper und Mann/Geist. Auch Verbindungen zwischen Ökologie, Feminismus sowie ihrer jeweiligen Aneignung und Beherrschung durch patriarchale Systeme werden erforscht. Die Autorin betont die Rolle von Religion in diesem Wechselspiel, sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht, als eine Kraft der Herrschaft und der Befreiung.17 Sie versucht, Quellen zu finden, die die frauenähnlichen Eigenschaften der Natur aufzeigen und die Missachtung der Natur durch die westliche koloniale Denkweise bekämpfen.18

      Ivone Gebara, eine katholische Theologin aus Brasilien, nähert sich diesen Fragen im Christentum aus einer trinitarischen Perspektive: Sie schlägt eine Rekonstruktion der Trinität im Licht der ökofeministischen Theologie vor, um darzulegen, dass ein trinitarisches Modell wertvoller sein kann als das traditionelle westliche Verständnis. Sie vertritt ein Weltbild, das auf einer ganzheitlichen Kosmologie beruht, die sich um hierarchiefreie Beziehungen dreht, nicht nur zwischen Menschen, sondern der gesamten Schöpfung. Ihre Beschreibung der Trinität als Ausdruck der Interrelationalität aller Dinge öffnet das Konzept für eine ganzheitlichere, weniger anthropozentrische Spiritualität.

      Die Tragweite dieses Modells ist insofern erheblich, als es das Konzept des Menschen in Bezug auf die gesamte Schöpfung nicht als eine binäre Beziehung, sondern neu als ein integriertes Ganzes auffasst, in dem alles Leben auf einer nichthierarchischen, nicht-patriarchalen Grundlage bewertet wird. Sie sagt: »Alle Menschen bilden die großartige und vielfältige menschliche Symphonie, in der wiederum Vielfalt und Einheit konstitutiver Ausdruck des einzigen Lebensprozesses sind, der uns alle trägt.«19

      Ferner, wenn wir die Rolle dieser inneren Vielfalt als Teil unserer eigenen trinitarischen Struktur ernst nehmen, dann werde es unmöglich, irgendeine Vorstellung von Hierarchie, von Über- und Unterlegenheit unter den menschlichen Kulturen zu rechtfertigen. Gebara beschreibt diese Beziehung als wesentlich kosmisch, eine Gemeinschaft, die schlicht und grundsätzlich aufeinander angewiesen ist. Darauf aufbauend hat Gebaras Aufruf zur Theologie praktische Auswirkungen: Diese aktualisierte Auffassung der Trinität mache es unmöglich, solch negative Facetten der menschlichen Natur wie »Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzung, Gewalt und Sexismus«20 zu verkörpern.

      Durch dieses neue Paradigma seien wir in der Lage, einen veränderten Sinn für Staatsbürgerschaft zu entwickeln, ohne unsere nationalen Zugehörigkeiten, die integraler Bestandteil unseres individuellen Charakters und unserer Erfahrung seien, verleugnen zu müssen.21 Darüber hinaus seien unsere persönlichen Identitäten untrennbar mit den Identitäten aller, die leben und gelebt haben, mit den Identitäten unserer Zeitgenoss*innen und unserer Vorfahr*innen verbunden. Die eigene persönliche Realität und Autonomie seien von den anderen abhängig. Deshalb sei unser eigenes Selbstverständnis trinitarisch, eine geheimnisvolle Vielfalt, und deshalb müssten wir eine Anthropologie in Betracht ziehen, in der wir alle als Erdbewohner*innen und kosmische Bürger*innen gesehen werden.22

      In eine etwas anderen Richtung als Gebara gehen die einflussreichen Schriften des Passionisten Thomas Berry, dessen Fokus auf den kosmischen Christus und seine Immanenz einen Großteil des christlichen Ökofeminismus geprägt hat. Für ihn sind Geburt und Auferstehung Jesu beide mit dem System der Erderneuerung verbunden: Das Leben Christi wurde in den Lebenszyklus der Natur eingewoben.23

       3 Ökofeminismus in der Bibel

      Lynn White veröffentlichte einen Artikel, in dem er den Missbrauch der Bibel durch das Christentum mit dem Ziel in Verbindung bringt, eine ausbeuterische Sicht der Erde und ihres komplexen Ökosystems, das ausgeplündert und kommerziell ausgenutzt werden soll, zu legitimieren.24 Trotz dieser Argumentation gibt es vieles in der Bibel, das Ökofeminist*innen anspricht:25 Die Vision einer Verbundenheit zwischen dem menschlichen und dem natürlichen Weltbereich kommt in der Weisheitstradition der gesamten Bibel kraftvoll zum Ausdruck. Die Betonung der Schöpfung statt der Erlösung, verbunden mit einer Wiederentdeckung des Weiblichen in den Weisheitstraditionen26 sowie die Zentralität der Konzepte von Schöpfungsverantwortung (stewardship) und Bund, die Idee des Sabbats und des Erlassjahrs können viel zu einer ökofeministischen integrierten Denkweise beitragen.27 Ein Großteil der feministischen Hermeneutik kann dazu genutzt werden, die Bibel neu zu lesen, insbesondere durch eine Hermeneutik des Misstrauens und des Widerstands.28 Eaton liefert zum Beispiel ein close reading der dargelegten Öko-Prinzipien. Das Earth-Bible project, ein internationales Projekt, das eine ökologische Lesart der Bibel propagiert, hebt die Bedeutung der »ethischen Verantwortung« hervor und erinnert uns gleichzeitig an »die Verortung von Bedeutung im spezifischen Kontext des Lesenden«.29

      Die Themen von Männern und Frauen als gleichberechtigte Partner*innen bei der Mitgestaltung und Erhaltung eines nachhaltigen Lebensraums, der nicht von Gewalt, sondern von Sensibilität für das Land und alles Leben, das es bewohnt, und von mitfühlender Verantwortung regiert wird, sind Teil einer Neuinterpretation von Genesis 1–3, einem zentralen Text für ein neues ökofeministisches Paradigma. Ein Beispiel für die Lektüre der Geschichte von Eva aus einer ökofeministischen Perspektive liefert Merchant: »Eva war diejenige, die die etablierte Ordnung der Dinge in Frage stellte und Veränderungen herbeiführte… Als prototypische Wissenschaftlerin konnte Eva den Schlüssel zur Wiederherstellung von Eden durch


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